LAWRENCE WEINER

Lawrence Weiner
Lawrence Weiner (1942–2021 in der Bronx, New York) studierte Literatur und Philosophie am Hunter College in New York. Nach intensiver Auseinandersetzung mit den traditionellen Künsten Malerei und Skulptur entwickelte er Ende der 1960er-Jahre im Gebrauch von Sprache seinen eigenen künstlerischen Ansatz. Sein Werk wurde in zahlreichen Einzelausstellungen und bedeutenden internationalen Großausstellungen präsentiert. In jüngerer Zeit richteten unter dem Titel AS FAR AS THE EYE CAN SEE das Whitney Museum of American Art, New York, das K21, Düsseldorf, und das Museum of Contemporary Art, Los Angeles, eine Retrospektive seines Schaffens (2007/08) aus. Weiner war Teilnehmer der documenta 5 (1972), 6 (1977) und 7 (1982) und ist auch 2012 auf der dOCUMENTA (13) in Kassel vertreten. Der Künstler lebte in New York und Amsterdam.

Ein Bildhauer der Sprache

»Was Kunst interessant macht, ist die Tatsache, dass jeder sie realisieren kann, sobald die Idee formuliert ist. Das ist der Punkt.« ⸺ Lawrence Weiner

Der amerikanische Künstler Lawrence Weiner hat mit seinem Werk den Skulpturbegriff wesentlich erweitert. Sein künstlerisches Material ist die Sprache. Anfänglich präsentierte er seine Spracharbeiten ausschließlich in Buchform (Statements, 1968), bis heute finden sie sich auch in zahlreichen anderen Medien und Präsentationsformen: als Installationen im musealen oder öffentlichen Raum, großformatig auf Wände gemalt, in Eisenplatten gegossen oder auf Plakate gedruckt, auf Gegenständen wie Ansteckbuttons oder Streichholzbriefchen in den Alltag »eingeschmuggelt«, in Videos oder Filmen, auf Schallplatten oder Tonbandaufnahmen. 

Die Anordnung des Textes und die Schrifttype sind die elementare ästhetische Basis seiner Arbeit. Weiner verwendet meist Großbuchstaben und ausgewählte, einfache (Schablonen-)Schriften, unter anderen die vom Künstler selbst gezeichnete, serifenlose Margaret Seaworthy Gothic, die den rohen Charakter eines Stempeldrucks innehat. Andere Schriften, etwa die Helvetica, lehnt er strikt ab: »Das ist eine der Schriften, die ich zutiefst verabscheue. Sie sagt, das ist gebildet, das ist intellektuell, und das ist intelligent. Ich fürchte aber, dass Worte zunächst nicht gebildet, intellektuell oder intelligent sind.«

Das typografische Erscheinungsbild, Klang und Rhythmus von Sprache, ihre spezifischen lexikalischen und grammatischen Strukturen, die vor allem bei der Übersetzung relevant sind – Lawrence Weiners Interesse gilt Sprache in ihren vielfältigen Aspekten. Doch versteht er seine sprachbasierten Arbeiten als Sculptures und grenzt sie in einem Interview deutlich von Poesie ab: »Das ist nicht schwer zu beantworten. Sie sind nämlich tatsächlich Skulpturen, denn sie zeigen die Beziehung von Gegenständen zu Gegenständen, und das ist die Idee und die Absicht von Skulptur. […] Vielleicht sind meine Arbeiten auch poetische Skulpturen. Ich finde, das ist kein schlechtes Wort, Poesie, aber ich bin kein Dichter, denn die befassen sich mit der Beziehung von Menschen zu Menschen.« Der skulpturale Charakter der Spracharbeiten wird immer wieder auch durch ihre Materialität betont, Weiner gießt Lettern in Bronzeplatten oder verwendet Schablonenschriften, die in Stahl geschnitten, aus Papier gestanzt oder aus Plastik geformt sind.

In den Werken, die oft Buch-, Film-, Songtitel oder Redewendungen zitieren, ist das grammatische Gefüge meist aufgebrochen. NACH ALLES / AFTER ALL etwa betitelte der Künstler im Jahr 2000 eine Auftragsarbeit für die Deutsche Guggenheim in Berlin: Lawrence Weiner übergeht in seiner Übersetzung die idiomatische Wendung »nach allem«, bewahrt jedem der einzelnen Wörter seine eigene Bedeutung, verweigert eine Narration. Auch lehnt der Künstler einen metaphorischen Gebrauch der Sprache ab. Weiners Kunst entfaltet sich erst im Geist des Betrachters, sie ist Denkanstoß, ihre Deutung ist absolut offen – eine Kunst, die man im Kopf nach Hause tragen kann.

Ende der 1960er-Jahre gelangte Lawrence Weiner zu der Überzeugung, dass ein Kunstwerk unabhängig von seiner künstlerischen Realisierung, allein als schöpferische Idee existiert. Er gilt seither als Pionier der Konzeptkunst und Anreger zahlreicher nachfolgender Künstler. 

In seinem bis heute gültigen Statement of Intent, das über sein eigenes Werk hinaus von entscheidender Bedeutung für die Kunst der folgenden Jahrzehnte war, veränderte er die bis dahin gängige Definition des Kunstwerks: »(1) Der Künstler kann das Werk selber herstellen. (2) Das Werk kann angefertigt werden. (3) Das Werk braucht nicht ausgeführt zu werden. Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der Absicht des Künstlers. Die Entscheidung über die Art der Ausführung liegt beim Empfänger im Moment der Übernahme.« 

Der Künstler nimmt sich im Werkprozess als alleiniger Urheber des Kunstwerks zurück zugunsten des Rezipienten, dem er eine aktive, produktive und emanzipierte Rolle überträgt – eine radikale Erneuerung der traditionellen Beziehung zwischen Künstler und Betrachter.

veröffentlicht am 6.6.2012 – Stefanie Gommel (aktualisiert am 27.6.2022)
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Veröffentlicht am: 06.06.2012