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INTERVIEW MIT FRANK KUNERT

Frank Kunert eröffnet uns mit seinen fotografischen Miniaturwelten die faszinierende Möglichkeit, im Kleinen das Große zu entdecken. Das Werk des in Frankfurt geborenen Künstlers präsentiert auf den ersten Blick täuschend echte Nachbildungen von Innen- und Außenräumen, doch bei näherem Hinschauen enthüllen die architektonischen Szenen verborgene Geheimnisse: Warum sind die Szenerien menschenleer? Was steckt hinter dem zugemauerten Balkon? Und wie fühlt es sich wohl an, kopfüber in einem Auto zu sitzen, das an einem Riesenrad befestigt ist? Im Gespräch mit Hatje Cantz gewährt der Künstler einen tiefen Einblick in seinen künstlerischen Werdegang, die Beziehung von Realität und Kunst seinen Arbeitsprozess.
Hatje Cantz: Herr Kunert, Ihre Miniaturwelten wirken einerseits unglaublich realistisch, andererseits entfalten sie eine surreale, manchmal sogar unheimliche Atmosphäre. Haben Sie schon immer so gearbeitet? Und was hat sich in den letzten Jahren an Ihrem kreativen Prozess verändert?
Frank Kunert: Als ich in den 1990er Jahren begann, kleine Szenen zu gestalten, war mein Ansatz noch wesentlich verspielter – auch wenn ich schon damals interessiert an den Absurditäten des Lebens war. Doch meine Welten waren zunächst von Knetfiguren bevölkert, die ich dafür geschaffen hatte. Irgendwann merkte ich dann, dass die Kulissen immer realistischer wurden und mich geradezu einluden, sie für sich allein sprechen zu lassen. So ließ ich dann die „Personen“ weg und konzentrierte mich allmählich auf das Gestalten von Gebäuden. Hierbei hat es mich immer sehr fasziniert, wie Spuren der Alterung einer Fassade Leben einhauchen können. So bin ich noch heute manchmal beim Spazierengehen irritiert, wenn ich sehe, dass ein mir vertrautes und in die Jahre gekommenes Haus plötzlich renoviert wird und die Patina verschwindet. In meinen Arbeiten möchte ich dieser Patina und dem gelebten Leben dann einen Platz schaffen. Und natürlich dem Absurden in unserer Welt – das hat sich in all den Jahren nicht verändert.
Frank Kunert: Auf hohem Niveau
Hatje Cantz: Wenn Sie auf die Anfänge Ihrer künstlerischen Karriere zurückblicken – gibt es eine besondere Erinnerung, die Sie als Schlüsselmoment in Ihrer Laufbahn betrachten?
Frank Kunert: Es war zwar nicht am Anfang, aber für die Entwicklung meiner heutigen Arbeit sehr prägnant: Ich erinnere mich an einen Urlaub im Elsass im Jahr 2001, bei dem ich ein altes Haus erblickte, das einen nachhaltigen Eindruck auf mich ausübte – vielleicht wegen seiner Ausstrahlung einer gewissen Tristesse, und gleichzeitig wirkte es auf mich mit seiner unauffälligen Bauweise würdevoll. Ich hatte es zwar nur im Vorbeifahren aus dem Auto gesehen, so dass meine Erinnerung an Details nicht sehr klar ist, aber ich bekam das Gefühl, dass Gebäude Geschichten erzählen können, die weit über das rein Architektonische hinausgehen. Da diese Begebenheit mit meiner Erfahrung der realistischer gewordenen Miniaturkulissen zusammenfiel, war das für mich tatsächlich ein wichtiges Schlüsselerlebnis und der „Startschuss“ meiner Arbeitsweise, der ich nun seit über 20 Jahren treu geblieben bin.
Hatje Cantz: In Ihrem letzten Buchprojekt Carpe Diem beschreibt Eva-Maria von Máriássy die Verschmelzung von »ernster« Kunst und Humor in Ihren Arbeiten. Sind Ihre Fotografien Ausdruck Ihrer Weltsicht? Leben wir in einer dystopischen Welt, auf die man nur mit Humor blicken kann, um sie auszuhalten?
Frank Kunert: Ganz klar sind meine Fotografien ein Ausdruck dafür, wie ich die Welt sehe. Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab. Der Mensch sucht nach dem Glück, manchmal findet er es, um es bisweilen von einem auf den anderen Moment wieder zu verlieren – oder auch ganz schleichend, fast unmerklich. Und bei all den kleinen und großen Katastrophen, die uns begegnen, hilft ein gewisser Betrachtungsabstand, um auch das Dystopische in unserer Welt zu ertragen. Der Ernst des Lebens ist auf Dauer nur mit einer Prise Humor bekömmlich.
Frank Kunert: Streichelzoo
Hatje Cantz: Ihr neues Buch zeigt Arbeiten, die aus verschiedenen Serien stammen. Gibt es über diese Serien hinweg einen „roten Faden“ oder ein zentrales Thema, das sich durch Ihre gesamte künstlerische Laufbahn zieht?
