INTERVIEW MIT WALTHER UND FRANZ KÖNIG

Interview mit Walther und Franz König, Buchhändler und Verleger.

»Für mich sind die Documenta-Ausstellungen quasi seit über 40 Jahren die Fixpunkte meines buchhändlerischen Lebens. Die Documenta ist für uns buchhändlerisch die größte Herausforderung.« Walther König

Herr König, bitte stellen Sie sich doch kurz vor.

Walther König: Mein Name ist Walther König. Ich bin Buchhändler und Verleger. Selbstständiger Buchhändler seit 1969 in Köln. Verleger bin ich seit 1968 zusammen mit meinem Bruder Kasper.

Wie sind Sie denn zum Buchhändler der Documenta geworden? Auf welcher waren Sie zum ersten Mal?

WK: Meine erste Documenta als Buchhändler war 1968, die vierte Documenta.

Wer war damals der Kurator?

WK: Das war Arnold Bode. Da habe ich allerdings noch die Documenta im Auftrag meines damaligen Arbeitgebers und Lehrherrn Hanns Meyer von der Kölner »Bücherstube am Dom« gemacht. Die Documenta machte damals eigentlich immer die Kasseler Buchhandlung »Vietor«. Wir sind dann nach Kassel gefahren und haben gesagt, dass wir das gern machen würden. Der Bode war aber sehr loyal und anständig zu unserem Kasseler Kollegen. Er hat gesagt, wenn ihr beide euch irgendwie einigen könnt, ist es okay. Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass wir, also die »Bücherstube am Dom«, 1968 einen Stand machen ausschließlich mit Dingen, die nicht im deutschen Buchhandel zu bekommen waren, also ausländischen Publikationen und Titeln, die keine ISB-Nummer haben. Das heißt sozusagen »Graue Literatur«.

So hatten Sie ja zumindest schon einmal eine kleine Nische erobert...

WK: Ja. Wir haben wirklich nur ergänzt. Das war aber im Nachhinein eine meiner schönsten Documenten. Da bin ich drei Monate alleine in Kassel gewesen. Wir hatten einen Stand, der vielleicht fünf Meter breit und drei Meter tief war. Der befand sich neben der Buchhandlung von Vietor direkt im Eingangsbereich des Fridericianum.

Wie waren damals eigentlich die Arbeitsbedingungen?

WK: Da gab es noch kein Fax, und telefonieren durften wir nicht, weil es zu teuer war. Wenn ich dann mal irgendwelche Bücher brauchte, habe ich eine Postkarte nach Köln geschrieben: Schickt doch bitte zwei davon, drei davon. Dann kam ein paar Tage später ein Postpaket. Das war irgendwie wunderbar. Damals habe ich zum ersten Mal in meinem Leben in so einem Kontext gearbeitet. Ich habe heute noch den documenta 4 Katalog von fast allen teilnehmenden Künstlern signiert.

Hatten Sie damals denn die Zeit, sich Kataloge signieren zu lassen?

WK: Ja. Da war das irgendwie eine sehr geruhsame Sache. Und wie gesagt, da habe ich drei Monate in Kassel gelebt. Wenn man die ganze Zeit zusammenzählt, die ich auf den Documenten war, habe ich sicher in meinem Buchhändlerleben über drei Jahre in Kassel verbracht. 1972 bei Harald Szeemann hatten wir dann zum ersten Mal unseren eigenen Stand. Inzwischen hatte ich mich selbstständig gemacht. Seitdem haben wir eigentlich die Buchhandlung auf allen Documenten gestellt bis auf die letzte von Buergel. Da sind wir durchs Loch gefallen. Jetzt im Sommer geht es dann aber wieder weiter.

Dann wird die alte Tradition also wieder aufgegriffen...

WK: Ja.

Wie hat sich die Buchhandlung denn im Laufe der Documenten verändert? Ist sie von Mal zu Mal größer geworden?

