ROMAN ONDÁK

Roman Ondák
Roman Ondák (*1966 in Žilina, Slowakei) studierte 1988–1994 Grafik und Malerei an der Hochschule der bildenden Künste Bratislava. Weitere Ausbildungsstationen waren 1993 Slippery Rock University, Pennsylvania, 1999–2000 Collegium Helveticum, Zürich, 2004 CCA, Kitakyushu, 2007/08 DAAD, Berlin, 2010 Villa Arson, Nizza. Nach der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei 1989 und der damit verbundenen politischen Wende wurden Ondáks Installationen, Performances und Zeichnungen in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt, zuletzt unter anderem an der Tate Modern, London (2006), dem MoMA, New York und der Biennale Venedig (2009), am Kunsthaus Zürich (2011), im Deutsche Guggenheim, Berlin sowie der dOCUMENTA (13) (2012). Er lebt und arbeitet in Bratislava.

 

Im Raum zwischen Kunst und Leben

»Es geht einfach nur um das Rätsel, wie sich Menschen im Allgemeinen verhalten. Das Rätsel liegt nicht in meiner Arbeit, sondern im Alltag – warum wir Lebensgefährten haben, warum wir Familien und Freunde haben, warum wir dieses mögen und jenes nicht. Irgendwie ist es das Rätsel dieser Beziehungen, das mich dazu bringt, nach Möglichkeiten zu suchen, sie in Kunstwerke zu transformieren.« ⸺ Roman Ondák

Ausgangspunkt von Roman Ondáks subtiler, fast poetischer Kunst sind meist Alltagssituationen. Minimale Verschiebungen im Alltäglichen sind dabei sein zentrales Stilmittel, um Erwartungen des Publikums ins Wanken geraten zu lassen und Konventionen – mitunter auch die des Kunstbetriebs – zu hinterfragen. Ein Werk, das uns auffordert, die Kunst und das Leben aus neuen Perspektiven zu betrachten, das philosophische und (gesellschafts-)politische Fragen aufwirft – und »den Betrachter auf die Suche nach Schönheit schickt, im Unsichtbaren und Flüchtigen« (DIE ZEIT).

Als der Konzeptkünstler 2009 auf der Biennale Venedig den Pavillon der Tschechischen und Slowakischen Republiken bespielte, ließ er ihn quasi verschwinden, indem er die Vegetation der Giardini – Büsche, Bäume und Wege – im Inneren des Gebäudes einfach fortführte. Loop, schnell eine Lieblingsarbeit der Biennale-Besucher, löste den Nationenpavillon und seine ursprüngliche Funktion auf, der Sinn der nationalen Leistungsschau wurde auf stille, hintersinnige Weise ad absurdum geführt. »Es war keine Schöpfung, die einfach sagte: ›Hier, ich bin Kunst.‹ Es war vielmehr etwas, das da war, und es spielt keine Rolle, was es war. Es war großartig.« (Udo Kittelmann)

Auch in do not walk outside this area, einem Projekt von 2012 für die Deutsche Guggenheim in Berlin, forderte Ondák das Kunstpublikum zu Grenzerfahrungen, ja zu Grenzüberschreitungen auf. Wohl jeder Flugreisende hat diesen Satz, »Do not walk outside this area«, beim Blick auf die Tragfläche eines Flugzeugs schon einmal gelesen. Auf einem originalen Flügel einer Boeing 737-500, den Ondák eigens von den Niederlanden nach Berlin transportieren ließ, konnten die Museumsbesucher wie über eine Brücke von einem Ausstellungsraum in den nächsten gelangen. Nur durch das Überschreiten der Anweisung, dem Wandern über die Tragfläche, war es möglich, die Grenzen der Ausstellungshalle zu überwinden, »nicht nur den materiellen Raum, sondern auch die Konventionen und Machtstrukturen, mit der die Kunst definiert wird. Jeder kennt die Verbote, Absperrungen und Grenzen, die Kunstwerken die Aura des Wertvollen, Exklusiven verleihen und sie damit fetischisieren: bitte nicht berühren« (Friedhelm Hütte).

Während Ondák in Berlin ein Readymade von enormen Ausmaßen installierte, so sind seine künstlerischen Interventionen sonst meist leise, unauffällige und nicht selten immaterielle Werke. Oftmals bezieht der slowakische Künstler dabei Dritte als Ko-Produzenten mit ein: So engagierte er in Teaching to Walk für eine Ausstellung in Prag 2002 die Frau eines Freundes und deren gemeinsamen Sohn, um – so der Künstler selbst – den alltäglichen Prozess des Laufenlernens buchstäblich zu kopieren und in den Ausstellungskontext einzufügen, sodass er zu einer Performance wurde. 

Auch in Good Feelings in Good Times, einer Arbeit, die Ondák erstmals für den Kölnischen Kunstverein 2003 konzipierte, tritt er als Autor zurück: Der Künstler inszenierte hier mit eigens engagierten Personen eine Warteschlange vor dem Ausstellungsgebäude – eine interventionistische Aktion, mit der er an eine reiche Tradition im sozialistischen Osteuropa vor der Wende anknüpfte und darüber hinaus auf seine eigene Geschichte in der ehemaligen Tschechoslowakei verwies. »Das war auch etwas voller Versprechen: Zum Beispiel, wenn mein Vater sagte: ›Nächstes Mal, wenn ich anstehe, bekommst du ein Fahrrad.‹« (Roman Ondák)

Und schließlich erinnerte auch Ondáks Projekt Measuring the Universe, das 2007 in der Pinakothek der Moderne in München und 2009 im MoMA in New York mit großem Erfolg beim Kunstpublikum realisiert wurde, an eine alltägliche Kindheitserfahrung: So wie wir als Kinder von unseren Eltern am Türrahmen vermessen wurden, so markierten hier Museumswärter mit schwarzem Filzstift die Körpergröße der Ausstellungsbesucher mit Namen und Datum auf der Museumswand. Im Laufe der Aktion färbte sich die weiße Wand schwarz, verdichteten sich die feinen Bleistiftstriche zu einem breiten Band. Das Publikum selbst »machte« die Kunst. Noch einmal Roman Ondák selbst: »Ich glaube, man kann nur vermuten, warum sich Menschen von dieser Arbeit angezogen fühlen. Es könnte […] sein, […] dass sie für die Besucher die einfachste Tatsache repräsentiert, dass man mit den archaischsten Mitteln ein komplexes Bild erzeugen kann, das mit den neuesten High-Tech-Medien konkurrieren kann. Und sie sind ein Teil davon.«

veröffentlicht am 26.6.2012 – Stefanie Gommel