BODY ART

»Künstler zu sein bedeutet, sich unablässig die eigenen Wunden zu lecken und sie gleichzeitig zur Schau zu stellen.« ⸺ Annette Messager

Eine fast nackte junge Frau, die auf dem Rücken auf dem Boden liegt. Dieser ist mit einer weißen Plastikfolie abgedeckt. Sie hat die Arme ausgestreckt, zwischen ihren Beinen die fleischigen Überreste toter Truthähne, auf ihr liegt ein Mann im Slip, im Hintergrund weitere solcher Paare und Paarungen, die mit toten Fischen um sich werfen, sich küssen, sich mit Blut und Farbe beschmieren… Schockiert uns das heute noch? 1964, als Carolee Schneemann ihre Performance Meat Joy Fleischeslust in New York und Paris inszenierte, war dies durchaus – sagen wir –gewöhnungsbedürftig. Genauso wie 1960, als Yves Klein Models mit Farbe bestrich (blau, natürlich), die jungen Frauen anwies, sich auf großen Papierrollen zu wälzen und die so entstandenen Gebilde Anthropometrien nannte. Oder als Yoko Ono bei einer Performance (Cut Piece) dem Publikum erlaubte, ihr mit einer großen Schere die Kleider vom Leib zu schneiden… Diese Künstler, unter anderen, bereiteten einer Kunstform den Weg, die sich Ende der 1960er-Jahre ausbildete und die ihre Hochzeit Anfang der 1970er-Jahre erlebte: die Body Art.

Wie der Name schon sagt, spielt der Körper eine zentrale Rolle – und zwar in aller Regel der Körper des ausführenden Künstlers oder der Künstlerin selbst. Er wird bemalt, kostümiert, verletzt, verstümmelt, durchschossen – und das meistens vor Publikum und/oder laufender Kamera. Michel Journiac und Dennis Oppenheim, genau wie Vito Acconci, Gina Pane, Marina Abramovic und Chris Burden sind hier wichtige Namen. Schockwirkungen beim Publikum waren einkalkuliert, ja gewollt, denn Body Art wurde von den Künstlern inszeniert in der Überzeugung, dass diese avantgardistischen Aktionen schockhaft befreiende Wirkungen bei den Betrachtenden auslösen konnten und es diesem somit gelänge, sich von gesellschaftlichen und politischen Zwängen zu lösen. Zur Erinnerung: Body Art ist in einer Zeit entstanden, in der die Jugend der westlichen Welt rebellierte: in Europa gegen die Verdrängung der Naziverbrechen, in Amerika gegen den Vietnam-Krieg; es war außerdem die Zeit der sexuellen Revolution und der Frauenbewegung. Aber die Künstler wollten auch eigene seelische Verletzungen, die sie erlitten hatten, durch physisches Leid noch einmal exemplarisch ausdrücken und überwinden. So erklomm die Französin Gina Pane barfuß eine mit Rasierklingen besetzte Leiter (Escalade non-anaesthesiée, 1971) oder schminkte sich vor einem Spiegel und zog dabei die Augenbrauen mit einer Rasierklinge nach (Psyche, 1974). Ihr Landsmann Michel Journiac ließ sich Blut abnehmen und stellte daraus Wurst her, die er seinem Publikum anbot. Seine »Messe«, die er 1969 zelebrierte (Messe pour un corps) war seine Art, den Katholizismus – Journiac war katholischer Theologe – zu verarbeiten.

