INTERVIEW MIT YAN WANG PRESTON

»Bäume haben einen Charakter, sie sind mysteriöse Wesen.« ⸺ Ein alter Baum mitten in einer modernen Stadt, er wurde für viel Geld umgepflanzt. In Chinas Metropolen passiert das täglich. Die Fotografin Yan Wang Preston spricht über ihr Fotoprojekt Forest und das Geschäft mit den Bäumen.

Sie fotografieren umgepflanzte Bäume in China. Einem haben Sie sogar einen Namen gegeben: Frank. Was hat es mit ihm auf sich?

Frank ist der einzige Baum, den ich fotografiert habe, bevor er nach dem Ausgraben abtransportiert wurde. Ich war durch Zufall in dem Dorf, wo er groß geworden war, bevor es zerstört wurde. Wie ein Mensch habe ich ihn hier und da fotografiert. Mit Bäumen geht das normalerweise ja nicht. Ich empfand eine Art persönliche Verbindung mit Frank. Ich habe ihn gesehen und diesen Namen irgendwie gefühlt. Die meiste Zeit sonst habe ich auch eher Waldgebiete fotografiert. Da waren immer viele Bäume. Aber Frank war immer nur Frank. Leider hat er an seinem neuen Standort vor einem Hotel nicht überlebt. Nur die rote Erde war nach zwei Jahren noch da. Es ist kein schönes Bild, aber es ist wichtig für mich.

Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, sich mit Bäumen zu beschäftigen?

Das erste Mal aufgefallen sind mir diese seltsamen Bäume schon 2010, als ich für ein anderes Projekt in China war. Es waren alte Bäume, ihre Äste waren abgeschnitten, sie standen in Plastiksäcken auf brandneuen, öffentlichen Plätzen. Ich machte einige Fotos, aber beschäftigte mich noch nicht weiter damit. Beim nächsten Besuch fielen mir noch mehr solcher Bäume auf. Das Thema sprach mich emotional an. Die Bäume wirkten so gequält! Also begann ich ein Langzeitprojekt und besuchte die Orte immer wieder.

Was ist mit den Bäumen passiert?

Manche sehen immer noch halbtot aus, stehen aber noch da. An anderen Orten sind die Bäume wieder verschwunden. Ganze Gegenden wurden noch einmal umgebaut. Ich konnte teilweise nicht einmal mehr meinen ursprünglichen Standort wiederfinden. Aber es gibt auch Bäume, die sich ganz gut entwickelt haben. Sie sind gewachsen, ein richtiger Wald ist entstanden. Das war fast schon beängstigend! Sieben Jahre davor war da nur ein Feld mit umgepflanzten Bäumen.

Also zeigt die Aktion zumindest teilweise Erfolg?

Ja, die Geschichte ist komplizierter, als ich anfangs dachte. Einen Großteil der Fotos habe ich in Chongqing gemacht. Das ist eine Millionenstadt im Wachstum, die sich selbst vorgenommen hat, eine grüne Stadt zu werden. Bei meinen ersten Besuchen sah ich häufig Werbeplakaten mit den fünf Leitlinien. Gleich an erster Stelle: Wir wollen eine Wald-Stadt sein! Tatsächlich hat sich die Stadt während meines Projekts verändert. Sie sieht viel freundlicher aus. Aber die Stadt hat die Wälder eben mit alten Bäumen angelegt, weil sie zu ungeduldig war, um zu warten, bis junge Bäume wachsen. Es bleibt ein Geschäft.

Wie funktioniert das Geschäft mit den Bäumen?

Viele der Bäume kommen aus Dörfern, die zerstört werden, weil dort neue Städte oder Industrie entstehen. Das passiert in China quasi täglich. Am Jangtsekiang sind zum Beispiel um die 30 neue Wasserkraftwerke entstanden, alle Dörfer in der Nähe wurden dafür geflutet. Diese Dörfer sind oft alt, die Bäume dort auch. Das ist eine Hauptquelle für die umgepflanzten Bäume in den Großstädten.

[...]

Die Bäume scheinen für Sie fast menschliche Züge zu haben?

Ja, ich wollte anfangs auch nur die Bäume porträtieren, wie lebendige Skulpturen. Erst später habe ich dann auch die urbane Architektur und die Menschen mitfotografiert. Bäume haben einen Charakter, sie sind mysteriöse Wesen. Verschiedene Kulturen haben verschiedene Arten, symbolisch mit Bäumen umzugehen. Aber überall werden Bäume mit dem Lebenskreislauf assoziiert.

Es gibt auch einige Fotos ganz ohne Bäume. Was wollen Sie damit zeigen?

Je länger ich mich mit den Bäumen beschäftigt habe, desto mehr habe ich über die Farbe Grün nachgedacht und darüber wie sie für Umweltfreundlichkeit steht. Grün ist besser! Aber mit diesem Konzept findet auch viel Missbrauch statt. Hauptsache ein Baum, auch wenn er aus Plastik ist, denken manche. Und in manchen Orten in China geht es so weit, dass steile Berghänge, an denen nichts wächst, mit grüner Plastikplane abgedeckt werden. Einfach nur, damit es aus der Ferne grün aussieht. Als ich das durch Zufall sah, musste ich das festhalten.

[...]

Das komplette Interview, geführt von Kathrin Fromm, können Sie auf Spiegel Online nachlesen.

Mit ihrem Fotoprojekt Forest gewann Yan Wang Preston den ersten Preis des Syngenta Photography Award.

veröffentlicht am 6.9.2018

Unsere Empfehlung