INTERVIEW MIT FRANK HORVAT

»Je mehr man entfremdet ist von der Zeit, desto interessanter scheint sie.« ⸺ Nadine Barth, Programmberatung Fotografie im Hatje Cantz Verlag, wirft im Gespräch mit dem Fotografen Frank Horvat im südfranzösischen Cotignac einen Rückblick auf sein jahrzehntelanges Schaffen.

Lassen Sie uns über Ihr Frauenbild sprechen.

Die Wahl der Modelle war eigentlich das Wesentliche meiner Arbeitsweise. Das Recht, zu wählen habe ich mir erkämpft. Meist war ich schon entschlossen, wenn ich sie am Telefon hatte – ohne sie zu kennen, allein von der Stimme her.

Das wäre heute unvorstellbar. Hatten die Models früher mehr Ausdruckskraft, Charisma?

Ich weiß, dass Frauen, die man schön fand, selten waren. Heute ist die Mehrheit der Frauen ziemlich hübsch, aber eher auf eine stereotype Weise. Das ist wie mit den Autos.

 Ja, heute ist alles aus Plastik.

Aber mit schönem Design. Der Unterschied ist, dass vorher die Dinge so waren, wie sie sind, weil sie eine Geschichte hatten. Und heute sind sie so, weil irgendjemand sie in einem Designbüro gezeichnet hat. Doch ich bin trotz meines Alters nicht »Passeist«. Ich bin mit meiner Zeit sehr zufrieden, und wenn es einige Jahre weitergehen könnte, wäre ich auch sehr zufrieden. Mit der Mode ist es anders. Modezeitschriften sehe ich einmal alle zwei Monate – wenn ich beim Coiffeur bin (gestern zum Beispiel) –, aber die gefallen mir nicht mehr.

 Was stimmt denn nicht?

Wenn ich in ein Museum gehe, kann ich mir die Frauenbilder vergangener Jahrhunderte anschauen. Die vorhistorische Venus etwa mit ihrem riesigen Arsch und hängenden Brüsten. Die Griechen, die Römer, das kann ich nachvollziehen. Nofretete – wunderschön. Schon bei den Byzantinern kann man sich ein bisschen wundern. Auch bei Dürer. Wenn es in 500 Jahren noch Menschen gibt (was nicht so sicher ist), aber wenn die sich Modemagazine von heute anschauen, werden sie sich wundern, was wir für ein Frauenideal haben. Und sich fragen: Was waren das für Leute? Was wird man von den Frauen von Helmut Newton denken? Die Frauen in den Magazinen von heute haben keine Würde. Und Würde war den anderen Zivilisationen doch sehr wichtig. Diese Idee ist verloren gegangen. Der einzige, der sich immer daran gehalten hat, ist Irving Penn. Dafür habe ich ihn immer bewundert.

 Wie kamen Sie überhaupt dazu, Mode zu fotografieren?

Erst einmal suchte ich wie alle Fotografen Arbeit. Und zweitens war mein Geschmack betreffend Frauen mir sehr wichtig und das Umgekehrte vom Typus meiner Mutter. Was Sigmund Freud natürlich sehr gut erklären könnte. Meine Mutter war klein, betrachtete sich als zu dick, war sehr intellektuell und sehr gescheit. Und tja, was ich suchte, war das Gegenteil.

Groß, schlank und eher schlicht?

Ich wollte, dass die Frauen möglichst »sie selbst« seien. Später, als es diesen natürlichen Typus gab, »girl next door«, gefiel mir das nicht mehr, weil es auch ein Stereotyp war. Mein Spaß ist es, etwas zu zeigen, was nur ich sehe. Etwas zu zeigen, dass das Model zeigen will, interessiert mich nicht.

Ihre ersten Aufträge bekamen Sie von Jardin des Modes...

Ich hatte keinen Assistenten, kein Studio. Eigentlich ein Manko. Für die Zeitschriften erwies es sich aber als ein Trumpf – es war der Anfang der Prèt-â-porter: Die Mode kam nicht mehr von den Schneidern der Haute Couture, sondern von einer Industrie. Und die Industrie hatte Geld für Werbung, das war für die Zeitschriften das Neue und Interessante. Da passten meine Bilder von der Straße gut hinein.

Sie waren einer der ersten, die rausgegangen sind.

Richard Avedon hatte das schon gemacht Und Martin Munkacsi, vor dem Krieg. Aber was sie nicht machten, war, die Beziehung zu dem Model zu einer persönlichen Sache zu gestalten. Was nicht unbedingt bedeutete, dass ich mit allen ins Bett wollte. Manchmal schon, aber eigentlich nicht so oft.

Ich habe den Eindruck, es gibt in vielen Ihrer Bilder eine Art Komplizenschaft zwischen Ihnen und dem Model.

