INTERVIEW MIT ALFRED SEILAND

»Mir geht es um die Konfrontation von Moderne und Antike« ⸺ Der Fotograf Alfred Seiland hat in jahrelanger Arbeit die Spuren des römischen Weltreiches erkundet und zeigt die Essenz dieses Großprojektes unter dem Titel Imperium Romanum. Das Interview über Größenwahn, Stativ-Aufstell-Genehmigungen und Strandmatten in Neros kaiserlicher Villa führte der Fotokünstler und Journalist Andreas Langen.

Die unvermeidliche Eingangsfrage: wie kam es zu Ihrem Projekt Imperium?

Eher zufällig. Ein Auftrag des New York Times Magazine führte mich zur Cinecittà in Rom. Ich sollte dort 2006 die Dreharbeiten der TV-Serie Rome fotografieren. Diese Produktion hatte den meines Wissens größten Etat aller Zeiten für eine Fernsehserie, etwa 100 Millionen Dollar. Unter Anleitung erstklassiger Wissenschaftler wurde buchstäblich jedes Stück Requisite historisch möglichst getreu nachgefertigt. So kamen Seiden aus Indien, Messingarbeiten aus Marokko. Schließlich nahmen diese Artefakte zwei Drittel von Cinecittà ein, und zwar in atemberaubender Qualität: Man musste gegen die Kulissen klopfen, um echten Marmor vom Imitat zu unterscheiden. Sie können sich vorstellen, dass meine Entscheidung schnell feststand, ausschließlich diese sensationellen Kulissen zu fotografieren. Als dann noch ein hochmögender Architekturkritiker der New York Times einen Text schrieb über das Verhältnis von antikem Erbe zum heutigen Bestand und unserem Umgang damit, da hatte ich meine Version des Themas.

Gerade erscheint hier bei Hatje Cantz ein wunderschöner Band über Goethe in Italien, mit fantastischen Fotografien aus dem 19. Jahrhundert. Ein solch nostalgischer Blick hat Sie nicht gereizt?

Nein, mir geht es um die Konfrontation von Moderne und Antike. Nur so kann ich mich motivieren, dieses Thema überhaupt anzugehen. Viele Motive meiner Bilder sind ja, wie Sie sagen, seit Beginn der Fotografie ungezählte Male abgelichtet worden. Nur wenn es mir gelingt, diesem Kanon etwas Neues hinzuzufügen, mache ich ein Bild. Das klappt bei weitem nicht immer, und es erfordert langen Atem. Ich arrangiere nichts, habe aber eine Vorstellung, wie das Bild aussehen soll. Am Strand in Anzio etwa wollte ich die Touristen in einer ganz bestimmten Verteilung auf der Bildfläche. Erst als die Badematten passend in den antiken Überresten von Neros Villa herumlagen, konnte ich belichten. Bis sich das fügte, waren etliche Besuche nötig.

Wobei es selbst ohne situative Hindernisse ein vertracktes Dauerproblem in Ihrem Projekt gibt: die Frage nach der Motiv-Auswahl – angesichts einer Hinterlassenschaft, die man selbst in mehreren Lebenswerken nicht komplett erfassen kann.

Die unüberschaubare Größe ist durchaus hilfreich: sie unterbindet von vornherein jeden Gedanken an Vollständigkeit. Andere Hindernisse sind weit zäher, als man es sich daheim bei der Vorrecherche ausmalen kann: das Aufstellen von Stativen, bzw. eine Genehmigung dafür zu erhalten, erfordert an vielen Orten eine Art Spezialwissen, das wahrscheinlich in Geheimbünden von Bürokratie-Priestern gehütet wird. Aber es stimmt schon, das Thema ist erdrückend umfangreich. Je weiter ich in Recherchen und auf Reisen vorankam, desto größer schien es zu werden. Man kommt ja nicht als erstes auf Dinge wie Steinbrüche oder Kulturlandschaften, um nur mal zwei Themenfelder zu nennen. Alleine dazu könnte ich mittlerweile eigene Publikationen machen. Aber ich möchte niemanden mit Typologien langweilen. Wenn also eine bestimmte Zahl an Theatern, Palästen, Tempeln oder sonst einem Sujet vorkommt, dann versuche ich, für jedes Bild eine eigene Version des Themas zu finden: von innen, von außen, tags, nachts, als Veranstaltungsort oder menschenleer. Das reduziert die potentiellen Motive bereits beträchtlich.

Ist nicht auch Ihre Arbeitsweise hilfreich, um Bilderfluten erst gar nicht aufkommen zu lassen? Sie sind ja ein strikt analoger Lichtbildner.

