INTERVIEW MIT FRANK KUNERT

»Mit einer visuellen Anarchie der eigenen Ohnmacht begegnen«  ⸺ Die Kunstjournalisten Nicole Büsing und Heiko Klaas im Gespräch mit dem Fotografen und Künstler Frank Kunert.

Herr Kunert, das scheinbar Vertraute kippt auf Ihren Bildern plötzlich um ins Bühnenbildhaft-Absurde. In der kleinen Metzgerei steckt ein überdimensionales Schlachtermesser, und die Pilsstube Zum Tunnelblick ist tatsächlich in einen Tunnel hineingebaut. Wie kommen Sie auf solche ungewöhnlichen Bildideen?

Mich interessieren Fassaden, die schon Vergangenheit haben, Schrammen und Spuren aufweisen und so ihre Geschichten über die Menschen erzählen. Und mal ist es dann so, dass sich während eines Spaziergangs beim Betrachten solcher Häuser die Gedanken in meinem Kopf in Bewegung setzen, und dann kommt später etwas dabei heraus, was sich als Idee entpuppt, die ich vielleicht mal in einem Bild verwerten kann. Oft liegt meinen Arbeiten aber auch das Spiel mit Worten, Gedanken, Bedeutungen zugrunde, die mich gerade beschäftigen. Ich bin zum Beispiel bei der von Ihnen erwähnten Pilsstube zunächst von dem Ausdruck »Licht am Ende des Tunnels« ausgegangen. Dies habe ich dann wörtlich genommen und weiter gesponnen. Ob dabei das eine oder andere Pils im Spiel war, kann ich heute nicht mehr genau sagen.

Genau dieser Sprachwitz, dieses absolute »Beim-Wort-Nehmen« von allgemeinen Redensarten und Begriffen ist auch uns in Ihrer Arbeit aufgefallen. Gerade die oft beschönigende Sprache der Immobilienbranche scheint Sie zu den absurdesten Bildfindungen zu animieren. Haben Sie da schlechte Erfahrungen gemacht?

Das könnte man annehmen. Allerdings hatte ich in dieser Hinsicht zum Glück noch keine traumatischen Erlebnisse. Aber da in meinen Bildern Häuser die Hauptrolle spielen, liegt es für mich nahe, gelegentlich auf die Wortwahl in Immobilienanzeigen zurückzugreifen. Denn gerade dort, wo Werbung gemacht wird, ist die Versuchung groß, mit der Sprache große Erwartungen zu wecken. Die Frage ist immer: Was möchte der Schreiber oder Sprecher sagen, und was kommt beim Leser oder Zuhörer an? Und da beginnt dann mein Spiel mit den Bedeutungen. Und die Titel meiner Bilder lügen nicht, doch täuschen sie trotzdem etwas vor.

Ihr fein dosierter schwarzer Humor erinnert an angelsächsische Vorbilder, etwa die Cartoons aus The New Yorker. Auf der Aufnahme Streichelzoo landen arglose Kleinkinder, die gerne auf Kinderrutschen klettern, unversehens im Käfig eines hungrigen Löwen - zumindest in der Fantasie des Betrachters. Haben Sie immer schon immer gerne mit Entsetzen Scherz getrieben?

Im »richtigen« Leben bin ich meistens gar nicht so böse, und vielleicht habe ich, wenn ich mich ins stille Kämmerlein zurückziehe, ein bisschen Nachholbedarf – übrigens schon seit meiner Kindheit. Da kann ich dann die Sachen ausprobieren, die ich mich sonst nicht trauen würde. Ich versuche aber, mit meinem Humor nicht verletzend zu sein oder mich über jemanden zu erheben. So kam es bisher auch noch nicht vor, dass der Streichelzoo als kinderfeindlich betrachtet wurde. Vermutlich, weil die Leute ganz gut zwischen einfach bösem Humor und jenem, der verletzend ist, unterscheiden können. Hin und wieder kommt mal die Frage von Bildbetrachtern, ob ich Kinder habe – aber eher scherzhaft. Übrigens werden der Streichelzoo und mein Bild Kinder!, das eine Rutschbahn zeigt, die auf eine Straße mündet, gerne von jungen Müttern als Postkarte gekauft.

Aus einigen Ihrer Bilder spricht eine etwas wehmütige Melancholie. Die Fassaden sind grau, der Putz bröckelt, die Häuser haben ihre besten Jahre längst hinter sich. Was reizt Sie an der Unwirtlichkeit der Städte?

Die etwas heruntergekommenen Fassaden der Vorstädte regen meine Fantasie an, sie erzählen Geschichten. Diese haben mit verblichenem Glanz, Vergänglichkeit, Sehnsucht nach Glück und auch dem Scheitern zu tun. Ich selbst lebe in einem solchen Frankfurter Stadtteil, der nicht so sehr durch blitzende Oberflächen besticht. Hier ist sichtbar, wie der einzelne Mensch in seinem kleinen Dasein kämpft, und obwohl mich auch edle neue Bankhochhäuser beeindrucken können, so erscheinen mir die zusammengewürfelten Stadtrandsiedlungen mit ihrer Unperfektheit wesentlich ehrlicher zu sein. Hier zeigen sich die Spuren des Lebens viel deutlicher. Das ist nicht immer nur angenehm, aber eben auch spannender als eine sterile Neubausiedlung, die noch keine Geschichte hat.

