INTERVIEW MIT MARIUS GLAUER

Der norwegisch-deutsche Künstler Marius Glauer (*1983, Oslo, Norwegen) lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte an der Universität der Künste Berlin und an der Parsons School of Art and Design, New York. Wir besuchen ihn im Großfotolabor der Universität der Künste Berlin, wo er derzeit einen Lehrauftrag hat. Seine Erscheinung passt zum Inventar: Schwarze Wände, schwarze Kleidung. Wir setzen uns über Eck an den großen Fototisch, auf dem sonst die Prints ausgerollt werden und schauen gemeinsam in sein 2021 bei Hatje Cantz erschienenes Buch GLAUER. Marius Glauers Praxis hat sich weiterentwickelt, doch die Monografie GLAUER ist ein grundlegendes Werk, das einen Einblick in die Anfänge und Findung seiner künstlerischen Praxis gibt.
In seiner ersten institutionellen Einzelausstellung Wait a Minute im Francisco Carolinum in Linz zeigt er im Format stark variierende und teils installative Arbeiten, bewegt sich an der Schnittstelle von Bild und Skulptur. Er arbeitet fotografisch, sieht sich jedoch selbst eher als Maler oder Bildhauer.

HC: Marius, GLAUER beschreibt zu Beginn einen radikalen Bruch in deinen ersten Studienjahren, der letztlich den Grundstein für die neue Richtung gelegt hat, die heute dein künstlerisches Schaffen definiert, weg von der klassischen Fotografie. Fragst du dich manchmal, was wäre, wenn du durch eine andere Tür gegangen wärst?

MG: Für mich hatte sich das Bild zu diesem Zeitpunkt erschöpft. Aber vielleicht war ich da auch ein bisschen ungeduldig. Viele Bilder gibt es schon zu oft. Ich war auf der Suche nach einem neuen Effekt und Innnovation. Jedenfalls begann da langsam meine Arbeit mit diesen Materialien. Ab da wird deutlich, dass ich eher wie ein Maler arbeite, oder wie ein Bildhauer, nicht wie ein klassischer Fotograf, der das Bild sucht, die Momente mit dem Menschen. Sobald der Mensch im Bild ist, dreht sich alles nur um ihn. Mit den Materialien habe ich mich wohler gefühlt – aber es war ein steiniger Weg, weil das erst mal mit Oberflächen zu tun hat. Dadurch wird es in dem Moment, sobald der Mensch draußen ist, automatisch recht hart.

Untitled II, 2015 © Marius Glauer

HC: Und die Objekte, finden sie dich oder findest du sie?

MG:. Es bedarf Material, und das zu bekommen, ist gar nicht immer so einfach - ob das dann gekauft wird, gefunden wird, oder von irgendetwas abgetrennt werden muss. Das ist eigentlich der brutalste Part. Manchmal ist es das ganz einfach: Nagellack auf metallischem Hintergrund. Das reicht dann aus. Und manchmal ist da vielleicht ganz viel anderes Material, das nur nötig ist, um dieses Bild aus sich heraus zu entlassen, entstehen zu lassen. Es bedarf irgendwie einer Anhäufung, wie einen Urknall eigentlich. Es muss sich so viel ansammeln und anstauen, bis einzelne Teile entstehen.

HC: Was macht ein Material für dich kunstbar?

MG: Mittlerweile darf theoretisch jedes Material in meine Assemblagen. Manche stoßen mich aber ab, oder sprechen mich nicht an. Ich überlege immer, wie etwas in der Übersetzung im Bild aussieht, und vor allem in groß. Im Endeffekt kommt es auf die Balance an. Metallische Gegenstände sind beispielsweise sehr belohnend und spielen mit einem High and Low, Trash and Treasure. Nur Blumen, das wäre es auch nicht. Es geht um Widersprüche und Ambivalenzen.