Das ändert sich gerade zum Teil: Aufnahmeseitig bevorzuge ich nach wie vor den analogen Farbnegativfilm, auch wenn das inzwischen schon extrem teuer geworden ist. Grundsätzlich habe ich ein pragmatisches Verhältnis zur Technik. Digitales ist in Ordnung, wenn die Qualität stimmt. Im großformatigen Bereich erfordern Kratzer und Staub im Negativ ja immer wieder eine aufwändige analoge Retusche der Vergrößerungen. Ein guter Scan kann das ersparen. Außerdem können Daten dann für die Zukunft unterschiedlich weiterverwendet werden, eine Ausbelichtung auf Fotopapier ist ja auch möglich. Grundsätzlich vermeide ich unnötige Belichtungen. Beim Projektstart zum Beispiel, in der Cinecittà, entstanden circa 15 Bilder in zehn Tagen.

Genau das Gegenteil digitaler Bilderflut. Sind Sie mit der Ausrüstung ähnlich spartanisch?

Ich verwende, was ich brauche. Das ist seit 35 Jahren eine Großbildkamera im Format 4x5 inch – dafür hatte ich den passenden Vergrößerer – ein Normalobjektiv und ein Weitwinkel. So erziele ich Bilder, die der tatsächlichen Wahrnehmung vor Ort nahe kommen, wegen großer Detailliertheit und durchgängiger Tiefenschärfe – der Betrachter soll mit Blicken durch die Szenerie spazieren können, fast als stünde er real davor. Aber um auf Ihre Frage nach den Auswahlkriterien zurückzukommen: ganz wichtig ist natürlich die Geographie. Historische Orte vom schottischen Hadrianswall bis nach Kleinasien zu zeigen, das muss schon sein. Und zu guter Letzt helfen, ganz banal, äußere Faktoren wie Termine: die Drucklegung des Buches, und die erste Vernissage, im November im Römisch-Germanischen Museum Köln.

Was zu der Frage führt, welche Version dieses Projektes für Sie welche Rolle spielt: Wie betrachten Sie das Verhältnis von Print, limitierten Exponat und einem Buch – dem wir jetzt mal eine satte Auflage wünschen?

Jedes hat seinen Platz. Ich sehe keine Konkurrenz, eher eine Bereicherung und Erweiterung, weil sich die verschiedenen Medien ergänzen. Der Ausgangspunkt sind die Bilder. Die müssen, wie bereits gesagt, als autonome Werke bestehen können.  Bis vor kurzem waren diese Bilder, als von mir handgefertigte Abzüge, der Mittelpunkt meiner Arbeit; Druckversionen gab es meist nur in Magazinen, und dort war die Qualität im Vergleich zum Print natürlich schauderhaft. Bei Imperium Romanum ist es anders, aus mehreren Gründen. Vor allem wird die Qualität stimmen, in Sachen Druck, Gestaltung, Material. Zudem machen wir das schöne Experiment, zwei Versionen des Buches anzubieten: einen wirklich sehr preiswerten Katalog zur Ausstellung, in Umfang und Ausstattung kompakt; und das ganz große Kino in Gestalt eines monumentalen Prachtbands.

Dazu kommt noch eine ganz andere Ebene, die dem Buch gegenüber jedem noch so schönen Print eine eigenständige Qualität verleiht: die Texte.

 ...die es zum Zeitpunkt dieses Gespräches noch nicht gibt. Bitte skizzieren Sie doch mal, wie diese Ebene angelegt sein wird.

Es werden erläuternde Texte sein, die den historischen Kontext der Aufnahmen herstellen. Zu Beginn des Projektes 2006 schwebte mir eine Bildersammlung vor, mittlerweile ist es ein halbwegs wissenschaftliches Vorhaben. Je länger das Projekt dauerte, desto mehr Kontakte zu Archäologen sind entstanden, und deren Interesse an meiner Arbeit wuchs ebenso. Für diese Wissenschaftler ist meine Blickweise ein Gewinn, weil ich oft die Umgebung und die heutigen Umgang mit ihrem Fachgebiet einbeziehe. So entstehen neue Netze von Bezügen. Ein Beispiel: ich zeige die zwanzig Meter mächtige Lavaschicht, in der Herculaneum versank. Auf einem zweiten Bild sieht man einen Saal des Neapolitanischen Archäologiemuseums mit Bronze-Skulpturen der Villa dei Papiri, die aus dieser Lavaschicht geborgen wurden. Weiter hinten im Buch beugt sich ein Besucher über die Replik derselben Figuren, die J. Paul Getty im Nachbau der verschütteten Villa hat aufstellen lassen – als Teil eines Studienzentrums in Malibu, der Getty Villa. Und noch ein paar Seiten weiter sieht man die wahrhaft größenwahnsinnige Version des römischen Architekturkanons, als Kulisse des Casinos und Hotels von »Caesars Palace«, Las Vegas.

