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IM GESPRÄCH MIT KATHARINA GROSSE
Über einen Zeitraum von zwei Jahren trafen sich Katharina Grosse und der Autor Klaus Dermutz im Berliner Atelier der Künstlerin, um eine Reihe sehr konzentrierter, langer Gespräche zu führen. Der Band Katharina Grosse. Im Gespräch mit Klaus Dermutz versammelt zehn ausführliche Interviews, die zentrale Themen von Grosses Schaffen vertiefen.
Katharina Grosse (*1961, Freiburg Breisgau) hatte Professuren an der Weißensee Kunsthochschule Berlin (2000 - 2009), sowie an der Kunstakademie Düsseldorf (2010 - 2018) inne. Zuletzt widmete ihr die Albertina in Wien eine Einzelausstellung (Warum Drei Töne Kein Dreieck Bilden, 2023/24), aktuell zeigt das Centre Pompidou – Metz drei raumgreifende In-situ-Arbeiten (Déplacer les étoiles, bis Februar 2025). Grosse lebt und arbeitet in Berlin und Neuseeland.
Ihr Gesprächspartner Klaus Dermutz, (*1960, Judenburg, Österreich) ist Autor und Publizist in den Bereichen Bildende Kunst und Theater. Seit 1990 Veröffentlichungen in Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, Theater heute u.a., 2001–2009 Mitherausgeber der Edition Burgtheater.
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Verstehen Sie das Perforieren des Bildfeldes als einen Ikonoklasmus? Es kommt in Ihren Arbeiten zu einer Sprengung der Grenzen, zu einer Aufhebung des traditionellen Bildes.
Was ist mit traditioneller Bildform gemeint? Es gibt andere, mir sehr nahestehende Bildformen, die über viele Jahrhunderte kultiviert worden sind, wie z. B. das Fresko oder die Verbindung zwischen plastischen Objekten, die zur Architektur hinführen und zum Wandbild geführt haben, im Barock oder auch in der Malerei, die wir aus der Kultur der Felsmalerei kennen. [...] Historisch betrachtet, ist es noch gar nicht so lange her, dass das Bild eine Unabhängigkeit vom Ort erlangt hat. Ich empfinde ein Bildfeld als portabel, als verschiebbar. Es interessiert mich, in das gemalte Bild andere Bildschichten hineinzunehmen. Deshalb ist das Perforieren einer Bildoberfläche für mich nichts Ikonoklastisches, sondern es bietet mir eher die Möglichkeit einer Neubewertung der Zusammenhänge.
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Welchen Einfluss nimmt die Natur auf Ihr künstlerisches Schaffen?
Meine Arbeitsweise hat sehr viel mit der Witterung zu tun. Wenn es z. B. feucht und nicht so warm ist, trocknen die Farben anders an, vermischen sich untereinander. Ich habe festgestellt, wie Farben in Farben eingehüllt werden können, es gibt Rottöne, die von einem Blauton übermalt werden können und sie bleiben im Blau aktiv, sind aber nicht mehr als Rot erkennbar. Es gibt eine Form, eine Farbe in eine andere Farbe einzulegen, das geht mit drei bis vier Farben nacheinander. Die Farben müssen dafür feucht sein, danach kann ich meistens nicht mehr arbeiten, es läuft zu viel, die Farben müssen erst einmal trocknen. [...] Dabei spielt Schnelligkeit eine sehr große Rolle, sonst kann ich die Sequenz nicht mehr so gut durchziehen, es muss unheimlich schnell und fast unstrategisch geschehen.
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Sie verwenden kalte Farben.
Ja, die Farben sind kalt und eher industriell. Es ist für mich sehr wichtig, dass die Farben durch ihre Kühle nicht so sehr geneigt sind, an Wiedergabeattribute anzuknüpfen. Andere Farbhersteller haben z. B. ein taubenblaues Hellblau, und das könnte eine Farbe sein, die man in der Werbung bei einem Himmel am Mittelmeer sieht. Solche Farben vermeide ich.
War es schwer, mit Falten zu arbeiten? Es entstehen durch Falten Räume, die fern von einem sind und im Dunkeln liegen.