Ja, die gab es. Aber nur wenn sie bereit waren, ihre gelernte Attitüde zu durchbrechen. Dann konnte etwas Schönes entstehen. Doch eigentlich habe ich mich Jahrzehnte lang für meine Modebilder geschämt.

Warum denn?

Weil es die Botschaft von irgendeinem Fabrikanten und nicht meine eigene war. Bei Reportagefotos stellte ich mir eher vor, es sei meine Botschaft. Kurz gesagt: Modefotografie war eine Art Prostitution. Und darauf war ich nicht besonders stolz. Ich hab sie ziemlich verachtet, auch meine eigene. Erst jetzt denke ich, es gab einige Momente, vielleicht einige hundert Momente, die ich gern wiedererleben möchte. Und das ist der Grund, warum ich das Buch mache. Weil ich diesen Momenten dankbar bin und ich das Gefühl habe, das schulde ich ihnen. Sie wissen, ich bin 87, es ist meine Sorge, alles so ordentlich als möglich zurückzulassen.

Ihre Modefotos sind bereits Ikonen. In dem Buch kann man die Entwicklung Ihrer Arbeit ganz gut nachvollziehen, auch den Wechsel der Stile.

Ich bin zweisprachig aufgewachsen und dann kamen noch zwei, drei Sprachen dazu. In der Modefototgrafie drückte sich das dadurch aus, dass ich nie nur für eine Zeitschrift arbeitete, sondern für ganz verschiedene, so wie Elle in Paris und Vogue in London und Harper’s Bazaar und Glamour in New York. Und jedes Mal war es eine andere Sprache. Und von einem Jahrzehnt zum anderen wurde es auch eine andere Sprache. Das gefiel mir und war mir wichtig. Auch das wollte ich in diesem Buch zeigen. Ob das Publikum es dann mitbekommt, weiß ich nicht – und eigentlich bekümmert es mich nicht allzu sehr. Viele finden meine Fotos der 60er am besten. Die Bilder kann ich nicht ändern, aber ich kann erklären, wo und wie, und vielleicht überlegen sie es sich dann.

Wir sehen das vom heutigen Standpunkt aus. Jede Zeit hat ihre Moden. Gerade finden wir die 80er spannend.

Je mehr man entfremdet ist von der Zeit, desto interessanter scheint sie. Aber es ist auch möglich, dass ich in den ersten Jahrzehnten inspirierter war.

Oder anders. Gibt es Bilder, die Sie besonders gern mögen?

Man gewöhnt sich an die Resonanz, die gewisse Bilder hatten. Wenn ich weiß, das hat allen gefallen oder das haben viele Sammler gekauft, dann glaube ich, dass es gut war.

Das Foto mit den Hüten, auch unser Titelmotiv, ist Ihr bekanntestes Bild.

Ja, das hat mir mehr Geld eingebracht als alle anderen zusammen. Und es ist ein Bild, das ich nicht besonders mag. Erstens weil man es mir befohlen hat, es zu machen. Der Art Director machte eine kleine Zeichnung und sagte, das will ich. Das war mir schon mal überhaupt nicht recht, aber ich musste. Und dann: Ich kann es nicht mehr sehen. Ich hab’s zuviel gesehen.

Ich mag das eine Bild, auf dem man nur ein Gesicht mit Sonnenbrille sieht, und, dahinter angeschnitten, ein Teil eines Kostüms mit Gürtel. Einen Dackel gibt es auch noch.

Das war die Zeit, in der ich anfing, mir zu sagen, all das, was die Modelle mit ihrem Gesicht zeigen können, ist unaufrichtig. Davon will ich nichts. Ich will, was ich entdecke. Da versuchte ich oft, den Kopf abzuschneiden.

Sehr modern.

Ich hatte mal eine große Ausstellung zum 200. Jahrestag der französischen Revolution, da sagte ich dem Journalisten, ich mache es wie Robespierre, ich schneide die Köpfe ab. Und das kam in allen Zeitungen.

Von der Straße sind Sie dann wieder zurück ins Studio gegangen – warum?

In den 60er-Jahren dachte ich, wozu brauche ich die Straße, die Autos, die Hunde, usw., das sollte einfach vor einem grauen Hintergrund gehen. Und das wurde dann immer komplizierter. Auch deshalb, weil die Kleider meistens scheußlich waren. Die Kleider konnte ich nicht ändern, also versuchte ich das Gegenteil: Zurück auf die Straße, aber ich dirigierte nicht, ich ließ es geschehen und knipste einfach wie ein Paparazzo.

Und dann kam die Farbe...