WK: Wie gesagt, auf der ersten Documenta mit Bode war das ja nur ein kleiner Buchstand. Da gab es einen Tisch, da lagen die Bücher drauf. Und an der Rückseite gab es Regale, an die die Leute aber nicht ran konnten. Sie mussten immer erst mich fragen, wenn sie etwas sehen wollten. Die folgenden Buchhandlungen haben wir dann auch immer im Fridericianum gemacht und zwar unmittelbar in Zusammenhang mit Beuys. Beuys war so etwas wie ein Schirmherr unserer Buchhandlung. 1972 präsentierte er auf der Documenta sein »Büro für direkte Demokratie«. Wenn man ins Fridericanum reinkam, war links die Besucherschule von Bazon Brock und rechts unsere Buchhandlung. Die war in der Mitte des Raums aufgebaut. Und hinter unserer Buchhandlung war dann das »Büro für direkte Demokratie«. Unsere Buchhandlung war damals sehr gut besucht, aber sie war eben auch häufig blockiert von den Studenten.

Was waren das für Studenten?

WK: Die kamen insbesondere aus Frankfurt. Die Documenta war denen völlig gleichgültig. Die warteten morgens bereits vor 10.00 Uhr, um zu Beuys zu gehen und ihn irgendwie aufs Kreuz zu legen - also in der Diskussion. Das war natürlich die politische Zeit. Beuys hatte eine unglaubliche Geduld. Er beantwortete von morgens bis abends dieselben Fragen. Drei Monate lang. Das war ein bleibendes Erlebnis für uns als Buchhändler. Beuys hat an unserer Buchhandlung sehr stark teilgenommen. Er kam morgens, wenn er Zeit hatte und kommentierte die Bücher. Damals haben wir immer gesagt: Eigentlich müssen wir die Bücher austauschen. Die Bücher sind zu dreckig. Aber der Beuys hat immer gesagt: Lasst die Ansichtsexemplare Eurer Bücher, die immer speckiger werden um Gottes Willen liegen. Desto dreckiger, desto besser. Man kennt das ja, wenn Bücher in der Mitte noch ein bisschen weiß sind und vorne und hinten schon so speckig. Unsere hat er dann am letzten Tag alle bearbeitet. Das war eine erste richtig professionelle documenta Buchhandlung, die auch sehr wichtig war für die Besucher, sehr streng und fast ein Teil der Ausstellung. Szeemanns »Individuelle Mythologien«: Das war für uns als Buchhändler ein wunderbares Thema. So wurde das eine richtig der Systematik der Documenta folgende Buchhandlung.

Das Publikum bei der Documenta, also auch die potenziellen Käufer, das ist ja sehr breit aufgestellt. Da gibt es einerseits sehr spezialisierte Leute, sozusagen die »Alten Hasen« des Kunstbetriebs, aber eben auch Leute, die nur einmal in fünf Jahren eine große Ausstellung anschauen. Wie würden Sie das beschreiben?

WK: Die Documenta ist ja immer noch die Ausstellung der Ausstellungen. Da kommen die Whitney Biennale, und auch die Venedig Biennale, nicht mit. Das ist immer noch das Ereignis. Und zu den Eröffnungstagen kommt sozusagen das große internationale Publikum. Die Künstler, Händler, Sammler und die Museumsleute sind da. Und die sind dann auch immer ein paar Tage da, nicht zuletzt auch, um ihre Geschäfte zu machen, glaube ich. Dann sind ein wichtiger Teil des Publikums die Studenten. Wenn man das zurückverfolgt, war die Documenta von Bode eigentlich ursprünglich für die jüngeren Leute konzipiert. Das war immer sein Publikum, das er sich gewünscht hat. Aber das war eben auch ein großer Reinfall. 1968 war »sein« Publikum vorwiegend politisiert und hat ihm eigentlich total Kontra gegeben und ihm den Amerikanismus der Documenta scharf vorgeworfen. Das war eine große Enttäuschung für den Bode, dass gerade die Leute, für die er das alles inszeniert hat, sozusagen seine schärfsten Kritiker waren. Und dann gibt es natürlich über die drei Monate ein total seriöses, perfekt informiertes, super Publikum von Spezialisten aus der ganzen Welt. Und daneben eben auch das breite Publikum. Es gibt auch viele bürgerliche Leute, die wegen des Ereignisses dahingehen, aber mit der Kunst im Einzelnen vielleicht gar nicht so viel anfangen können.

Die vielleicht auch kommen, weil es eine gewisse Tradition hat?