Paris, New York, Mailand und Prag waren Zentren, in denen Body Art zelebriert wurde. Tatsächlich zelebriert, denn oft fand ein Rückgriff auf traditionelle religiöse Rituale und Symbole statt; das Publikum blieb eher passiv, die Künstler agierten in meditativ-mystischer Stille. Es waren eher Performances denn Happenings, auch wenn sich die Body Art aus der Happening- und Fluxus-Bewegung heraus entwickelt hatte. Zumindest trifft das auf die amerikanische Body Art zu, denn in Europa waren die Künstler*innen des Wiener Aktionismus einflussreiche Größen gewesen: Otto Mühl, Hermann Nitsch, Günter Brus und Rudolf Schwarzkogler. Nitschs Orgien Mysterien Theater der 1960er-Jahre knüpfte an antike dionysische Kulthandlungen an und erhoffte sich durch ein quasi-religiöses, ekstatisch-orgiastisches Gemeinschaftserlebnis ein Hinuntersteigen des Einzelnen zu verdrängten Bereichen seiner Seele. Beim Zuschauer sollte dadurch ein Bewusstsein für seine eigene existentielle Wirklichkeit geschaffen werden. Günter Brus hatte sich für seine Aktion Wiener Spaziergang (1965) komplett weiß eingefärbt, nur über seine Körpermitte zog sich ein schwarzer Strich bis über den Kopf. Wie eine Skulptur, die ihren Sockel verlässt, marschierte er so durch die Wiener Innenstadt, bis das magische Eigenleben eines befreiten Kunstwerks an den Grenzen gesellschaftlicher Ordnungsstrukturen scheiterte: Die Polizei stoppte ihn recht bald.

Die Wiener Aktionskünstler*innen verstanden sich als politische Künstler; sie rebellierten gegen den Mief im »provinziellen« Österreich, das sein Selbstverständnis sehr schnell als Opfer der Nazis gefunden hatte und sich nicht mit der eigenen Schuld auseinander setzte. »Kunst ist Politik, die sich neue Stile der Kommunikation geschaffen hat«, so ihre Überzeugung. Auch das einzige Manifest zur Body Art, das 1974 von Francois Pluchart verfasst wurde, stellte fest, dass der Anspruch auf unmittelbare eigene Körpererfahrungen politisch notwendig sei, dass außerdem der Ausdruck des Körpers viel wichtiger sei als »die prostitutionsmäßige Überbewertung von Schönheit« und: »Body Art ist exklusiv, arrogant und unversöhnlich«. Pluchart war davon überzeugt, dass Kunst auf die Gesellschaft wirken könne, dass eine »Stärkung des Individuums«, eine Befreiung von gesellschaftlichen und politischen Zwängen, durch die Körpererfahrung möglich sei.

Zwischen 1970 und 1974 fanden die meisten der Body Art-Aktionen statt: Dennis Oppenheim zum Beispiel legte sich an den Strand und ließ sich so lange von der Sonne verbrennen, bis das Buch, das sich auf seinem Bauch befunden hatte, eine deutlich sichtbare helle Fläche hinterlassen hatte (Reading Position for Second Degree Burning, 1970). Vito Acconci steckte sich so lange die Hand in den Mund, bis der Würgereflex ausgelöst wurde (Hand in Mouth Piece, 1970); des weiteren biss er sich selbst und färbte die Bissspuren mit Tinte ein, um sie noch deutlicher sichtbar zu machen (Trademarks, 1970). Als besonders leidensfähig erwies sich Chris Burden: Er wälzte sich nackt in Glasscherben (Through the Night Softly, 1973), ließ sich fünf Tage in ein Schließfach einsperren (Five Day Locker Piece, 1971) und bei einer Performance von einem »Helfer« in den Arm schießen (Shoot, 1971). Dabei machte er das Publikum dafür verantwortlich nicht eingeschritten zu sein, was heftige Reaktionen hervorrief – genau wie bei der Performance Rhythm 0, die Marina Abramovic 1974 inszenierte: 72 gefährliche Gegenstände, Messer, Scheren, Pistolen, überließ sie ihrem Publikum und lieferte sich diesem aus: Es durfte damit und mit ihr während sechs Stunden machen, was es wollte. Sie wurde bemalt, die Kleider wurden ihr vom Leib geschnitten und als jemand sie mit der Pistole bedrohte, kam es zu einem Handgemenge im Publikum. Nicht nur die Psyche der Künstler offenbarte sich bei diesen Aktionen…

