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SEAN SCULLY
Sean Scully (*1945 in Dublin) zog 1949 mit seiner Familie nach London und lebt heute in New York, Barcelona und in Mooseurach bei München. 1960–1962 Ausbildung zum Drucker; Mitarbeit in einem Grafikdesignstudio. 1962–1965 Abendunterricht an der Central School of Art, London. 1965–1968 Studium der Malerei am Croydon Collegon of Art, London. 1968–1972 Studium der Malerei mit Bachelorabschluss und Bestnote an der Newcastle University. 1972/73 erster Aufenthalt in Amerika mit einem John-Knox-Stipendium, Harvard University, Cambridge. 1975 Auswanderung in die USA, 1983 erhält Scully die amerikanische Staatsbürgerschaft. Seit 1973 verschiedene Lehrtätigkeiten. Zahlreiche Ausstellungen weltweit, darunter große Retrospektiven in den Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (2001), im Metropolitan Museum of Art, New York (2006), im Kunstmuseum Bern (2012), der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe und im Hirshhorn Museum & Sculpture Garden (2018).
Zwischen dem Figurativen und dem Abstrakten
»Scully is a painter who creates from the heart, to the heart.« ⸺ Josep de C. Laplana
Gleich zweimal war er für den Turner-Preis nominiert, seine Bilder befinden sich in rund 120 Sammlungen renommierter Museum rund um den Globus: Sean Scully gilt als einer der bedeutendsten Maler unserer Zeit, der die Auseinandersetzung mit der abstrakten Malerei der Gegenwart wie kaum ein anderer Künstler vorantrieb. Weiten Teilen der Öffentlichkeit ist Scully bekannt für seine oft sehr großformatigen Kompositionen aus vertikalen und horizontalen Farbbahnen, die eine enorme sinnliche Kraft, eine »Seelentiefe« (Frankfurter Allgemeine Zeitung) besitzen, die Kunst mit minimalistischem Farb- und Formenrepertoire »nur selten eignet«.
Weniger bekannt sind hingegen die figurativen Arbeiten aus der Frühzeit seines Schaffens: Zu Beginn seiner Laufbahn zeichnete Scully nach eigener Aussage »geradezu obsessiv« gegenständlich – sei es mit Grafit oder Kohle, mit Pastellkreide, Blei- oder Farbstift. Seine Vorliebe galt dabei der Figur und dem Porträt. Gegen Mitte der 1960er-Jahre entstanden auch gegenständliche Malereien, jedoch haben sich nur wenige Leinwände erhalten. Um 1964 wurden der Fauvismus und der deutsche Expressionismus prägend, die Maler der Klassischen Moderne André Derain, Henri Matisse, Karl Schmidt-Rotluff und Ernst Ludwig Kirchner inspirierten Scully in besonderem Maße. »Ich gehöre nicht zu den Malern, die sich nur auf die Geschichte der abstrakten Malerei beziehen. Ich habe immer schon versucht, Fenster zur Welt zu schaffen, oft assoziativ«, äußerte Sean Scully einmal, der in seinen Bildern nach eigener Aussage erinnerte Eindrücke und Stimmungen widergibt, Erlebtes, Gesehenes und Gefühltes verdichtet. Die Abstraktion beruhe »in gewisser Weise auf der Erinnerung an Gegenständlichkeit«, so der Künstler selbst.
Aus den figurativen Anfängen leitete er bis 1969 sein Werk in die Abstraktion – mit Nähe zur amerikanischen Minimal Art von Donald Judd, Ad Reinhardt oder auch Agnes Martin. Der Übergang war dabei von konstruktiven Erwägungen wie von emotionaler Energie geprägt: »Nach dem Minimalismus wollte ich der abstrakten Malerei die emotionale und spirituelle Kraft zurückgeben, die ihr während dem ›coolen‹ Jahrzehnt des Minimalismus abhanden gekommen ist.« Auch orientalische Einflüsse, die er Anfang der 1970er-Jahre in Marokko in sich aufnahm, wurden bestimmend.
In den folgenden Jahrzehnten ringt Scully seinem Kernthema der Linien, Streifen und Blöcke eine Fülle an faszinierenden Variationen ab – wie in einer auf Lebenszeit angelegten, malerischen Versuchsanordnung, bei der europäische und amerikanische Einflüsse verschmolzen. Während er in seinen frühen Arbeiten mittels Klebebändern präzise Randzonen der Streifen setzte, löste er sich in den 1980er-Jahren von dieser Exaktheit und ließ in den nun weichen, lebendigen Kanten der Farbbahnen seine Handschrift und den Pinselduktus sichtbar werden, wie etwa in seiner seit 1998 entstehenden Wall of Light-Serie, die von Reisen Scullys nach Mexiko inspiriert ist. Pastos legte er Farbschicht um Farbschicht übereinander oder trug die Farbe nass in nass und mit grobborstigen Pinseln auf, sodass auch der Entstehungsprozess der Bilder für den Betrachter nachvollziehbar blieb: »Perfekte Bilder sind tote Bilder.« Manche Werke setzte Scully aus mehreren separat bearbeiteten Tableaus zusammen, in manche Gemälde integrierte Scully – beispielsweise in seiner Passenger-Serie Ende der 1990er-Jahre – ein sogenanntes »Inset«, ein eigens bemaltes Leinwandstück, das nachträglich in eine größere Leinwand eingesetzt wird. Die Gemälde gewannen einen nahezu objekthaften Charakter, wie etwa auch bei seinen Experimenten mit dem Bildträger Metall: Seine Floating Paintings, die der Künstler Mitte der 1990er-Jahre schuf, sind dreidimensionale Gemälde auf Aluminiumblöcken, die auf drei Seiten bemalt sind und mit der schmalen Seite an der Wand befestigt werden. »Die Geschichte meiner Arbeiten ist natürlich sehr bildhauerisch. […] Das Metall ist für mich ein sehr dynamischer Partner dank seiner Oberfläche, die im Gegensatz zur Leinwand in sich recht skulptural ist. Außerdem ist es ein Werkstoff aus dem 20. Jahrhundert. Das schafft eine Art Gegengewicht – zwischen der Romantik der Malerei und ihrer Geschichte und diesem harten, gänzlich unsentimentalen Material«, so der Künstler. Für seine Gemälde wie für die Fotografien, Radierungen, Lithografien, Pastelle und Aquarelle wählt er häufig kontrastreiche Farben, oft herrschen auch dunkle oder gedeckte Töne vor, in der Phase der nahezu monochromen Black Paintings Ende der 1970er-Jahre beschränkte sich die Farbpalette gar auf Grau und Schwarz. »Ich denke«, erläuterte Scully in einem Interview, »da ist viel Melancholie in meinen Bildern. Ein Gefühl des Verlusts«.