WK: Genau. So kommen ja mittlerweile auch die Besucherzahlen zusammen. Ich weiß gar nicht, wie hoch die jetzt sind.

Über 750.000.

Franz König: Alle sind tatsächlich sehr ernsthaft. Auch das Bildungsbürgertum geht da ganz anders heran als an eine große Blockbuster-Ausstellung.

Es hat also auch für Sie etwas Weihevolles?

FK: Weihevoll nicht, aber es ist schon eine Positionierung, und man lässt sich da sehr ernsthaft drauf ein. Es ist ja auch eine gewisse Klippe, die man erst einmal erreichen muss, um überhaupt in Kassel zu sein. Das nimmt man sich richtig vor.

WK: Du meinst, die Besucher?

FK: Ja. Die sind sehr ernsthaft interessiert. Und darum funktioniert eine Buchhandlung dort auch gut. Die sind auch daran interessiert, das zu vertiefen. Und auch, wenn sie wieder zu Hause sind, sich weiter damit zu beschäftigen. Es ist nicht schneller Konsum, sondern eine sehr bewusste Erfahrung.

WK: Aber es ist eben auch für uns Buchhändler gut, was der Franz sagt. Die großen Sammler und Händler, die kaufen natürlich all die Bücher, die ihrem Interesse entsprechen. Was wir in dieser hohen Qualität und Dichte als Buchhändler aber selten erleben, sind die vielen jungen Leute, die nicht das Geld haben, die Kunst zu kaufen, sich aber ganz ernsthaft dafür interessieren und entsprechend super anspruchsvolle Buchkäufer sind. Die Buchhandlung auf der Documenta ist, wenn es gut läuft, und es war fast immer so, quasi wie ein Treffpunkt auf der Documenta. Die Leute sagen immer, es ist egal, wenn du eine halbe Stunde zu spät kommst. Ich habe hier genug zu tun in der Buchhandlung. Die Verweildauer der Kunden in der Kasseler Buchhandlung ist erheblich länger als in allen unseren anderen Buchhandlungen in Museen.

Und die Qualität des Austauschs und der Gespräche ist sicherlich besser?

WK: Zu Gesprächen kommt es leider nur bedingt, weil es natürlich auch eine große Hektik gibt. Aber es gibt auf der Documenta eigentlich nie Krach in der Buchhandlung. Und das, obwohl die ganzen Umstände wenig luxuriös sind. Auf der Documenta 11 hatten wir 13 Container, die als Buchhandlung aneinandergekoppelt waren. Da drin ist es extrem heiß. Da läuft quasi das Wasser von den Wänden. Und es ist extrem voll. Die Leute stehen wie in einer engen Straßenbahn. Und trotzdem gibt es nie Beschwerden. Es ist einfach eine total gute Stimmung. Man redet immer mit Leuten, denen Bücher extrem wichtig sind. Es ist überhaupt kein Hype dabei. Es geht nicht um Repräsentation. Das ist unser Idealpublikum. Und das Niveau der Bücher, die wir verkaufen, ist sehr hoch.

Dann gehen die Leute wahrscheinlich auch mit Packen von Büchern nach Hause...

WK: Die nehmen unseren Service an: »Shipping Worldwide«, wie wir das nennen. Und wir sind eigentlich jeden Sonntagabend mit einem Lieferwagen voll Bücher nach Köln gefahren und haben die von hier verschickt. Die Leute kommen wirklich aus der ganzen Welt. Es gibt viele, gerade auch junge Leute, wo immer sie leben, für die die Documenta ein Anlass ist, vielleicht zum ersten Mal überhaupt nach Europa zu fahren. Für diese Leser leisten wir jede Art von Service.

Gibt es besonders herausragende Begegnungen mit Bücherliebhabern, an die sie sich noch erinnern?