Ich hatte schon Farbbilder in den 50er-Jahren gemacht. Und da war das sogar so besonders, dass eine Farbseite doppelt so gut bezahlt wurde wie eine schwarz-weiße. Später ging ich bewusst zur Farbe über, ohne dass mich Farbe besonders interessierte. Aber ich dachte mir, die Filme sind heutzutage in Farbe, das Fernsehen ist in Farbe, also ist es Zeit. Dabei war das kompositorisch schwerer. Wenn ein gelbes Taxi vorbeifährt, stört es mich möglicherweise. Das änderte sich dann mit dem Aufkommen des Computers. Da konnte man die Farbe ändern...

... und das gelbe Taxi wird grün. In den 80ern experimentierten viele mit Polaroid-Film oder Negativfilmen, die gecrosst wurden. Dagegen haben Sie Ihren Klassizismus in Stellung gebracht.

Ich war damals nicht so interessiert, was andere machen. Bei der French Vogue war wir drei Stars: Die anderen beiden, die vielleicht mehr Stars waren als ich, waren Helmut Newton und Guy Bourdin. Helmut hatte seine Sexgeschichten gefunden, das war ein großer Erfolg.

Und Bourdin hatte seine Schuhgeschichten.

Er hatte eine gute Beziehung zu einer Schuhfirma. Bei mir war es auch nicht Liebe zu Schuhen, sondern zu Aufträgen. Wir hatten eine relativ gute Zeit bei der französischen Vogue.

Eine große Zeit.

Ja, aber auch in den 80ern hatte ich einen ganz wunderbaren Kunden: Das Magazin der FAZ. Dort konnte ich machen, was ich wollte, ich wählte sogar die Kleider. Eine Traumsituation. Und merkwürdigerweise, sonst würde ich nicht darüber reden, war das nicht immer mein Vorteil. Ich sehe jetzt, dass in Situationen, in denen ich gezwungen war, etwas zu tun, etwas tun musste, dass ich gar nicht wollte, es besser war, als das, was ich wollte.

Meine Großmutter sagte immer angelehnt an den kategorischen Imperativ von Kant: Man muss wollen, was man muss.

Das kannte ich nicht, das ist schön. Werbung habe ich selten gemacht. Ich kann nicht arbeiten, wenn jemand hinter mir steht und sagt, jetzt soll sie noch ein bisschen mehr lächeln. Das Resultat war, dass meine Arbeit immer weniger gut bezahlt war, als die Magazine ärmer wurden.

Sie setzen sich heute mit den neuen Medien auseinander.

Ich mache ein kleines Experiment mit Facebook. Auf der Seite kommt jeden Tag ein Dyptich, zwei Bilder, bei denen man sich eine Beziehung denken kann. Und ich habe mich sehr amüsiert, die zusammenzustellen. Es gibt 1000 Leute, die es anschauen in der Woche und etwa 50, die regelmäßig zurückkommen. Kein sehr großes Publikum, aber was mich interessiert, ist, worauf Leute reagieren. Und es ist oft anders, als ich es dachte. Jeden Tag schaue ich mir die Zahlen an, da bin ich sehr neugierig.

Ich habe schon Anfang der 90er mit dem Computer gearbeitet. Ganz viel machte ich mit Photoshop One, mit der ersten Version. Mit der Konsequenz, dass ich die späteren Verbesserungen nicht mitbekam. Es gibt etwa Fälle, wo es richtig wäre, mit Layers zu arbeiten, und ich mach’s nicht, weil ich es nicht gewöhnt bin.

Ab wann sind Sie zur digitalen Fotografie übergegangen?

Ich habe digital fotografiert, sobald es möglich war. Heute fotografiere ich nur noch digital, schon seit mehr als zehn Jahren.

Es gibt Künstler, die schwören auf analoge Fotografie und lassen ihre Prints sogar noch analog ausbelichten. Damit in Farbbildern diese Zwischentöne herauskommen. Gegen die knackige Schärfe. Wie sehen Sie das?

Wenn’s funktioniert, warum nicht. Mir ist im Gegenteil die Schärfe wichtig, ich finde sie interessant. Darum fotografiere ich mit diesen ganz kleinen Kameras, die ich in der Tasche habe. Weil bei denen die Tiefenschärfe viel größer ist. Und das passt mir. Das ist wie beim Jonglieren: Wenn man Bälle in die Luft wirft und wieder auffängt. Tja, und wenn man mit 16 Bällen jongliert, ist es interessanter als mit 3. Wenn alles scharf ist, sind es eben 16 Bälle.

Schönes Bild.

Das ist auch die Idee des Modebuches, die Kontinuität und die Diskontinuität. Woher kommt es, wohin geht es.

Können Sie ungefähr schätzen, wie viele Bilder Sie gemacht haben?

