ADRIAN GHENIE

Adrian Ghenie
Adrian Ghenie (*1977 in Baia Mare, Rumänien) studierte an der Universität für Kunst und Design in Cluj-Napoca, Rumänien. 2005 Mitbegründer der Galeria Plan B zunächst in Cluj-Napoca, 2008 in Berlin. Seit 2006 zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, zuletzt 2012 im Museum for Contemporary Art, Denver, sowie im San Francisco Museum of Modern Art, 2013 in der Pace Gallery, New York. Der Künstler lebt in Cluj-Napoca, Rumänien, und in Berlin.

 Die dunkle Seite der Kunst

»Mir wurde deutlich, dass die Perspektive der Menschen auf die Geschichte immer ganz selbstverständlich distanziert ist. Und genau das ist ekelhaft.« ⸺ Adrian Ghenie

Hitler und seine Geliebte Eva Braun tot im Führerbunker. Der verstorbene, aufgebahrte Lenin. Ein Mann, wie erstarrt inmitten einer Bewegung, sich die Reste einer Buttercremetorte vom Gesicht abzuwischen – und, so scheint es, zugleich seine Haut. Es sind mysteriöse, verstörende Bilder, deren Sogwirkung man sich kaum entziehen kann. 

So verwundert es nicht, dass Adrian Ghenie innerhalb nur weniger Jahre der Sprung in die vorderste Riege der internationalen Kunstwelt gelang. Nach Abschluss seines Studiums im Jahr 2001 wurde das Werk des rumänischen Künstlers bereits ab 2006 in Einzelausstellungen in Rumänien, der Schweiz, den USA, in Deutschland, Belgien und Großbritannien gezeigt, 2009 widmete ihm das Nationalmuseum für Zeitgenössische Kunst in Bukarest eine erste Retrospektive. In der Folge wurden seine Arbeiten unter anderem in die Sammlungen des Museum of Contemporary Art in Los Angeles und des San Francisco Museum of Modern Art aufgenommen.

Ghenie, der in den Jahren der kommunistischen Diktatur unter Nicolae Ceausescu in Rumänien aufwuchs, ist ein Geschichtenerzähler. Er schickt die Betrachtenden auf eine Zeitreise, ermöglicht ihnen in großem Erzählstil einen Blick auf seine Interpretation der Geschichte des 20. Jahrhunderts: Macht und deren Missbrauch in totalitären politischen Systemen ist eines seiner zentralen Themen. In dem Gemälde Dada is Dead (2009), für das der Künstler ein Foto der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin von 1920 als Grundlage verwendete, erinnerte Ghenie etwa an Hitlers Hauptquartier in Ostpreußen, auch Wolfsschanze genannt, und holte damit das Schicksal der als »entartet« verfemten Künstler ins Bewusstsein zurück. 

Das besondere Interesse des Künstlers gilt der Kluft zwischen großer, »objektiver« Geschichte und subjektiver Erinnerung. In einem Interview machte er auf die Widersprüchlichkeit im Erleben von Geschichte am Beispiel seiner Mutter aufmerksam, die ihre Jugend im kommunistischen Rumänien verbrachte: »Sie durchlebte die schlimmste Zeit des 20. Jahrhunderts; als ich sie darauf ansprach, sagte sie nur, es sei eine großartige Zeit gewesen […] Mir wurde deutlich, dass die Perspektive der Menschen auf die Geschichte immer ganz selbstverständlich distanziert ist. Und genau das ist ekelhaft. Es interessiert sie nicht, dass dies die Jahre unter Stalin waren.«

Aus­gangspunkt für Adrian Ghenies Kompo­si­tonen sind historische Fotos, Versatzstücke aus Film und Internet, Anleihen aus dem großen Fundus der Kunstgeschichte und persönliche Erinnerungen, die er teilweise auch zu Collagen oder dreidimensionalen Modellen verarbeitet.

Eine Fotografie von Bewohnern des Warschauer Ghettos verwendete der Künstler beispielsweise für Nickelodeon (2008), eine Aufnahme Hermann Görings von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen für das Porträt des Reichsministers inThe Collector I  (2008); zahlreiche weitere historische Fotos entstammen Postkarten der NS-Propaganda, die Ghenie häufig im Deutschen Historischen Museum in Berlin findet. Fotografien des US-Militärs wiederum waren die Grundlage für eine frühe Werkgruppe mit dem Titel Unbound (2006/07), in der Ghenie Atomwaffentests in subtiler Schwarzweißmalerei als eine zeitgenössische Form der Grisaille auf die Leinwand brachte.

In seinen Pie Fight Studies nutzte der Künstler Szenen aus den amerikanischen Kurzfilmen The Three Stooges oder Laurel and Hardy, in denen sich die slapstickartig agierenden Protagonisten oft Kuchenschlachten liefern. Als Quelle dient Ghenie dabei meist das Internet: »Als ich anfing, diese Standbilder aus diesen Filmen zu verwenden, wurde mir deutlich, dass dies psychologisch tiefgreifende und sehr kräftige Bilder sind. Es geht darin um Erniedrigung, ein sehr eigenartiges Ritual der menschlichen Spezies, und noch immer einer der wichtigsten Züge von Diktatur.« Ein komödiantisches Motiv – die Tortenschlacht – wird zur brutalen Geste. 

Für Boogeyman (2010) benannte der Künstler Bezüge zu seiner Biografie, Details stammten, so Ghenie, aus einem Möbelkatalog von 1980, den seine Mutter aus Deutschland bezogen hatte.

In seinen düsteren Szenarien beschränkte Ghenie seine Farbpalette zunächst auf Schwarz und Grau sowie dunkles Rot, erst in jüngerer Zeit hellt er sie zunehmend auf. Die Bilder sind von großem taktilem und materiellem Reiz: Häufig bringt der Künstler mehrere Schichten Farbe auf die Leinwand auf und kratzt sie anschließend teilweise wieder ab. Dabei arbeitet er nicht nur mit dem Pinsel, sondern auch mit einem Stahlspachtel, individuelle Handschrift verbindet sich mit mechanischem Gestus. Malerei wird als Malerei sichtbar. Immer wieder erinnert sie an die großen Meister der Barockzeit und deren dramatisches Chiaroscuro.

Die dargestellten Figuren und Interieurs changieren zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, wirken realistisch und unbestimmt zugleich: »Porträts« von Adolf Hitler, Josef Mengele, Stalin, Lenin oder Nicolae Ceausescu etwa sind auf den ersten Blick erkennbar, doch sind die Gesichter oft nur rudimentär oder vage ausgeführt, als wären sie von einem Zeugen ersonnen, der sich an zahlreiche Details nicht zu erinnern vermag. Mit den Schrecken ihrer Geschichte steigt auch allerhand Unheimliches, Verdrängtes und Unbewältigtes hoch: die Gespenster, die in jedem lauern. So ahnen wir als Betrachter, dass uns in diesen Bildern von den dunklen Momenten der Geschichte des 20. Jahrhunderts fortwährend das Jetzt entgegenblickt.

veröffentlicht am 4.11.2013 – Stefanie Gommel

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