HC: Deine Bilder haben den Charakter von einem Höhepunkt, den wir aber aus dem Moment danach betrachten. Fast wie eine frische Melancholie, dass es jetzt vorbei ist. Ein grausames Gefühl, das aber gleichzeitig auch eine Lebenslust in sich trägt.

MG: Tatsächlich sind diese skulpturalen Aufbauten, die Assemblagen, darauf angelegt, dass sie sich auffüllen und in voller Gänze und Schönheit zeigen, worauf unweigerlich die zweite Phase folgen muss: der Kollaps. Das passiert auch in den einzelnen Serien, die verschiedene Bilder hervorbringen. Da ist dann mal ein vertrockneter Blumenstrauß, oder ein Bild heißt einfach nur Love me - das ist vielleicht eine Verzweiflung, die von einem Bild ausgeht und trägt auch die Frage in sich, ob man überhaupt das neue Bild fotografieren oder entstehen lassen kann. Ich will die Verzweiflung nicht verstecken, ich will sie eher laufen lassen und gucken, wie sie sich verselbstständigt und was für Bilder sie kreiert. Das ist auch Freude am Collapsing, Failing. Vielleicht ist das auch etwas Evolutionäres, wenn etwas nicht funktionieren kann. 

HC: Schwingt in den Materialien, die teilweise aus der Massenproduktion stammen, eine Kapitalismuskritik, ein Umweltbewusstsein oder eine Spiegelung für unseren Hedonismus mit?

MG: Ich denke es sind Materialien, die darauf hinweisen, dass uns immer mehr die Luft wegbleibt. Das ist das, was verfügbar ist, das sind die Sachen, die uns umgeben und das im Guten wie im Schlechten. Sie drängen sich in die Werke rein. Wie Girlanden, die sind wahnsinnig vielfältig: Sie erleben alle Stimmungen einer Party, aber bleiben hängen, die Stimmung fällt, sie werden zu Müll. Auch durch die Vergrößerung verwandelt sich das Ganze.

Joie de Vivre 1, 2019 © Marius Glauer

HC: Du ziehst viele Motive also groß, wählst den Bildausschnitt bewusst. Was passiert, wenn du nichts findest? Was bedeutet bei all der Opulenz in den Materialien das Nichts oder die Leere für dich?

MG: Die Kamera bleibt bei mir ja passiv. Ich entscheide von den Materialien ausgehend. Ich denke in einer Art protektionistisch eingefasstem Raum, in dem einzelne Materialien im Mittelpunkt stehen. Das ist recht übersichtlich. Und doch sind das Kompositionen auf kleinem Raum, an die ich immer näher ran rücke, bis irgendwann die Erschöpfung folgt und ich am Ende nur noch die Spuren des Settings fotografiere. Es fängt also oft sortiert an aber geht eigentlich darum, dass sich alles verändert. Durch mich, durch sich selbst. Dadurch, dass es sich verändert, tauchen auf einmal unverhoffte Konstellationen auf. Und in diesem Bildausschnitt denke ich diese dann schon wieder weiter in die Größe. Ich denke nicht an die Dinge, die sie in Echt sind, an ihre eigentliche Größe. Ich denke sie direkt weiter, auch für den Raum.

HC: Du arbeitest so auch individuell für die Ausstellungsräume und übersetzt die Werke speziell für den Raum, in dem du sie zeigst?

MG: Ja, das hat sich so eingeschlichen. Ohne den Raum zu sehen, entsteht gar keine erste Vision – Was kommt hier rein? Im Raum soll eine bestimmte Geste entstehen, die im Idealfall den Nerv der Zeit und auch meine eigenen Themen umfasst. Die fliegenden Tubes zum Beispiel kamen aus einem Drang nach Innnovation: ich habe sie stehend, auf einem Sockel gezeigt, aber jetzt sollen sie fliegen. Es gibt also auch diesen Push: Jetzt müsst ihr was anderes machen! Und wir gucken uns das an.