WK: Eine der Spezialitäten unserer Buchhandlung sind ja Künstlerbücher: Bücher als autonome Kunstwerke. Die zehnte Documenta war für uns eine der ganz wunderbaren Situationen. Da hatten wir zwei Buchhandlungen. Unten in der Documenta-Halle waren wir Teil des Documenta-Projekts. Der New Yorker Künstler Vito Acconci war von Catherine David aufgefordert worden, eine Landschaft für das Anschauen von Videos zu bauen. Da hat er aber gesagt, nein, er hätte keine Lust auf Videos, er würde viel lieber eine Buchhandlung bauen. Er hat dann auch mit uns gesprochen, und wir waren begeistert. Er hat dann eine total raffinierte Buchhandlung gebaut. Da haben wir uns ausschließlich auf Künstlerbücher beschränkt. Das war ein großer Erfolg. Da gab es einen großen Lesetisch. Seitdem haben wir dort gerade dafür ein sehr gutes, interessiertes Publikum gefunden. Wir werden auch in diesem Jahr wieder eine Abteilung für Künstlerbücher präsentieren.

Tagsüber sind ja viele Besucher mit der Besichtigung der Ausstellung beschäftigt. Wie lange haben Sie denn abends immer geöffnet?

FK: Bis 20 Uhr haben wir geöffnet, häufig auch länger, wenn wir Kunden haben, und es ist angenehm, kann man auch ein bisschen weitermachen. Es ist dann oft wirklich eine schöne Situation und es kommt zu oft informativen Gesprächen.

WK: Man kriegt extrem viel Information dort. Es kommen natürlich auch viele Künstler. Viele von denen bieten uns ihre Publikationen an. Wenn Zeit ist, und das passiert dann auch oft abends, schauen wir uns das auch an. Bisher war eigentlich immer abends vor der Buchhandlung ein totaler Treffpunkt.

FK: Und das ist ja auch ein Ausnahmezustand, aber im besten Sinne. Man will oft gar nicht nach Hause, weil es so einen großen Spaß macht.

WK: Das sind Leute, die unsere Arbeit dann auch wirklich zu schätzen wissen. Wir kriegen auf der Documenta ein Feedback, das wir in unserem Geschäft nicht täglich erfahren.

FK: Aber das sind auch Leute, die ihr Wissen gerne teilen, die einen nicht prüfen oder vorführen, sondern die sich einfach unterhalten darüber, was am Tag passiert ist und welche Bücher ihnen gefallen. Das ist wirklich ein Austausch, der da stattfindet.

Entstehen daraus auch neue Projekte?

FK: Das auch, ja.

WK: Es ist dann eben wirklich international. Es ist vielleicht auch noch interessant zu sagen, dass die deutschsprachigen Bücher immer weniger eine Rolle spielen. Die englische Sprache ist die absolute Hauptsprache. Und das nicht nur in der Kommunikation mit den Kunden sondern auch von den Publikationen her.

FK: Das haben wir auch gemerkt. Irgendwann waren plötzlich ganz viele Spanier und Südamerikaner da. Die kamen vorher nicht so zahlreich.

WK: Da haben wir oft den ersten Kontakt zu unseren langjährigen Stammkunden bekommen.

FK: Sie fragten nach besonderen Begegnungen. Das Schöne ist eigentlich, dass es so eine angenehm normale Situation im Laden gibt. Die Kunden sind ja nicht auf dem Laufsteg. Wir haben sicherlich auch oft mit vielen Künstlern zu tun. Einige stellen sich vor, viele aber auch nicht. Aber das ist alles auf einer Ebene. Ob das jetzt ein Student ist, ein Künstler oder ein Professor. Die nutzen den Laden alle gleich. Oft merken wir erst nachher, welchen berühmten Kunden wir da gerade bedient haben.

WK: Das war auch letztes Mal so. Da kam Hal Foster, einer der großen amerikanischen Theoretiker, und sagte: »Das ist aber nett, dass Sie meine Bücher hier liegen haben.« So etwas ist schon irgendwie toll. Das freut die, und von denen kriegen wir dann auch viele Tipps. Foster sagte, es gibt da einen Typen, der hat das total verrissen, mein Kollege da und da. Aber es wäre schon interessant, wenn ihr sein Buch mal daneben legen könntet.

Also ändert sich das Sortiment auch im Laufe der drei Monate durch diese Tipps und diese Art von Gesprächen?