Genau, es gibt Orte, die kann man schlecht erreichen. Ich bin beim Malen nicht sehr viel darin herumgelaufen (Katharina Grosse spricht über ihre Ausstellung Wer, ich? Wen, Du? im Kunsthaus Graz, 2014), ich wollte, dass die Arbeit unberührt aussieht. Das Besondere an dem Schaumstoff war, dass er die Farbe stark absorbierte und die Farbe dadurch eine andere Tonigkeit bekam. Ich fand es toll, den Materialwechsel des Schaumstoffs auf den Boden mitzubekommen, wo alles gestochen scharf und nicht porös ist. In dem schaumigen Gebilde musste ich erst herausfinden, wie die Farbe sich mischt, wo sie sich verbindet, staubig wird und wie kohärent die gesamte Malerei ist, die über die Falten hinweggeht. Das Hinweggehen der Malerei über den mehrfach manipulierten Stoff fand ich auch sehr interessant. Die Struktur des Gebildes unterscheidet sich stark von der der Malerei, die sich darüber hinwegsetzt. Dieses Hinwegsetzen wollte ich kenntlich machen und zeigen, dass die Örtlichkeit des Gemalten und die des Gebauten verschieden sind. Die Zeitdimensionen der beiden Ebenen und auch ihre Geschwindigkeiten sind unterschiedlich.
Falten spielen in Ihrem Werk eine große Rolle. In Bezug aufs Universum spricht man bisweilen von einem gefalteten Universum, in einer Falte verbirgt sich noch ein anderer, weiterer Raum, in dem sich wieder ein anderer Raum öffnet, ohne dass man dies beim Blick von einem Raum in den nächsten sehen könnte.
Am gefalteten Raum ist sehr stark erfahrbar, dass ein gewisser Teil eben nicht sichtbar ist und dass selbst das geplante und intendierte Bild auch einen großen Anteil an Nicht- Sichtbarem produziert. Oder noch weitergedacht: Es ist unausweichlich, dass wir etwas mitproduzieren, wofür wir verantwortlich sind, weil wir es machen, auch ohne es zu wissen. Und es ist während des Arbeitsprozesses gewissermaßen meine Aufgabe, dieses Nicht- Gekannte zu akzeptieren, es eben nicht wegzumachen in dem Sinne, ich hätte es nicht so gemeint, und auch nicht zu sagen, es mache meine Arbeit stärker, wenn ich es nicht zeige. Unsere Wahrnehmung des Intendierten ist sehr klein, und die Falte ist ein großartiges Element dieser gerade beschriebenen Realität. Und gleichzeitig ist die Falte eine Referenz für vieles, was in der Malerei sehr wichtig ist. Als ich noch Porträts malte, habe ich mit Neid gedacht, dass die großen Marienbildnisse zu acht Zehntel aus gemaltem Stoff bestehen, und das Gesicht ist nur ein kleiner Teil des Gemäldes.
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In Ihren Arbeiten geht es nicht nur um das Verbergen oder Verhüllen, sondern auch, wie die beiden Autoren dies in Bezug auf Tintorettos Malerei benennen, um ein In- Falten- Legen, ein Zusammenschieben, das Sich- Wölben, ein Bauchen und ein Auffangen.
Diese Bewegung ins Faltige und Ausladende ist auch die Bewegung der malenden Hand. Das Verschlaufen ist eine fast manieristische Metapher für den Scribble [...], das Hin und Her, es ist die einfachste Form des Wiederholens und der Abweichung durch subtile Variation ausgedehnter, regelmäßiger, unregelmäßiger [...] Bewegung [...]. Das sind die einfachsten Formen, sie ereignen sich immer in einer abtastenden Bewegung.
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Sie haben einmal erzählt, dass Tintoretto einer Ihrer Lieblingsmaler ist. Was spricht Sie bei Tintorettos Malerei so sehr an?
Am Anfang war mir bei Tintoretto die Empfindung der Geschwindigkeit wichtig, mit der das Bild erzeugt ist, mit der Tintoretto die Zeichnung und Malerei aus verschiedenen Perspektiven zusammensetzt. Diese Gemengelage kulminiert in einem bestimmten Handlungsereignis, und es fasziniert mich, dass die kritische Lage, in der sich die Handelnden befinden, auch mit der Malerei so stark verbunden ist. [...]
Eine enorme Schnelligkeit kann man auch in Ihrer Arbeit wahrnehmen, eine Bewegung, die auch mit einem rasanten Drama zu tun hat, das wie auf einer Bühne aufgeführt wird und das sich mit einer unglaublichen Wucht ereignet.
Die Wucht ist bei Tintoretto sehr stark, sie schießt aus der Seite herein, es sind immer sehr dramatische Anschnitte oder Überlagerungen von sehr verschiedenen Bühnenräumen. So kann man, um nur ein Beispiel zu nennen, vom Dach auf die unten liegende Szenerie blicken, und hinten öffnet sich ein anderer Raum. Aber er staffelt die Räume in einer unglaublichen, fast rohen Malform ineinander. Auch andere Maler haben diese Malform, deswegen ist Tintoretto für mich nicht die wichtigste Person. Auch Munch hat dieses Schlagen auf die Leinwand. Die Berührung auf der Leinwand stellt auch das Bildereignis her und ist dennoch ein Porträt, eine malerische Form für Landschaften, Bäume, Wasser und Wolken, die in sich auch wieder Ereignisformen von großer sinnlicher Deutlichkeit sind.