Tut Ihnen die Banalisierung und der manchmal rüde Gebrauch der antiken Städten eigentlich weh, oder sehen Sie das eher als tragikomisch – viele Ihrer Bilder haben ja einen ausgesprochen Sinn für Humor.

Ich empfinde das genauso zwiespältig wie viele der wissenschaftlichen Fachleute. Man kann diese Stätten nicht erhalten, ohne sie in irgendeiner Weise zu vermarkten. Dabei entsteht bisweilen eben auch Kitsch. Anderswo kreiert man Festivals, oder die Dinge bleiben sich weitgehend selbst überlassen. Im Nahen Osten habe ich großartige antike Ruinen fotografiert, die im freien Gelände liegen. Diese Anlagen sind ein ganz normales Ausflugsziel für die Leute aus der Gegend, die machen dort ihre Picknicks.

Das klingt sehr friedlich für eine Region, die wir oft mit Konflikten assoziieren.

Diese Konflikte sind im Buch nicht ausgespart. In Bethlehem habe ich die Mauer fotografiert, mit der Israel die Palästinensergebiete abriegelt. Das Sperrwerk ist dort mitten durch einen arabischen Friedhof gezogen. Manche Anwohner halten mit ihrer Fantasie dagegen und haben eine Art Garten Eden auf den Beton gepinselt, im Stil von Bauernmalerei, die hier zugleich naiv und sarkastisch wirkt. Andere rebellieren gewalttätig, werden von der israelischen Besatzungsmacht getötet, und dann auf eben jenem Friedhof bestattet. In der Mauer sind noch die Öffnungen zu erkennen, die bis vor kurzem den Grenzübertritt erlaubten.

Während wir hier reden, sprechen in Damakus die Kanonen. Und auch im Weltkulturerbe Palmyra, wo Sie ebenfalls fotografiert haben, tobt der Krieg.

Zufällig war ich zu Beginn der Unruhen im Land. Im Frühjahr 2011 konnte man als Fotograf noch zu den üblichen Bedingungen einreisen – angemeldet bei staatlichen Stellen, begleitet durch einen amtlichen Aufpasser, mit festgeschriebener Reiseroute und obligatorisch gebuchten Hotels. Nach einem Zwischenaufenthalt im Libanon kam ich kaum noch durch zu meinem Quartier im Zentrum von Damaskus. Dort fanden schon Demonstrationen gegen Assad statt. Ich war froh, am nächsten Tag im Flugzeug nach Wien zu sitzen und Bild-Dokumente von historischen Stätten im Handgepäck zu haben, die heute vielleicht schon zerstört sind.

In Imperium Romanum zeigen Sie auch antike Schlachtfelder. Auf einem dieser Bilder, aufgenommen an der Cala Rossa auf der Insel Favignana, sitzt eine kleine Figur in Rückenansicht vor der immensen Leere eines grau-grünen Meeres, fast wie der Wanderer überm Nebelmeer. Worum geht es Ihnen mit solchen Anspielungen auf die Romantik?

Romantisch? Vielleicht für uns Nachgeborene. In der Bucht, von der Sie sprechen, besiegten die Römer 241 vor Christus in der letzten Seeschlacht des 1. Punischen Krieges die Karthager. Der Legende nach soll das Meer während der Schlacht vom Blut gefärbt worden sein, daher der Name des Ortes. Aber dieser Horror ist lange her, und zeitlicher Abstand verändert die Dinge. Stille und Ruhe sind nicht falsch beim Blick auf imperiale Größe, und auf deren Vergänglichkeit. Ich mag solche tiefgründigen Bilder, und versehe sie möglichst mit doppeltem Boden. Der Golf von Neapel ist bei mir ein dunstverhüllter Blick auf windstille See im Morgenlicht – aber dieser Ort war beim Untergang von Pompei die Hölle, und die Vulkanologen sagen voraus, dass es wieder einen apokalyptischen Ausbruch des Vesuv geben wird. Insofern sind auch meine Bilder, wie alle Hinterlassenschaften des Imperium Romanum, nur etwas Temporäres.

veröffentlicht am 1.9.2013
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Veröffentlicht am: 01.09.2013