WK: Ja, auch. Aber wir sind auch jetzt schon dabei, für die Buchhandlung zu recherchieren. Die Documenta ist für uns buchhändlerisch die größte Herausforderung, die wir haben. Wir sind eine etwas anachronistische Buchhandlung. Wir machen alles, wir machen viele Bibliotheksgeschäfte. Wir haben viel, wie man das heute nennt, stationären Handel. Wir schreiben auch noch richtige Postkarten an die Leute. Wenn wir wissen, der interessiert sich für Meissener Porzellan, dann kriegt der von uns eine Postkarte. Was ja heute im Buchhandel nicht mehr so üblich ist. Wir haben eben auch große antiquarische Bestände. Die eine Seite der Buchhandlung ist ein alphabetisches Regalsystem, wo zu jedem Künstler auf der Documenta, wenn es irgendwie möglich ist, die Literatur steht.

Dann kriegen Sie also schon relativ früh die ansonsten ja streng geheime Künstlerliste?

WK: Ja, die haben wir schon.

FK: Unter strengstem Verschluss.

WK: Ja, da mussten wir sozusagen auf die Bibel schwören. Was aber auch interessant ist: Es wird diesmal eine Abteilung mit der Bibliothek von Carolyn Christov-Bakargiev geben, in der man die einzelnen Titel auch kaufen kann.

FK: Die Liste ist zum Teil auch schon öffentlich auf der Website: Also, die Bücher, die sie gekauft und gelesen hat in der Zeit, in der sie die Documenta vorbereitet hat. Das ist eine ganz interessante Liste. Da taucht eben auch viel Literatur auf. Sie ist eine extrem gebildete Frau. Wir hoffen, dass das auch die Kunden interessant finden. Weil das eine eigene Bibliothek mit einer ganz eigenen Ordnung ist.

Wie wird die Buchhandlung eigentlich aufgebaut sein? Gibt es da eine altbewährte Ordnung?

WK: Die systematische Buchhandlung ist sehr übersichtlich. Sie gehen sozusagen in das linke Drittel der Buchhandlung rein und kommen in einen Raum, der ein Vorraum ist, dahinter liegt die Kasse. Sie können sich da orientieren: Gehen Sie nun nach links, oder gehen Sie nach rechts. Links gibt es Postkarten und etwas populärere Sachen. Und rechts ist eine ganz strenge Systematik, die ganz schnell erkennbar ist. Es geht los mit ästhetischer Theorie und endet ganz am Ende noch einmal mit einem separaten Durchgang mit den Künstlerbüchern. Das ist sozusagen der Verweilraum. Da gibt es auch einen Lese-Tisch, auf dem keine Bücher liegen. Die linke Seite ist dann ganz streng den Teilnehmern der Documenta zugeordnet.

FK: Man fängt dann mit der Theorie an.

WK: Die Präsentation der Bücher, wo wir was hinlegen, ob auf den Tisch, an die Wand, als Facing, wie man das heute nennt, den Umschlag also zum Gesicht des Kunden, oder herkömmlich, das ist unsere Buchempfehlung. Wenn Sie jetzt kämen, und ich hätte Zeit, dann könnte ich sagen: Hier, das finde ich interessant. Die Titel, die wir persönlich als Buchhändler interessant finden, so zu präsentieren, dass die Kunden unsere Meinung erfahren, ist für uns alle ein großer Ehrgeiz.

FK: Aber das funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Das muss nicht immer an der besten Stelle auf dem Stapel liegen, sondern es kann ganz versteckt im Alphabet stecken, weil wir hoffen, dass der Spezialist sich so viel Zeit nimmt, eben genau dieses Regal durchzugucken.

WK: Und dann gibt es immer am Ende des Ladens, da, wo sich alles noch mal verengt, noch zwei Regale ausschließlich mit unseren Empfehlungen. Da steht auch mal ein Buch über mittelalterliche Kathedralskulptur. Oder eines von Asger Jorn, der einmal ein Buch über Zungen gemacht hat. Irgend so was. Oder auch ausnahmsweise mal ein Roman. Oder ein bestimmtes Fotobuch, Fotos von Brancusi oder ich weiß nicht was. Das ist unser Interesse zu sagen: hier, der besondere Tipp. Das schreiben wir nicht dran, aber man kann es entdecken. Da sieht man aber: Das fällt aus der Systematik raus. Da steht vielleicht auch mal ein Buch über Möbel des Klassizismus oder Möbel von Schinkel. Das macht uns besonders Spaß als Buchhändler. Und das ändert sich aber auch immer je nachdem, wie die Leute reagieren.