In Gregory Volks Monografie gibt es ein Foto, auf dem Sie als junge Frau im Wald zu sehen sind. Sie sitzen auf dem Boden, hinter Ihnen ist ein großes, weißes Dreieck zwischen zwei Bäumen aufgespannt. Das Foto ist 1982 am Möhnesee entstanden.
Zu dem Zeitpunkt war ich etwa zwanzig Jahre alt und mit einer Gruppe von Leuten unterwegs, die Landschaften malten. Ich hatte schon das erste Semester studiert, aber noch nicht draußen gemalt. Ich baute diese Struktur zwischen zwei großen Bäumen, sie ist als Dreieck durch die Äste geführt. Ich habe zu der Zeit einiges mit Zweigen unternommen, sie als große Bündel an die Wand gehängt, sie weiß oder blau angemalt und mit ihnen experimentiert, keine Ahnung, was mich dazu getrieben hat.
Diese weiße, dreieckige Struktur sieht wie eine Installation aus.
Ja, genau. Ich hängte ein großes Stück weißes Papier zwischen die Bäume und zog es hoch, vielleicht war es auch schon als Leinwand gedacht. Ich malte es an und warf Waldboden auf die frische Farbe. Auf diese Weise stellte ich Strukturen her.
Sodass die Spuren auf dem Papier zu sehen waren?
Der Waldboden klebte auf dem weißen Papier fest. Dahinter stand keine Planung, auch keine ausgesprochen klare Idee. Als ich an den Möhnesee fuhr, wusste ich, dass ich eine Installation machen werde. Ich hatte Einflüsse aus dem ersten Studienjahr von Künstler*innen aufgenommen, die sich darüber klar zu werden versuchten, was ein Ort fürs künstlerische Arbeiten bedeutet und welchen Einfluss der Ort auf einen haben könnte. Als ich sehr jung war, bin ich durch das Malen in der Landschaft zum Malen gekommen, durch das Sitzen in der Landschaft den ganzen Tag. über, durch das Aufnehmen der Lichtverhältnisse und das Betrachten der Bäume. Das erste draußen gemalte Bild war ein Weidenbaum. Als ich wieder an den Möhnesee fuhr, um draußen zu malen, nahm ich all diese Umstände stärker und körperlicher ins Bild auf.
Als Sie zu malen begannen, malten Sie auf einem Zeichenblock einen alten Baum, und der Zeichenlehrer sagte zu Ihnen: Hinter Ihnen ist aber auch noch ein Baum.
Das war genau das Erlebnis mit dem Weidenbaum. Ich saß fast einen Tag lang in einem Straßengraben und malte den Weidenbaum, es kam niemand vorbei und störte mich. Mein damaliger Lehrer hatte bei Emil Schuhmacher studiert, er kam aus dem Informel und hatte die Fähigkeit, völlig frei aufs Bild zuzugehen. Er sagte: Das Interessante ist, dass alles auf dem Bild sein kann, auch der Baum, der sich hinter dir oder zu deiner Seite hin befindet. Diese Anregung hat mich sehr motiviert und interessiert, ich hatte noch nie gehört, dass auch die nicht wahrgenommene Umgebung einen Einfluss auf mein Denken haben könnte.
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Stimmt es, dass für Sie malen ist, als würden Sie jemanden singen hören?
Eher in dem Sinne, dass die Farbe eine Direktheit wie der Klang einer Stimme haben kann.
Sie interessiert vor allem der Klang der Stimme?
Die Direktheit, die durch die Stimme möglich ist, ja. Der Text interessiert mich nicht in erster Linie. Ich werde angezogen durch die Stimme, ihre Farbigkeit, Emotionalität, die psychologische Schwingung. Das ist auch einer der Gründe, warum mich Farbe so sehr interessiert. Farbe übt eine direkte Attraktion aus: Bevor ich dies weiß, bin ich schon mit ihr beschäftigt und am Gucken. Ich brauche keine Erstanleitung, um in die Arbeit einzusteigen. Auch die Lautstärke, die über die Rohfarbigkeit erzeugt werden kann, interessiert mich, dieses An- einen- Herankommen, dieses in einem nicht gewerteten Sinne Aggressive, die Energie, die durch das Zu- Nahekommen entsteht.
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alle Zitate aus:
Katharina Grosse. Im Gespräch mit Klaus Dermutz
erschienen Juli 2025 im Verlag Hatje Cantz
Portrait: Hans Grosse
veröffentlicht am 25.07.2025 von Uwe Dreysel
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