Auffällig ist, dass viele Frauen sich der Body Art zuwandten. Auffällig ist auch, dass sie andere Voraussetzungen als ihre männlichen Kollegen hatten: Sie stießen auf große Widerstände, nicht selten wurde ihnen überbordender Narzissmus – und das aus den eigenen Reihen! – vorgeworfen. Der weibliche Körper war natürlich immer schon ein beliebtes Motiv in der Kunstgeschichte gewesen; nun ging es den Künstlerinnen darum, ihren Körper vom passiven Objekt zum Kunst ausführenden Subjekt werden zu lassen. Waltraud Höllerer, die sich seit 1967 Valie EXPORT nannte, schnallte sich 1968 einen viereckigen Kasten vor den Bauch, welzte sich nackt in Glasscherben (Through the Night Softly, 1973) und ließ sich fünf Tage in ein Schließfach einsperren (Five Day Locker Piece, 1971) und bei einer Performance von einem »Helfer« in den Arm schießen (Shoot, 1971). Dabei machte er das Publikum dafür verantwortlich nicht eingeschritten zu sein, was heftige Reaktionen hervorrief – genau wie bei der Performance Rhythm 0, die Marina Abramovic 1974 inszenierte: 72 gefährliche Gegenstände, Messer, Scheren, Pistolen, überließ sie ihrem Publikum und lieferte sich diesem aus: Es durfte damit und mit ihr während sechs Stunden machen, was es wollte. Sie wurde bemalt, die Kleider wurden ihr vom Leib geschnitten und als jemand sie mit der Pistole bedrohte, kam es zu einem Handgemenge im Publikum. Nicht nur die Psyche der Künstler*innen offenbarte sich bei diesen Aktionen.

Von Body Art spricht man nur im Zusammenhang mit der Kunst der frühen 1970er-Jahre – aber natürlich bleibt der Körper ein zentrales Thema. In den 1990er-Jahren zum Beispiel entstand die Gender-Debatte: Geschlecht (gender) sei weniger eine biologische Tatsache als durch Erziehung und Rollenvorbilder geprägtes soziales Verhalten. Die Französin Orlan ließ in den 1990er-Jahren vor laufender Kamera Operationen an ihrem Gesicht vornehmen, wobei die dabei umgemodelten Augen oder Lippen der Mona Lisa oder Brigitte Bardot entsprechen sollten. Dass unter der Haut nichts ist, keine Essenz von Frau oder Mann, es nur um den Zwang geht, immer neuen Vorbildern entsprechen zu müssen, soll ihre Aktion, die sie L ´Art Charnel nennt, beweisen.

Valie EXPORTS Strumpfband-Tattoo war für ihre Zeit sehr ungewöhnlich – mittlerweile sind Tattoos Teil der Popkultur geworden und stiften Identität. Wenn allerdings Wim Delvoye Hausschweine mit Kruzifixen, Herzen, etc. tätowieren lässt, gibt er diese Symbole, die Sehnsüchte und Wünsche der Menschen ausdrücken, der Lächerlichkeit preis. Eine spektakuläre Aktion war die horizontale Linie, die Santiago de Sierra auf Kuba 1990 über die Rücken von sechs Personen hinweg tätowieren ließ. Die Menschen bekamen gerade mal 30 Dollar für ihre Teilnahme – der Sinn der Aktion bestand darin, auf das soziale Gefälle in der Gesellschaft hinzuweisen. Eine politische Aktion also, würden die Vertreter der Body Art sagen – und man kann hinzufügen: Body Art ist nicht passé, sie wird es auch niemals sein. Dafür ist ihr »Material« viel zu inspirierend. Sie heißt jetzt einfach anders.

veröffentlicht am 12.2.2010 – Carola Eißler
Bild: Cover der Publikation »Zhang Huan«, Detail