LANDSCHAFTSMALEREI

»Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie.« ⸺ Albrecht Dürer

Spiegelbild menschlicher Empfindungen oder geistiges, seelisches Abbild der Natur: dies sind geläufige Aspekte der Landschaftsmalerei des 18. und 19. Jahrhunderts. Doch die besondere Gattung gegenständlicher Malerei nahm nicht immer einen solch hohen Stellenwert ein.

Die künstlerische Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umgebung, sei es die Natur oder der von ihm gestaltete Raum, scheint ein elementares und nahe liegendes Motiv zu sein. Umso erstaunlicher ist es, dass es in der Malerei vom Ende der Antike bis ins ausgehende Mittelalter – neben dem Goldgrund – höchstens Andeutungen von Geländeformationen im Bild gab. Erst am Vorabend der Renaissance hörten die Maler auf, sich an den über Generationen überlieferten Musterbüchern zu orientieren und die Wirklichkeit ihrer Welt durch genaue Beobachtung festzuhalten. In niederländischen Kalendarien und Stundenbüchern entstanden Darstellungen von Landschaften als Hintergrund für biblische oder historische Bilderzählungen. Berühmt sind die Illustrationen der Trés Riches Heures von den Gebrüdern Limburg, die der Herzog von Berry beauftragte. Hier wird erstmals versucht, Tiefenraum zu gestalten und die besondere Erscheinung der Tageszeit im Bild zu erfassen. Darin war die Buchmalerei der Tafelmalerei zunächst überlegen, erst mit der Ölmalerei wurden feinste Farbabstufungen und durchscheinende Lasuren möglich, um Raum, Atmosphäre und Lichtphänomene zu erfassen.

In Italien entdeckte der Maler und Architekt Brunelleschi die Linearperspektive und eröffnete damit die Möglichkeit, Raum auf der zweidimensionalen Bildebene darzustellen. Um 1470 erschien mit Pierro della Francescas Traktat De prospettiva pigendi die erste mathematisch exakte Beschreibung der Zentralperspektive. Leonardo da Vinci erforschte das Phänomen der Luftperspektive systematisch. In Venedig erregten Dürers Holzschnitte Aufsehen. Typisch ist dort die Verschmelzung von Figur und Landschaft, Licht und Farbe zu einer poetischen Bildeinheit, wie sie auch bei Bellini, Giorgione und Tizian zu finden ist.

Im späten 16. und 17. Jahrhundert wurden in Rom neue Maßstäbe gesetzt. Die exakten Naturstudien und die Verwendung der Farbe bei Annibale Carracci verweisen bereits auf den Barock. Adam Elsheimers kleinformatige, detailreiche Landschaften mit biblischen und mythologischen Szenen auf Kupfergrund zeichnen sich durch Farbbrillanz und den virtuosen Umgang mit unterschiedlichen Lichtquellen aus. Paul Bril spezialisierte sich auf die Komposition von Ideallandschaften. Kulissenartig aufgebaute Partien im Vordergrund oder Repoussoirs (übergroße dargestellte Objekte im Vordergrund) aus Bäumen und Architekturen eröffnen die Sicht in eine weite Ferne, Figuren dienen nur noch als Staffage. In Rom lebten auch Nicolas Poussin und Claude Lorrain. Ihre idealisierten Bilderfindungen sind in ein mildes Licht getaucht und mit Architekturen aus der Antike und Staffagefiguren, aus der Mythologie oder der Welt der Bibel gestaltet. Sie wurden zu Vorbildern für die Klassizisten und deren heroische Landschaften.

Durch Kupferstichreproduktionen wurden italienische Einflüsse auch in den Niederlanden wirksam. Mitte des 16. Jahrhunderts setzten Joachim Patinir, Gerard David, Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel dort Maßstäbe. Zum eigenständigen Bildthema wurde die Landschaft jedoch erst im 17. Jahrhundert. Das zunehmende Interesse am Erforschen der Natur und die Fortschritte der Wissenschaft und Technik trugen dazu ebenso bei wie der wachsende Wohlstand bürgerlicher Kreise als neue Käufergruppe. Das Genre fächerte sich bald in Themen auf, auf die sich die einzelnen Maler konzentrierten: Es gab Spezialisten für Fantasielandschaften, italianisierende Landschaften, Gebirgs-, Wald-, Küsten- und Flusslandschaften, topografische Landschaften, Seestücke, Winterszenen usw. Die düster wirkenden Bilder Jacob van Ruisdaels mit ihren dramatischen Wolkenformationen, absterbenden Bäumen und herabstürzenden Wasserfällen drücken schwermütige Empfindungen aus. Aelbert Cuyps idealisierte, oft ländliche Szenen dagegen sind erfüllt von einer heiteren Stimmung. Besonders hervorzuheben sind hier auch Rembrandts experimentelle Radierungen, die ab 1640 entstanden.