Vielleicht noch einmal zur Abstimmung mit der Künstlerischen Leiterin. Gibt es da Treffen im Vorfeld? Sind Sie sowieso befreundet?

WK: Nein, befreundet sind wir nicht, haben aber eine sehr gute Arbeitsatmosphäre. Carolyn Christov-Bakargiev ist total locker und wunderbar. Im Englischen spricht man sich ja sowieso mit dem Vornamen an. Aber wir haben uns diesmal frühzeitig beworben. Erst einmal kam das Vertragliche mit der Documenta GmbH. Danach haben wir mit ihr korrespondiert. Und dann haben wir uns zu einem Gespräch getroffen. Das war erst im Dezember. Da haben wir hier in Köln zwei Stunden mit ihr und ihrer Assistentin geredet. Das war eigentlich ein sehr schönes Gespräch. Da hat sie uns auf den Zahn gefühlt.

FK: War aber auch sehr offen.

WK: Da hat sie uns auch schon die Liste gezeigt. Ich wollte sie einstecken, durfte aber nicht. Mittlerweile kriegen wir zweimal am Tag eine Mail von ihr. Das hat sich sehr aktiviert. Den Vertrag haben wir eigentlich erst sehr spät unterschrieben - vor zwei Wochen.

In Ihren Documenta-Buchhandlungen herrscht ja immer eine besonders entspannte Atmosphäre. Wie kriegen Sie das eigentlich hin?

WK: Unsere große Buchhandlung ist sehr offen gestaltet. Jeder kann alles anfassen. Es gibt nichts hinter Glas. Auch nicht die teuren Bücher. Wir sagen auch nie, pass doch auf mit dem Buch oder so etwas. Aber erstaunlich wenig geht da kaputt. Die Leute gehen meines Erachtens auf der Documenta mit den Büchern sogar besser um als an vielen anderen Orten. Nur die letzte Abteilung, die Künstlerbücherabteilung, ist natürlich ein wenig museal zu sehen. Da haben wir so ein bisschen ein Problem zu sagen: Fasst es an, guckt es euch an. Es gibt natürlich ein paar Titel, die auch wirklich teuer sind und auch schon mal ein paar Tausend Euro kosten. Die müssen wir dann einfach schonen.

Dann noch einmal zu den Documenta-Notizheften. Die haben Sie jetzt ja schon in Ihrem Sortiment. Welche Erfahrungen haben Sie bisher damit gemacht? Wie ist das Interesse?

WK: Ganz unterschiedlich. Ich finde die Idee dieser Reihe ganz toll. Wie das immer bei solchen Reihen ist, gibt es natürlich Bände, die einem persönlich wichtiger sind als andere. Ich finde einige von denen ganz außergewöhnlich: Das Buch von Carolyn Christov-Bakargiev, die Super-Theoretiker und die besonders interessanten Künstler, Ida Applebroog zum Beispiel. Aber auch das Dalí-Buch ist überraschend. Die stellen wir frontal, und die anderen stellen wir herkömmlich daneben. Unsere Kundschaft ist es so gewohnt. Die registrieren das sehr aufmerksam.

FK: Aber man merkt jetzt auch, wie die Nervosität steigt. Immer mehr Leute sind angefixt. Die fangen mit einem Notizbuch an und kommen dann am nächsten Samstag wieder und kaufen drei mehr.

Und hätten vielleicht auch alle Bände gern komplett?

FK: Wir haben mehrere Kunden hier in Köln, die das jetzt komplett subskribieren. Erst mussten sich die Kunden dran gewöhnen, aber dann kamen sie begeistert zurück. Es sind zwar immer knappe Notizbücher, aber insgesamt es ist schon eine ganze Menge, die man da durcharbeiten muss.

Über 3000 Seiten...

FK: Also, man merkt, dass die Documenta jetzt gewaltig näher rückt. Jetzt kommen auch die immer ausgefalleneren Notebooks, die werden immer noch besser.

