MATTEO THUN

Matteo Thun
Matteo Thun (*1952 in Bozen, Italien) war Schüler Oskar Kokoschkas an der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg und schloss 1975 an der Universität Florenz sein Studium als promovierter Architekt ab. 1978 begann er in Mailand eine Zusammenarbeit mit Ettore Sottsass und wurde 1981 Partner bei Sottsass Associati. Im gleichen Jahr war Thun Mitbegründer der legendären Memphis Group, die sich mit sinnlichen, ironischen, in Form und Farbe expressiven Entwürfen gegen den Purismus der Moderne und das Dogma von »Form follows function« wandten. 1983 bis 2000 dozierte er an der Universität für angewandte Kunst in Wien. 1984 gründete er sein eigenes Studio in Mailand, von 1990 bis 1993 war er als Creative Director bei Swatch tätig. Thuns Architekturprojekte sowie sein Interior- und Produktdesign wurden mit zahlreichen Auszeichnungen prämiert; 2004 wurde er in die Interior Hall of Fame in New York aufgenommen. Matteo Thun lebt und arbeitet in Mailand. 

Die Ästhetik der Ökologie, die Schönheit der Ökonomie

»Architektur bedeutet, die Seele eines Ortes zu zeichnen.« ⸺ Matteo Thun

Matteo Thun, mit vollständigem Namen Matthäus Antonius Maria Graf von Thun und Hohenstein, bewegt sich zwischen den Disziplinen. Er ist nicht nur einer der renommiertesten Architekten Italiens, sondern auch ein stilprägender Entwerfer von Interior- und Produktdesign. Er ist damit ein typischer Vertreter der Mailänder Schule, deren »Eigenart« für Thun die »ganzheitliche Planung« ist, die Tradition des Gestaltens »vom Löffel zur Stadt«: »Ich bin immer Architekt. Und wie alle Architekten arbeitet man im großen wie im kleinen Maßstab.«
Matteo Thuns heutiges Unternehmen beschäftigt ein Team von 50 Architekten und Designern. Im Bereich Architektur reicht das Spektrum seiner Entwürfe von Planungen für Hotels und Spas wie das international mehrfach ausgezeichnete Vigilius Mountain Resort (Lana, Südtirol) oder das erste »ClimaHotel« Bellavista Family Hotel (Trafoi, Italien) über Industrie- und Verwaltungsgebäude für Coca-Cola (Zürich, Schweiz) und Hugo Boss (Coldrerio, Schweiz) bis hin zu dem Biomassekraftwerk Biomass Power Plant (Schwendi, Deutschland) oder dem Thermalbad Therme Meran (Meran, Italien). Im Bereich Interior Design gestaltete er – in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Regisseur und Bühnenbildner Robert Wilson – das Side-Hotel (Hamburg), die Disco P1 (München) oder auch Shop-Interieurs und Display-Systeme für Porsche und Vodafone. Für den privaten Wohnungsbau entwickelte er exklusive Villen in Alleinlage ebenso wie Doppelhäuser und Wohnungen aus Holzfertigteilen in der projektierten City of Wood (Bad Aibling, Deutschland). Im Bereich Design entstanden etwa Gläser für Campari, Lichtsysteme für Zumtobel und Artemide, Bäder und Sanitärausstattung für Zucchetti, Duravit und Rapsel, Küchen für Febal, Sonnenbrillen für Silhouette, Uhren für Bulgari und Swatch, Tableware für WMF und Zwilling, Porzellan für Rosenthal und Villeroy & Boch, Möbel für Baxter und Riva 1920, Bürostühle für Martin Stoll und United Office oder auch Espressotassen für Illy – ein Designklassiker, der zu den meistverbreiteten Industriegütern unserer Zeit zählt und bereits Thuns Entwicklung hin zu einer ausgeprägten Haptik und »Sensorialität« weist: »Wir nennen das die taktile Erotik: die Lust am Greifen.«

Stets ist ästhetische, ökonomische und technologische Nachhaltigkeit das Leitmotiv von Matteo Thuns Schaffen. »Ich spreche ungern über Ökologie und Nachhaltigkeit, weil sie im Grunde ein Pleonasmus sind. Es sind Themen«, so Thun, »die seit jeher zu unserem Beruf gehören.« Er ist nicht nur bestrebt, die Seele eines Ortes, den Genius Loci eines jeden Projekts einzufangen, sondern fordert eine Architektur, die auf seiner Philosophie der »Drei Zeros« beruht: Zero Kilometer (Einsatz von Baumaterialien aus der Region und von lokalen Fachkräften), Zero Co2 (Co2-neutrale Bauweise und Energieerzeugung), Zero Abfall (Reduzierung von Müll und Recycling verwendeter Materialien).

