BRÜCKE

»Mit dem Glauben an die Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen, und als Jugend, die die Zukunft in sich trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesehenen älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.« ⸺aus dem Manifest der Brücke, 1906

Vor 100 Jahren, am 7. Juni 1905, gründeten die vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976), Fritz Bleyl (1880–1966) und Erich Heckel (1883–1970) in Dresden eine Künstlergruppe, die sie programmatisch die Brücke nannten. Vermutlich aus Nietzsches Zarathustra entlehnten sie die namensgebende Metapher, die Aufbruch zu neuen Ufern verhieß. Die Brücke, die die Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts wesentlich prägen sollte, verstand sich als revolutionäres Aufbegehren der künstlerischen Jugend gegen die in manierierten Posen erstarrte Akademiekunst und die Spießigkeit des Wilhelminismus. Sie wollte alle revolutionären Elemente an sich ziehen, um der jungen Generation Schaffensfreiheit zu erkämpfen. Bis etwa 1908 entwickelten die Künstler einen Gruppenstil. Dabei gelang es ihnen, die deutsche Kunst auf Augenhöhe mit der internationalen Avantgarde zu bringen.

Zu einem Grundsatz der Gruppe gehörte die Zusammenarbeit mit anderen gleichgesinnten Künstlern. 1906 bekam die Brücke mit Max Pechstein (1881–1955) und Emil Nolde (1867–1956) prominenten Zuwachs. Nolde verabschiedete sich jedoch schon nach einigen Monaten wieder, Fritz Bleyl verließ die Gruppe ebenfalls 1907. Pechstein blieb bis 1912 und wechselte dann zur Berliner Secession. Weitere Mitglieder waren Otto Mueller (1874-1930) und die weniger bekannten Maler Cuno Amiet (1868-1961), Lambertus Zijl (1866–1947), Axel Gallén-Kallela (1865-1931) und Bohumil Kubista (1884-1918). Ihre Mitgliedschaft beschränkte sich auf gelegentliche Ausstellungsbeteiligungen. Henri Matisse und Edvard Munch lehnten trotz mehrfacher Aufforderung eine Mitgliedschaft ab.

Dem in dieser Zeit dominierenden Impressionismus setzten die Brücke-Künstler eine ausdrucksstarke, gefühlsbetonte Malweise entgegen. Ihre Inspirationsquelle fanden die Maler in der deutschen Kunst des Mittelalters, der Renaissance und im Jugendstil. Zu ihren Vorbildern gehörten Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Georges Seurat, die sie durch Ausstellungen in Dresden kannten. Pechstein berichtete nach einem Frankreichbesuch voller Begeisterung von den Farbstürmen der Fauves. Kirchner entdeckte im Völkerkunde-Museum in Dresden Holzfiguren aus der Südsee, geschnitzte Balken von den Palau-Inseln und Masken vom Bismarck-Archipel, die Emil Nolde und Max Pechstein später veranlassten, in die Südsee zu reisen.

In der Magie dieser »primitiven« Werke fanden die Künstler elementare Ausdrucksmittel und entwickelten daraus einen flächigen, dynamischen, farbig stark kontrastierenden Malstil. Doch sie revolutionierten nicht nur die Malerei, sie entdeckten auch die Grafik neu. Zeichnung, Skizze und Aquarell, vor allem aber der Holzschnitt, der damals zur Gebrauchs- und Werbegrafik verkommen war, nehmen im Schaffen der Brücke breiten Raum ein.

 

In einer Zeit, in der Kaiser Wilhelm II. die Moderne als »Rinnsteinkunst« diffamierte, stellten die Brücke-Rebellen selbstbewusst etablierte Kunstformen und überkommene Moralvorstellungen infrage. Sie strebten danach, eine neue Einheit von Kunst und Leben zu schaffen, die Ausdruck für das innere Erleben der Welt und die subjektive Empfindung des kunstschaffenden Individuums sein sollte. Sie entwickelten eine spontane und impulsive Malweise, in der sie die Farbe vom Naturvorbild lösten, die Form radikal vereinfachten, auf akademische Proportionen und die traditionelle Perspektive weitgehend verzichteten, die Flächen betonten und den Bildraum verfremdeten.