Zurück nach Kassel. Ihren Berichten entnehmen wir, dass die Abende dort auf der Documenta etwas ganz Besonderes sind...

WK: Die Abende sind ganz etwas Besonderes. Wir als Buchhändler, wenn wir dann irgendwie noch krauchen können, dann ist ja auch jeden Abend etwas los. Es gibt ja auch so eine Gemeinschaft da von Kasselanern. Da sind total interessante Typen dabei, wirklich interessante Leute. Die Studenten von der Akademie zum Beispiel, die da aufpassen. Auf der anderen Seite Leute, die vielleicht vier Wochen irgendeine Verpflichtung auf der Documenta haben. Es war eigentlich bisher jeden Abend so, dass man sich irgendwie traf.

Dass sich ein Inner Circle herausbildet?

WK: Dass sich so ein Circle herausbildet von Leuten, die auf der Documenta sind.

FK: Das ist ja das Schöne, weil Kassel ja eine kleine Stadt ist.

WK: Da weiß man immer, wo man hingeht.

FK: Das ist aber kein elitärer Kreis sondern ein offener. Die Studenten aus der ganzen Welt, die kriegen dann auch mit, wo die Kneipe ist.

WK: Und das ist ein ganz wesentlicher gesellschaftlicher Teil der Documenta.

Haben Sie eigentlich immer eine feste Bleibe in Kassel, wo Sie hingehen?

WK: Wir mieten dann immer irgendwo eine Wohnung.

FK: Die muss möglichst nah sein, dass man, wenn man morgens etwas verkatert aufwacht, es eben doch noch rechtzeitig in die Buchhandlung schafft und eventuell mittags noch mal nach Hause gehen und eine halbe Stunde schlafen kann.

WK: Wenn man da arbeitet, ist man immer irgendwie so ein bisschen »high«. Wie ich vorhin schon sagte, ist es manchmal eine sehr anstrengende Arbeit. Es ist meistens sehr heiß und sehr voll. Die Leute kommen einem sehr nah. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass sie Titel haben wollen, von denen wir hier im Laden vielleicht nach Erscheinen im ersten halben Jahr fünf Stück verkaufen. Die verkaufen wir da als Bestseller. Jeden Tag zehn Stück.

FK: Man wird dort belohnt. Man kriegt sofort die Bestätigung.

WK: Es ist ja nicht unbedingt der Umsatz. Aber irgendwelche Chicago University Press Paperbacks, die wir hier nur mühsam verkaufen, gehen da weg, als ob die Leute Krimis kaufen.

FK: Und das ist eben auch ganz anders als auf irgendeiner Messe, wo man drei Tage voll den Hype hat. Das ist natürlich sehr intensiv. Aber da geht es dann mehr um den Konsum der Kunst. In Kassel ist es wirklich die Auseinandersetzung. Der Diskurs spielt eine viel größere Rolle, was sich dann auch bei uns in der Buchhandlung widerspiegelt.

WK: Für mich sind die Documenta-Ausstellungen quasi seit über 40 Jahren die Fixpunkte meines buchhändlerischen Lebens.

Was ist denn für Sie der ideale Standort einer Buchhandlung auf der Documenta?

WK: Unsere Vorstellung war immer, eine Situation zu schaffen wie in Italien. Da ist ja gegenüber der Kathedrale immer eine Bar. Und wir wollten gern so etwas wie die Bar sein mit unserer Buchhandlung direkt gegenüber vom Fridericianum. Das hat eigentlich auch viele Jahre geklappt. Da waren wir immer unmittelbar gegenüber dem Fridericianum unter den Bäumen. Das ist aber jetzt alles zugebaut, weil da die Eingänge für das neue Parkhaus sind. In diesem Sommer haben wir den absoluten Super-Standort. Es ist ein Bekenntnis von Carolyn Christov-Bakargiev zu den Büchern! Sie werden sehen.

Wo jeder einmal vorbeikommt...

WK: Ja, absolut. Unser Interesse ist immer, dass die Leute sehen, dass es eine Buchhandlung gibt. Die Entscheidung, dahinzugehen, müssen sie dann aber selber treffen.

Das Interview führten die Kunstjournalisten Nicole Büsing und Heiko Klaas.
17.04.2012

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