Das ist ziemlich bedeutungslos. Wenn ich an alle Modebilder denke, wo ich 8 Rollen von 36 Bildern gemacht habe, um ein Bild zu haben. Wie zählt man das?

Ich frage, weil ich beobachte, dass heute anders fotografiert wird. Früher hatte man dann mit 10 Rollen 360 Bilder am Tag, vielleicht sogar mehr, heute mit den digitalen Möglichkeiten hat man gleich ganz schnell 3.000. Da wird gar nicht so lang gedacht, gebaut, geguckt, bis alles perfekt ist. Es gibt die Polaroids nicht mehr, also keine Tests. Jetzt probiert man alles aus, haut das so weg, egal, ob’s passt oder nicht, und dann kann man in der Post daraus was basteln.

Bei mir geht’s genau umgekehrt. Als ich mit der Nikon gearbeitet habe, hatte ich natürlich das Bild, das ich machte, weniger später vergessen. Und dann etwas anderes probiert. So kamen acht Rollen für ein Kleid zusammen, das dauerte vielleicht zwei Stunden. Oft war das erste Bild das beste oder das letzte. Aber so einen 36er Film schneidet man nicht auseinander. Die liegen irgendwo in Schachteln. Und wenn ich mir die nach 50 Jahren wieder anschaue, dann merke ich vielleicht, dass im Hintergrund ein altes Auto war und das finde ich lustig. Heute sehe ich etwas, das ich interessant finde, knipse, und dann schaue ich mir das gleich an. Wie ein Polaroid. Und ich weiß, ich hab’s oder ich hab’s nicht. Vielleicht hätte ich etwas mehr Platz auf der rechten Seite lassen können, dann mache ich ein zweites Bild, ein drittes oder viertes, aber kein fünftes. Und wenn ich die Bilder dann auf dem großen Bildschirm ansehe, finde ich, dass das erste Bild das richtige war. Ich knipse viel weniger als früher. Und werde in 50 Jahren das alte Auto kaum entdecken. Und dass ein anderer das Auto entdeckt, will ich auf keinen Fall.

Sie haben geschrieben, dass Sie der Zeit immer entweder voraus waren oder hinter ihr, aber nie das Gefühl hatten, ich bin in der Zeit. Aus der Zeit gefallen sozusagen.

Aber auch aus dem Ort. Ich war immer und bin immer ein Outsider. Das ist natürlich nichts Außergewöhnliches für einen Juden. Aber ich auch den Juden gegenüber ein Outsider. Ich war nie in einer Synagoge. Aber ich habe nie darunter gelitten.

Dennoch sind Modefotos ja Abbilder des Zeitgeistes.

Den Zeitgeist kann man möglicherweise besser abbilden, wenn man ein wenig draußen steht.

Und heute gelten die Bilder, die Sie gemacht haben, als zeitlos. Das ist doch seltsam.

Ich habe immer gedacht, dass meine Modebilder zeitlos seien. Aber als ich keine mehr gemacht habe, merkte ich, dass ich passé bin. Ein »Has been«. Ganz plötzlich. Wenn heute Vogue anriefe und sagte, du sollst für uns fotografieren – ich wüsste nicht, was zu tun.

Wollten Sie immer Fotograf werden oder bleiben?

Es gibt Dinge, die ich lieber mag, etwa schreiben. Wenn ich ein zweites Leben haben würde und das beeinflussen könnte, würde ich Theaterdirektor sein. Regie führen. Irgendwann habe ich einen Film über Ingmar Bergmann gesehen, da war ich so neidisch auf ihn.

Ein großer Geschichtenerzähler. Sie haben Modefotografie aber auch manchmal wie einen Film inszeniert, z.B. einem schrägen Agententhriller.

Ich liebte solche Referenzen. In diesem Fall machte Vogue eine Sondernummer nach Hitchcock. Und die Idee war, dass man, weil die Vogue ja viele Produkte zeigen musste, irgendeinen Schuh, ein Kleid, etc. darin sieht und sich eine Geschichte überlegt. Das Spiel gefiel mir.

In Blow-Up, das im London der 60er-Jahre spielt, wird umgekehrt die Modefotoszene zum Gegenstand des Filmes.

Antonioni kam damals in mein Studio, um mich auszufragen und Material zu sammeln. Ich fühlte mich geschmeichelt. Doch als ich den Film sah, war ich sehr böse. Diese Situation, in der man ein bisschen vögelt und ein bisschen knipst und dann wieder vögelt – so war es nicht. Jedenfalls nicht für mich. Nicht dass ich das nicht gewollt hätte, aber es kam nicht in Frage. Dann wäre das Bild nicht gelungen.

veröffentlicht am 12.4.2015
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Veröffentlicht am: 12.04.2015