Das Bauen mit Holz – als ein regionaler, nachwachsender, wiederverwertbarer und dabei kostengünstiger Rohstoff, der zugleich eine hohe »Sensorialität« und Zeitlosigkeit besitzt – spielt für Matteo Thun bei der Einlösung dieser Ziele eine entscheidende Rolle: »Im Sinne einer echten Nachhaltigkeit ist Holz nicht nur der einzig vertretbare Baustoff des 20. Jahrhunderts, sondern auch das einzige Wohlfühlinstrument. Das gilt in Bezug auf seine Patina wie auch auf seine Wertsteigerung im Laufe seines Lebenszyklus. Kennen Sie ein Betongebäude, das nach 50 Jahren noch schöner ist als zu Beginn?« Mit seinem Fertighaussystem Heidis etwa entwickelte Thun bis 1999 Passivenergiehäuser aus Holz, die sich – mit abgeschirmter Nordwand und vollverglaster Südseite – dank der Verwendung von natürlichen Materialien und Spitzentechnologie durch eine maximale Energieeffizienz auszeichnen. Der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Bauens wurde sein vielfach kopiertes Fertighaus O Sole Mio von 1993 gerecht, bei dem Schichtholzplatten aus kostengünstigen Holzsorten Verwendung fanden und das – über Wärmepumpen und Thermorecycling natürliche Energiequellen verwendend – nur ein Sechstel der Energie eines Hauses in vergleichbarer Größe verbraucht.
Diese »›Beauty of economy‹ bedeutet für mich als Architekt, dass darauf geachtet wird, Wertigkeit, Stil und Qualität mit geringstem ökonomischen Aufwand für den Kunden vermitteln zu können. Beauty of economy bedeutet auch, dass sich die Investition rentiert, kein Wegwerfprodukt entsteht und die Nachhaltigkeit gewährleistet ist.«

Thuns Einsatz natürlicher, Ressourcen schonender Materialien zeigt sich auch bei Luxusprojekten, etwa bei seiner Neugestaltung des in den Südtiroler Alpen angesiedelten Fünf-Sterne-Hotels Vigilius Mountain Resort von 2003, für das Lärchenholz aus den umliegenden Wäldern für Fassaden, Böden und Möbel verbaut wurde und das – im Sinne des »Triple Zero«-Prinzips – höchsten Nachhaltigkeitsansprüchen genügt: durch ein begrüntes Dach, das Überhitzung verhindert, durch die Nutzung von Solarenergie, ein Sonnenschutzsystem über die Gesamtlänge der Fassade, durch ein Wärmerückgewinnungssystem oder eine Biomasseheizung, die mit Holz der Umgebung gespeist wird. Moderner Luxus, den Thun neu als »Lebensqualität, Freiheit, einen respektvollen Umgang mit der Natur sowie eine Reduktion von Emissionen und des Energieverbrauchs« definiert.

Konsequent entwickelte Matteo Thun in jüngerer Zeit – in enger Zusammenarbeit mit der Agentur CasaClima – die Zertifizierung »ClimaHotel«, ein Konzept von 2009, mit dem Hotels unabhängig vom bestehenden Sternesystem bewertet werden sollen: eine neue Gewährleistung für ökonomische, ökologische und soziokulturelle Nachhaltigkeit zur Förderung eines nachhaltigen Tourismus, die explizit auch das Sichwohlfühlen des Hotelgastes in den Mittelpunkt stellt. »Wohlbefinden bedeutet zum Beispiel«, erläutert Thun, »dass Sie Wasser trinken, das aus der Erde kommt, auf der das Haus steht, dass das Holz aus nächster Umgebung kommt und dass der Kellner, mit dem Sie sprechen, die Sprache des Orts spricht und nicht aus Usbekistan kommt. Dass die Tomaten aus dem eigenen Garten sind und dass zum Beispiel ein mikroklimatisches Verständnis da ist, um das Gebäude zu positionieren. […] Wo geht die Sonne auf, wo geht sie unter, wo kommt der Regen her, wie ist der Schatten, den das Gebäude spenden wird? Alle diese Dinge führen unter dem Strich zu einem Parameter: dem Wohlfühlen.«

veröffentlicht am 15.1.2013 – Stefanie Gommel