Frank Kunert: Ja, es sind sicher mehrere immer wiederkehrende Themen: unter anderem die Frage, wie der Mensch mit sich und anderen umgeht oder wie wir Lösungen für Probleme suchen und finden. Da die Probleme aber oft so komplex und unüberschaubar sind, können vielfach nur kleinteilige Lösungen umgesetzt werden, die bisweilen von einem mehr oder weniger liebenswerten Aktionismus geprägt zu sein scheinen. Und so treten natürlich immer wieder neue Probleme auf. Letztlich geht es in meinen Arbeiten um all das Ambivalente im Leben, das ständige Hoffen, unsere Ängste, das Scheitern und Weitermachen. Gleichzeitig spielt der Gedanke an die Vergänglichkeit und das unvermeidliche Ende, der Tod, eine große Rolle in meinen Bildern.
Hatje Cantz: In Ihren Fotografien sind es nicht die Menschen, die im Vordergrund stehen, sondern menschenleere Szenerien. Was bedeutet die Abwesenheit von Menschen in Ihren Bildern?
Frank Kunert: Auch wenn die Menschen physisch abwesend sind, so versuche ich doch, ihre Spuren zu zeigen. Hier steht mal ein Glas auf dem Tisch, dort liegt Müll herum. Wer weiß, vielleicht betritt bald wieder jemand die eine oder andere Szene – so sieht es zumindest in meiner Vorstellung aus. Architektur, sowohl ganze Gebäude als auch Innenräume, stellt für mich eine passende Metapher für das sogenannte zivilisierte Leben dar. Und so möchte ich eine Projektionsfläche schaffen: Meine Fotografien sind wie Bühnenbilder, die man mit seinen eigenen Gedanken und Phantasien bespielen kann. In den Szenerien zeige ich oft Häuser, die in die Jahre gekommen sind, an denen der Zahn der Zeit genagt hat und noch immer nagt. Doch trotzdem stehen sie immer noch da mit ihrem bisweilen brüchigen Charme und einem gewissen Stolz – so zumindest meine Empfindung. Das Leben in und um sie herum scheint irgendwie zu funktionieren. Auch wenn die dargestellten Szenen oft seltsam absurd erscheinen mögen, so denke ich, dass die Menschen, die sich darin aufhalten könnten, sich das Leben eigentlich ganz gemütlich eingerichtet haben.
Frank Kunert: Menu a deux
Hatje Cantz: Ihr Arbeitsprozess ist handwerklich geprägt und vor allem analog – was in einer zunehmend digitalisierten Kunstwelt außergewöhnlich ist. Was sind die Gründe, warum Sie weiterhin auf diese analoge Arbeitsweise setzen, und wie beeinflusst diese Entscheidung die Entstehung Ihrer Fotografien?
Frank Kunert: Auch wenn ich digitalen Techniken nicht abgeneigt bin und auch seit einigen Jahren ausschließlich digital fotografiere, ist die Basis meiner Arbeit wirklich nach wie vor sehr analog. Wenn man die aktuellen technischen Entwicklungen bezüglich künstlicher Intelligenz betrachtet, wirkt mein Weg sicherlich nicht besonders effizient, zumindest was den zeitlichen Aufwand betrifft. Aber genau das ist es, was für mich den Reiz ausmacht: Ich habe zunächst eine Idee, die ich in meinem Skizzenbuch festhalte, manchmal für Monate oder gar Jahre bewahre und immer wieder damit spiele und sie weiterdenke. Irgendwann kommt der Moment, in dem ich das Gefühl habe, bereit zu sein für die dreidimensionale Umsetzung. Dann beginnt das langsame Herantasten: Ich baue eine Kulisse mit meinen Händen und versuche der Ursprungsidee eine sichtbare Gestalt zu geben. Im Augenblick des ersten „Spatenstichs“ an einer meiner Modellbaustellen weiß ich oft selbst noch nicht genau, wie es am Ende aussehen wird. Sowohl die genaue Komposition als auch die Atmosphäre, die durch das Licht entsteht, kristallisieren sich erst schrittweise heraus. Auch wenn ich im Alltag nicht immer der geduldigste Mensch bin, übe ich mich beim Arbeiten im Innehalten und genauen Hinschauen. Und das ist für mich der eigentliche Kern: Es geht nicht um die schnelle Lösung (auch wenn ich sie mir manchmal sehr wünsche!), sondern um die Beachtung jedes Augenblicks beim Tun, denn dieser gibt die Richtung vor und kann im günstigsten Fall auch wieder Impulse und Ideen bringen, an die ich am Anfang eines Prozesses nicht dachte. Das ist nach wie vor sehr spannend und inspirierend. Gerade in einer Zeit, die immer schnelllebiger wird, habe ich den Eindruck, dass eine Besinnung auf das analoge handwerkliche Schaffen eine große Bereicherung sein kann.
Hatje Cantz: Gibt es aktuelle oder geplante Projekte, in die Sie uns Einblicke geben können?
Frank Kunert: Seit einiger Zeit arbeite ich an meiner neuen Serie Dreams Come True. Einzelne Fotografien des Projektes zeige ich bereits bei Ausstellungen (manche auch zusammen mit den Miniaturkulissen selbst), und vielleicht entsteht ja aus diesem Projekt in Zukunft auch mal ein neuer Bildband.
Das Interview mit Frank Kunert führte László Rupp im Januar 2025.
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