Auf vielen Ihrer Bilder gibt es aber auch das Motiv des Ausstiegs aus eben dieser grauen Realität. Da gibt es Häuser mit Sprungbrettern wie im Schwimmbad und sogar einen himmlischen Flugsteig direkt über den Wolken. Eigentlich sind Sie ein sehr optimistischer Mensch, oder?

Ja, ich denke schon. Natürlich entsteht bei einer grauen Tristesse auch die Fantasie einer »besseren Welt«. Vielleicht sind es die kleinen Fluchten, die mich reizen. Dort, wo es scheinbar nicht mehr weitergeht, entsteht der Wunsch nach Trost oder der großen Befreiung. Und dieser Sehnsucht versuche ich, mit einer gewissen Ironie zu begegnen. Meinen Umgang mit dem Alltagsumfeld und seinen Tücken sehe ich für mich im Großen und Ganzen als positiv an. Manchmal ist es aber auch mein Weg, mit einer visuellen Anarchie der eigenen Ohnmacht zu begegnen.

Viele Ihrer Künstlerkollegen erliegen ja heute dem oberflächlichen Reiz des Virtuellen. Mit Hilfe digitaler Bildbearbeitungsprogramme erschaffen sie neue visuelle Welten. Sie aber gehen ganz bewusst einen anderen Weg und bauen Modelle aus Pappe, Schaumstoff und zweckentfremdeten Alltagsgegenständen. Für ein Motiv benötigen Sie manchmal bis zu zwei Monate. Warum dieses Bekenntnis zur Langsamkeit?

Sicher, meine Arbeitsweise erscheint nicht besonders zeitgemäß. Aber vielleicht finde ich gerade das reizvoll. Ich könnte jetzt auch einfach sagen, dass ich mich nicht so recht mit dem Computer auskenne – was tatsächlich stimmt. Aber wenn es mich richtig interessieren würde, wäre es wohl nicht hoffnungslos, wenn ich mir nützliche Kenntnisse aneignete. Es gibt aber sicherlich folgende Gründe: Ich glaube, dass man meinen Bildern ansieht, dass sie eine ganz andere Stofflichkeit besitzen, als es bei Montagen mit dem Computer der Fall wäre – nicht besser oder schlechter, nur eben anders. Man sieht vielleicht bei genauerem Betrachten – gerade bei größeren Abzügen –, dass so mancher Pinselstrich, das Spiel mit Schärfe und Unschärfe, leichte Verschiebungen in den Größenverhältnissen auf Modellszenerien hinweisen. Und diese Entstehungsweise sorgt dafür, dass alles im fertigen Bild wie aus einem Guss wirkt. Und beim Bauen selbst finde ich ganz allmählich heraus, was meiner ursprünglichen Bildidee entspricht – und auch der Aussage, der Atmosphäre, die ich letztendlich beabsichtige. Da denke ich manchmal stundenlang darüber nach, wie eine Haustür aussehen soll. Da werden Wände wieder eingerissen und anders wieder aufgebaut. Für mich ist das direkte Begreifen wichtig – das Anfassen und Ausprobieren. Und das ist für mich wahrscheinlich der wichtigste Grund für meine Technik. Auf diese Weise komme ich vielleicht auch leichter zum Kern, auch wenn es von der Zeit ziemlich lange dauert. Möglicherweise wäre mir solch eine Arbeit am Computer zu abstrakt. Und schließlich macht es mir auch viel Spaß, mit vorgefundenen Materialien zu spielen. Ich habe ein paar Schubladen mit Verpackungsmüll und anderen kleinen Funden, die plötzlich einen ganz neuen Nutzen bekommen. Aus einer Käseverpackung wird das Glas einer Haustür, die Deckel von Zahnseide mutieren zur Tunnelbeleuchtung, die Plastiktablettenpackung endet als Toilettenspülkasten. Und wenn dann irgendwann die Kulisse soweit fertiggestellt ist, dass ich zum ersten Mal das Ganze durch die Kamera betrachte, ist das ein spannender Moment. Plötzlich sieht das Miniaturhaus auf der Mattscheibe beinahe wie eine echte Fassade aus - bis auf ein paar Irritationen.

Dann verraten Sie uns doch bitte ganz zum Schluss noch, woran Sie zurzeit gerade arbeiten und welches spannende Projekt Sie in Zukunft einmal reizen könnte? Hätten Sie beispielsweise Lust, einmal eine ganze Stadt zu bauen?

Oje! Über das Projekt, an dem ich gerade arbeite, rede ich gar nicht gerne. Da werde ich zum Geheimniskrämer. Während ich darüber brüte, bekommt dies niemand zu Gesicht, und ich spreche auch mit niemandem darüber. Meine Pläne entwickeln sich immer Stück für Stück, sodass ich die Entwicklung nur sehr kurzfristig absehen kann. Also kann ich leider auch gar nichts über die Richtung sagen, in die sich meine Arbeit bewegt. Ich habe zwar ein Skizzen- und Ideenbuch, in das so mancher Geistesblitz wandert, aber oft merke ich erst später, ob das tatsächlich ein guter war. Zumindest wünsche ich mir, dass mir in der Zukunft die Ideen nicht ausgehen. Aber irgendwie kommen sie auch immer wieder von selbst. Und ob das dann vielleicht mal eine ganze Stadt wird, hängt von der Bildidee ab und dem Gedanken dahinter, der mich antreibt. Na ja, und vielleicht auch von der Tatsache, ob ich mir irgendwann mal ein größeres Studio leisten kann. Denn für eine ganze Stadt wäre mein jetziges zu klein.

veröffentlicht am 26.5.2008
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Veröffentlicht am: 26.05.2008