POLAROID

»Der ästhetische Zweck der Sofortbildfotografie ist es, all denen, die ein künstlerisches Interesse an der Welt haben, ein neues Ausdrucksmedium zur Verfügung zu stellen.« ⸺ Edwin Land

In unserer zunehmend digitalisierten Welt besteht eine starke Sehnsucht nach Authentizität und Wirklichkeit, nach dem Echten und Unverfälschten, dem »Es ist so gewesen«, wie es der französische Philosoph Roland Barthes in seinem berühmt gewordenen Diktum formulierte.

Das Polaroid ist ein Unikat, ist so einzigartig wie jeder Moment. Die inzwischen 65 Jahre alte Technik des Sofortbildes erlebt heute eine ungeahnte Renaissance.

Im Februar 1947 stellte Edwin Land in New York ein neues, revolutionäres Verfahren vor, das es erlaubte, Fotografien unmittelbar nach ihrer Entstehung zu entwickeln. Die bahnbrechende Neuerung lag beim Filmmaterial: Jedes Polaroid enthält im Inneren eine Art Miniatur-Fotolabor. Unmittelbar nach der Belichtung wird beim Ausgeben des Sofortbildes die Entwicklerpaste gleichmäßig zwischen der Ober- und Unterseite des Fotos, also zwischen Positiv und Negativ, verteilt. Nach einer Wartezeit von nur etwa einer Minute hielt man bereits die fertig entwickelte Aufnahme in den Händen.

Nach der Präsentation seiner Erfindung konnte Land im November 1948 die ersten Sofortbildkameras im Handel präsentieren. Zwar war die Produktion der hochkomplexen Filme anfangs störanfällig, die ersten Schwarzweißfilme etwa zeigten Sepiatöne, Ende 1949 musste Polaroid gar eine Rückholaktion veranlassen, da sich die Sofortbilder nach wenigen Wochen zusammenrollten und verblassten. Doch übte das »Instant Image« weltweit schon früh eine große Faszination auf Fotoamateure und -profis aus. Der Firmenname Polaroid – Edwin Land, von Haus aus Physiker, hatte das Unternehmen bereits in den 1930er-Jahren für die Herstellung der von ihm entwickelten Polarisationsfolien gegründet – wurde rasch zum Synonym für Sofortbildfotografie.

Bereits 1949 stellte Land den amerikanischen Fotografen Ansel Adams als engen Berater ein, mit dem eine fruchtbare Zusammenarbeit entstand. Gemeinsam ersannen sie ein ungewöhnliches, überaus erfolgreiches Konzept: Künstler und Fotografen wurden eingeladen, das Sofortbildmaterial für ihre Arbeit zu nutzen und zu testen und wirkten damit an der stetigen Verbesserung der Technik mit. Zudem regte Adams an, herausragende Beispiele der Sofortbildfotografie in Ausstellungen zu präsentieren. In den 1950er-Jahren stießen daraufhin weitere Berater zu Polaroid, unter anderem Minor White, Paul Caponigro und William Clift. Ihre Fotografien bildeten die Grundlage für die Sammlung des Unternehmens – die Geburtsstunde der legendären, zuletzt über 16.000 Arbeiten umfassenden Polaroid Collection. Aus der beratenden Tätigkeit von Fotokünstlern ging in den frühen 1960er-Jahren schließlich ein langfristig angelegtes Förderprogramm hervor. Die Teilnehmer – renommierte Fotografen, aber auch junge, aufstrebende Nachwuchstalente – erhielten Kameras und Filme im Tausch gegen ausgewählte Polaroids.

Zahlreiche Größen der internationalen Fotografiegeschichte widmeten sich in den folgenden Jahren dem analogen Medium, die Namen reichen von Ansel Adams, Sibylle Bergemann und Walker Evans über Gisèle Freund, Gottfried Helnwein, Robert Mapplethorpe bis hin zu Helmut Newton, Robert Rauschenberg, Oliviero Toscani, Andy Warhol oder William Wegman.

Faszinierend ist die Bandbreite an Techniken, die Künstler fanden mannigfaltige Manipulationsmöglichkeiten: Die Sofortbilder wurden bemalt, handkoloriert oder beschriftet, zerkratzt oder zerschnitten, der Prozess der Entwicklung wurde sichtbar gemacht, etwa mit Farbunregelmäßigkeiten oder Fehlstellen, die Aufnahmen wurden zu Collagen oder Assemblagen gefügt. Verschiedene Polaroidkameras und Filmformate erweiterten zudem das Spektrum der künstlerischen Ausdrucksformen. Mit der 20 x 24-Zoll-Großformatkamera etwa entstanden außergewöhnliche, 50 x 60 cm große Polaroid-Meisterwerke. Zahlreiche Künstler – darunter William Wegman, dessen Bilder seiner verkleideten Weimaraner Hunde heute weltberühmt sind – wollten mit dieser 1,50 Meter hohen und über 100 Kilogramm schweren Kamera arbeiten. 1972 wurde der revolutionäre Integral Film vorgestellt: Der Entwicklungsprozess konnte nun durch ein transparentes Positiv beobachtet werden – eine Trennung der Filmschichten von Hand wie bei den früheren Trennbildverfahren war nicht mehr nötig –, in der Folgezeit entstanden bis heute bleibende Fotoschätze mit dem legendären weißen Rahmen, der gemeinhin mit Polaroid assoziiert wird.

Als sich das Unternehmen Polaroid im Jahr 2008 gezwungen sah, ein Insolvenzverfahren zu beantragen, schien die Ära des Sofortbildes endgültig beendet. Im Zeitalter von Handykameras war die digitale Fotografie längst zur neuen Sofortbildfotografie geworden. Doch hat die in Wien ansässige Firma Impossible nicht nur die letzte intakte Polaroidfabrik im niederländischen Enschede aufgekauft, sie produziert heute mit großem Erfolg – auch mit Hilfe der ehemaligen Mitarbeiter – neue Sofortbildfilme. Dank der Initiative des Wiener Unternehmers Peter Coeln konnte zudem der europäische Teil der berühmten Polaroid Collection mit 4400 Arbeiten von 800 Fotografen vor einer Versteigerung bewahrt werden. Die Sammlungstradition wird unter dem ironischen Namen »The Impossible Project« fortgeführt, die Aufnahmen sind im Wiener Museum WestLicht beheimatet. Künstler und Fotografen wie Nobuyoshi Araki, Terry Richardson oder Stefanie Schneider schaffen heute mit einer neuen Generation von Impossible-Filmen wieder Sofortbildkunstwerke und lassen damit die einmalige Suche nach den Möglichkeiten des analogen Materials wieder aufleben.

Das Medium Sofortbild scheint aktueller denn je: Zahlreiche Ausstellungen und Publikationen würdigten in den vergangenen Jahren die Sofortbildfotografie, die überaus beliebten Polaframes – Magnetrahmen für den Kühlschrank, die ein einfaches Foto in ein Polaroid mit weißem Rand verwandeln – sowie der nicht minder erfolgreiche Sofortbildkalender Poladarium belegen den Trend zum Analogen. Wie groß die Strahlkraft des Polaroids ist, zeigen auch spezielle Apps, die Smartphone-Fotos mit dem charakteristischen weißen Rand versehen. Der Nimbus des Polaroids mit seinem Unikatscharakter wächst beständig – gerade in Zeiten digitaler Bildmanipulation.

veröffentlicht am 16.10.2012 – Stefanie Gommel

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