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SIBYLLE BERGMANN
Sibylle Bergemann (*1941 in Berlin, †2010 in Gransee) begann 1966 eine fotografische Ausbildung bei Arno Fischer. Ab 1967 Tätigkeit als freie Fotografin für DDR-Zeitschriften wie Sonntag und Magazin, 1970–1995 für das Modejournal Sibylle. 1990 Gründungsmitglied von OSTKREUZ – Agentur der Fotografen. Ab 1990 Veröffentlichungen unter anderem in GEO, Die Zeit, Der Spiegel, Stern und New York Times Magazine. Ab 1994 Mitglied der Berliner Akademie der Künste.
Mode ist Porträt, ein Zeitbild
»Mich interessiert der Rand der Welt, nicht die Mitte. Das Nichtaustauschbare ist für mich von Belang. Wenn etwas nicht stimmt in den Gesichtern oder Landschaften ...« ⸺ Sibylle Bergemann
»Die phantastische Selbstbehauptung in einer Welt aus Kalkül und Norm war vom ersten Foto an Sibylle Bergemanns Impuls.« ⸺ Jutta Voigt
Eine grazile afrikanische Schönheit in zimtbraunem Taftkleid und mit mächtigen elfenbeinfarbenen Arm- und Ohrringen sitzt vor einer armseligen offenen Hütte. Ein blondes Mannequin in langem geblümten Rock posiert barfuß auf einem großen Ball stehend beinahe wie die Freiheitsstatue, neben ihr ein livrierter Schimpanse auf einem kleinen Stuhl, im Hintergrund ein Zirkuszelt.
Was Sibylle Bergemann nach der Wende in Farbe und zu DDR-Zeiten in Schwarz-Weiß fotografierte, war »immer mehr als Mode« (Jutta Voigt). Oder in ihren eigenen Worten: »Mode ist Porträt, ist ein Zeitbild.« Bergemanns Bilder erzählen von Schönem und Ernsthaftem, von Skurrilem, Unverwechselbarem und Eigensinn. Einer ihrer ersten Aufträge für die renommierte DDR-Mode- und Frauenzeitschrift Sibylle war 1974 eine Modeserie mit der jungen Schauspielerin Katharina Thalbach. Die Aufnahmen zeigen eine selbstbewusste, sensible Frau unter Hochbahnpfeilern und im Café. Wie hier fotografierte Bergemann die Modelle häufig im Außenraum, an unspektakulären, alltäglichen Orten wie Straßen, Fabrikhallen oder vor abblätternden Fassaden. Sie wollte, dass ihre Bilder »nach allem Möglichen, nur nicht nach DDR« aussahen. Immer fing die Fotografin etwas von der Persönlichkeit der Dargestellten ein und schuf so individuelle, teils melancholische Modefotos und Porträts, die ein emanzipiertes Frauenbild vermitteln. Ganz subtil opponierte Bergemann auf diese Weise gegen den in der DDR verordneten Konformismus und lächelnden, staatstragenden Optimismus. Ihre Fotos wurden nicht verboten, dennoch musste sie bisweilen Zugeständnisse machen. Bekannt ist die Geschichte um das Bild eines mürrisch dreinblickenden Bademoden-Models am Ostseestrand (Motto: »verregnete Ferien«), dessen Mundwinkel vor der Veröffentlichung nach oben retuschiert werden mussten.
Eine beiläufig wirkende Komposition und ein reportagehafter, nahezu filmischer Charakter zeichnen auch Bergemanns Ansichten von Ostberlin aus. Die Fotografin vermied es, bekannte Orte und Symbole abzulichten oder Klischees aufzugreifen, sie spürte eher Atmosphärischem nach: ein schaukelndes Mädchen im Mauerpark, Blicke in Hinterhöfe oder Spaziergänger vor Plattenbauten. So entwarf sie ein Berlin-Porträt jenseits »offizieller Heroisierungen«, das zeigt, wie Menschen in einem bestimmten Augenblick in dieser Stadt gelebt haben.
Ebenso beiläufig und zudem von feinsinnigem Witz erscheinen die Bilder, die Bergemann im Rahmen ihrer bekannten elfjährigen Langzeitstudie zur Entstehung des Marx-Engels-Denkmals (1978–1986) in Berlin machte. »Ich habe nur fotografiert, was ich gesehen habe«, erklärte sie dazu. »Und das Komische, das da reinkommt, kommt daher, dass man weiß, das sind Marx und Engels, und die haben Scheuerlappen auf dem Kopf, hängen an dicken Seilen beim Transport, haben ein andermal keinen Unterleib oder sind kopflos.«
Nach der Wende begann für Bergemann eine neue Etappe in ihrer Karriere. Vor allem für GEO reiste sie rund um den Globus, um in Indien, Nepal, Vietnam und Grönland, Amerika und Afrika Porträts und Landschaften einzufangen. Das Schwarz-Weiß wich nun der Farbe. In gedämpften Tönen malte Bergemann mit ihrer Kamera bis zuletzt Bilder nicht von der Mitte, sondern von den Rändern der Welt.