Ausstellungsansicht Eigen+Art Lab, 2025 © Marius Glauer

HC: Bleiben wir bei den Tubes. Welche Rolle spielt hier die Form des Materials, das rollenförmige? 

MG: Alle Prints kommen aus dem Drucker nach außen gerollt. Jedem glatten Bild geht diese zylindrische Form voraus. Die Tubes haben etwas säulenartiges, architektonisches und mich davon befreit, nur Bilder zu machen. Das Bild hat den Sprung in die Skulptur geschafft. Das war für mich total heilsam. 

HC: Du beginnst also mit der Assemblage im dreidimensionalen Raum, übersetzt sie in ein zweidimensionales Bild und dieses wiederum in eine Skulptur im Raum.

MG: Die Tubes versuchen mittlerweile auch schon sich in die Bilder hinein zu drängen. Das habe ich aber noch nicht erlaubt. Ich versuche, dass es nicht zu selbstreferenziell wird, versuche immer wieder weiter auszuholen, es aber gleichzeitig zuzulassen, wenn etwas erneut auftritt.

HC: Man kann deine Arbeiten also eher räumlich, nicht klar narrativ lesen. Was bedeutet Zeit für deine Arbeit?

MG: Ich habe als Bild vor Augen, immer an der Spitze der Zeit zu sein. Aber das ist ein Dilemma: Wir sind immer an der Spitze der Zeit, bis wir aufhören sie wahrzunehmen. So fühlen sich eigene Narrative für mich an und dadurch fühle ich auch, dass sie nie gleichbleiben - bis man stirbt, und dann zurückschaut. Ich möchte mir vorstellen, diesen fortlaufenden Zeitstrang aufzuspalten, ihn in ein Spektrum zu zerteilen, um nicht dieses Gefühl des Dilemmas zu haben, um dem Fortlaufen der Zeit entgegenzuwirken. Mir ist natürlich bewusst, dass es irgendwann endet. Aber fotografisch ist das toll! Die Fotografie hält die Zeit fest, zeigt Ambivalenzen auf. Sie zeigt das Konkrete wie das Abstrakte. Die Bilder entstehen eigentlich als Unterbrechungen des Prozesses der Assemblage, die sich aufbäumt und wieder zerfällt.

HC: Ist das eine Sehnsucht nach einem Innehalten?

MG: Es ist eher der Drang das volle Spektrum zu erleben, auch alle Ideen und das künstlerische Schaffen auszuschöpfen – aber das ist auch wieder ein Dilemma, denn das geht ja gar nicht. Das Schöne ist ein schöner Versuch, der scheitert, oder ein Scheitern, das etwas Schönes sein kann. Man denkt man hat es raus, wie etwas geht und merkt dann wieder: no, you don‘t. Daher kommt auch meine Antihaltung zur Ideenkunst. Die Titel der Arbeiten betrifft das ebenso: Sie sollen das Assoziationspotenzial bloß nicht unterbrechen. Manche brauchen Ankerpunkte, ich brauche das nicht. Ich will, dass die Arbeit frei laufen kann.

Die Architektin, 2025 © Marius Glauer

HC: Analog oder Digital? 
MG: Beides, Hybrid.

HC: Innehalten oder Wandel? 
MG: Ebenfalls beides.

HC: Skulptur oder Bild? 
MG: Ja, auch beides.

HC: Studioaufnahme oder unter freiem Himmel?
MG: Ja, mit einem Fuß drin, ein Fuß draußen. Auf der Türschwelle vielleicht.

HC: Eindeutigkeit oder Ambivalenz?
MG: Wahrscheinlich eher die Ambivalenz.

HC: All or Nothing?
MG: Das ist die große Frage. Es wechselt.

Das Interview mit Marius Glauer führte Anna Hofmann im Juni 2025. 

 


Headerbild Marius Glauer © Yannick Schuette

Veröffentlicht am: 30.07.2025