Ihre Motive fanden sie im Umland Dresdens. Der Akt – zunächst Sinnbild einer noch nicht zivilisierten und damit noch nicht entfremdeten Natur – war für Ernst Ludwig Kirchner und die anderen Brücke-Mitglieder die Grundlage aller bildenden Kunst. Von Anfang an zeichneten sie so genannte »Viertelstundenakte«, bei denen sie die Modelle spontan zu erfassen versuchten. Zwischen 1909 und 1911 waren Kirchner und Heckel mit ihren Modellen häufig an den Moritzburger Teichen anzutreffen. Dort badeten sie nackt, zeichneten ihre Modelle in natürlicher Bewegung und praktizierten einen ungezwungenen Lebensstil. Hier verwirklichten sie im Aktstudium ihre Vorstellung von harmonischer Einheit von Kunst und Leben in freier Natur und freier Natürlichkeit. Das Ergebnis dieser künstlerischen Sommerfrischen sind zahlreiche Skizzen und Bilder von Badenden sowie Landschaftsbilder. Auch nach der Auflösung der Brücke blieb der Akt für die Künstler ein wichtiges Motiv. Nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges wurde er zum Sinnbild eines verlorenen Arkadiens und eines humanen Menschenbildes. Weitere Hauptmotive sind Porträts, Straßen-, Atelier-, Zirkus- und Varieté-Szenen.

Bei allem bohemehaften Lebensgefühl und künstlerischen Idealen war die Brücke durchaus erfolgsorientiert und managte ihre gemeinsame Vermarktung ideenreich. Während die erste Ausstellung 1905 noch unbeachtet blieb, löste die zweite im Jahre 1906 einen Skandal aus. Besonders Kirchners Bilder mit einer aggressiv-nervösen Handschrift und stark erotisch gefärbten Motiven wurden zur Zielscheibe der Kritik. Der innere Kreis der Gruppe wurde durch passive Mitglieder verstärkt, die mit ihrem Jahresbeitrag für Kapital sorgten. Als Gegenleistung bot die Brücke jährlich eine Grafikmappe mit Holzschnitten, Radierungen und Lithografien an, die die wichtigsten Neuerungen und Stilmittel konzentriert zeigte. So gelang es, bereits 1907/08 das Interesse von Sammlern zu wecken. 1910 gehörten der Brücke 68 passive Mitglieder an, darunter auch Kunsthistoriker wie Rosa Schapire. Zur Kundenwerbung in eigener Sache organisierte die Brücke insgesamt 90 Ausstellungen im In- und Ausland. Als wirksames Werbemittel erwies sich der wiederentdeckte Flächenholzschnitt, der etwa für Plakate oder Mitglieds- und Einladungskarten eingesetzt wurde und damit zum Markenzeichen wurde.

1908 zog Pechstein nach Berlin und gründete dort 1910 die Neue Secession. Die Brücke trat ihr zunächst geschlossen bei. Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff siedelten 1911 ebenfalls in die Hauptstadt über. Obwohl die Künstler ihre Akt- und Naturstudien an der Ostseeküste in Fehmarn, Nidden und Rowe fortführten, änderte sich ihr Stil unter dem Einfluss der Metropole und nach dem Kontakt mit Kubismus und Futurismus. Der Bruch kündigte sich bereits an, als Pechstein 1912 aus der Künstlergruppe austrat, da er sich in seiner persönlichen Ausstellungsfreiheit beeinträchtigt fühlte. 1913 kam es zum endgültigen Streit über Kirchners Texte zur Brücke-Chronik, die die Entwicklung der Künstlergemeinschaft dokumentieren sollte. Sie wurden von den anderen Mitgliedern als zu subjektiv verworfen. Im Grunde waren die Mitglieder der Brücke zu diesem Zeitpunkt längst über die Gruppe hinausgewachsen und hatten eine eigenständige Künstlerpersönlichkeit entwickelt.

Noch in der Weimarer Republik gehörten die Brücke-Künstler zu einer umstrittenen Avantgarde. Einflussreiche Museumsdirektoren, Publizisten und Politiker setzten sich zwar für sie ein, weite Teile der Bevölkerung und des politischen Spektrums standen der modernen Kunst jedoch ablehnend gegenüber. Im Dritten Reich wurden viele Werke des Expressionismus vernichtet, beschlagnahmt und in der berüchtigten Schau Entartete Kunst 1937 in München zum inszenierten Gespött freigegeben. Erst im Nachkriegsdeutschland wurden die Werke zu Ikonen der Moderne.

veröffentlicht am 16.8.2005 – Monika Wolz
Veröffentlicht am: 02.02.2010