Im 18. Jahrhundert wuchs die Nachfrage nach topografisch genauen Darstellungen, wie sie in den Veduten der Venezianer Bellotto, Canaletto und Guardi umgesetzt sind. Charakteristisch für die französische Malerei der Zeit sind die zarten und luftigen Landschaftshintergründe in den Bildern Watteaus und Fragonards.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sahen Dichter und Künstler der Romantik, angeregt durch die Schriften Rousseaus, in der Natur eine Quelle leidenschaftlichen Gefühls und eine metaphysische Dimension. Nachdem mit der Aufklärung Glaubensgewissheiten in Frage gestellt worden waren, suchten Maler wie Caspar David Friedrich in der Landschaft einen transzendentalen Bezug. Akademische Prinzipien der Malerei wurden nun verworfen. Das Interesse verlagerte sich vom Motiv auf die Malweise. Paul Cézanne versuchte nicht mehr, auf der ebenen Fläche Dreidimensionalität vorzutäuschen. Die Leinwand ist ein zweidimensionales Feld, in dem die Ordnung von Formen und Farben relevant ist. Das Bild ist eine parallele Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Welt und nicht deren Abbildung.

Gegen Ende des Jahrhunderts verstärkten sich die Tendenzen zu einer subjektiven Interpretation der Umgebung und zur Dominanz einer persönlichen Handschrift, wie es sich etwa in den expressiven Landschaften van Goghs zeigt. Die Maler der Schule von Barbizon pflegten als erste die Freiluftmalerei. Ihr Ziel war es, die Natur mit all ihren Beleuchtungssituationen realistisch und objektiv wiederzugeben. Impressionisten wie Claude Monet arbeiteten ebenfalls im Freien, gingen aber weiter: Für sie wird die Wahrnehmung der Dinge wichtiger als ihre Bedeutung.

Im 20. Jahrhundert ist das Interesse am Phänomen der Landschaft ungebrochen, wenngleich sich die Ausdrucksformen ändern. Die Spannweite reicht von den spätimpressionistischen Bildern eines Liebermann und Slevogt, den Fauves in Frankreich, der Suche nach unverfälschter Natur in exotischen Ländern bei Gauguin, Pechstein, Nolde und Kirchner bis zu den grauen Wolkenbildern eines Gerhard Richter und zu Werken Anselm Kiefers, der in seinem Bild Märkisches Land in die mit Sand bestreute Ölfarbe Ortsnamen aus Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg einritzte.

Die Beziehung zwischen Malerei und Fotografie wird bei Eugène Atget deutlich, der das Paris der Jahrhundertwende dokumentiert hat. Seine Arbeiten dienten seinen Malerfreunden als Bildvorlage. Ansel Adams bediente sich in seinen Schwarzweißfotografien der Bildästhetik romantischer Malerei.

Jeff Wall ließ sich in seinen Inszenierungen gelegentlich von Vorbildern aus der Kunstgeschichte inspirieren. Andere griffen gestaltend in die Landschaft ein, so Beuys mit seinem Projekt 7000 Eichen in Kassel anlässlich der documenta 7, oder Christo und Jeanne-Claude, die den Central Park in New York durch die Beflaggung mit orangefarbenen Tüchern verfremdeten. Einen Schritt weiter ging der amerikanische Land-Art-Künstler Robert Smithson, der seine Spiral Jetty im Großen Salzsee in Utah anlegte und anschließend dem Wirken der Natur überließ – die Grenze zwischen Kunstwerk und Landschaft wird aufgehoben.

veröffentlicht am 1.10.2007 – Monika Wolz

 

Bild: Olaf Otto Becker, "Giesecke Icefjord", 07/2006, detail