INTERVIEW MIT DR. ANDREAS SCHUMACHER

Die Kunstkritikerin Annette Lettau im Interview mit Dr. Andreas Schumacher, Kurator der Botticelli-Ausstellung im Frankfurter Städel Museum. Sie dauert vom 13. November 2009 bis 28. Februar 2010.

Nur zwei Maler prägen noch heute unsere Vorstellung körperlicher Besonderheiten. Die »Rubens-Figur« ist ebenso ein Begriff wie das klare »Botticelli-Gesicht«. Das Werk des Florentiners Renaissancemeisters steht gemeinhin für Schönheit, Grazie und verhaltene Melancholie. Doch die Kunst Sandro Botticellis bietet noch mehr Facetten. In Berlin konnte man vor einigen Jahren seine Zeichnungen zum Dante-Zyklus bewundern. Allerdings fand eine umfassende Ausstellung seiner Arbeiten in Deutschland nie statt. Spektakulär also, dass das Städel nun erstmals eine gattungsübergreifende Botticelli-Schau zeigt. Wie hat das Museum diesen Kraftakt zustande gebracht?

Wir haben natürlich unsere Kontakte genutzt. Max Hollein - der Direktor unseres Hauses - und ich führten viele Gespräche mit den möglichen Leihgebern. In Florenz etwa, in Washington, London, Paris, New York - Wir haben zahlreiche Reisen unternommen, unsere Kollegen besucht, unser Konzept vorgestellt. Und wir haben damit überzeugen können. Entscheidend war, dass man sah: Wir setzen im Städel neue wissenschaftliche Akzente. Das gab letztlich den Ausschlag, kostbare Bilder wie die Minerva und der Kentaur in Florenz, die fast lebensgroße Venus in Berlin oder die nun erstmals wieder vereinten vier Zenobiustafeln - sonst in London, New York und Dresden zu Hause - auf Reisen zu schicken.

Was war der Auslöser zu diesem Projekt?

Sieht man einmal vom 500. Todestag des Künstlers im Jahr 2010 ab, gab ein herausragendes Meisterwerk im Städel den Ausschlag: Botticellis Porträt einer rätselhaften Schönheit, die vermutlich Simonetta Vespucci darstellt. Das Frankfurter Idealbildnis ist jetzt Ausgangspunkt der Schau. Simonetta war die Turnierdame, die »Regina della Belleza« Giuliano de' Medicis, seine platonische Liebe, die in Gedichten als Nymphe, aber auch als keusche Göttin verehrt wurde. Sie war verheiratet und starb früh. Die Botticelli-Forschung tendierte lange dahin, sie in jeder anmutigen Schönen, die dem Simonetta-Typus entsprach, wiederkennen zu wollen. Zumindest bei der weiblichen Tugendallegorie in Minerva und der Kentaur - einer Leihgabe aus den Uffizien - liegen Bezüge zu Simonetta und Giulianos Turnier nahe.

Das Städel zeigt gut vierzig Gemälde und Zeichnungen des Künstlers und seiner Werkstatt. Angesichts der Fragilität und Kostbarkeit der Exponate ist das ein imponierendes Aufgebot. Hinzu kommen noch etwa vierzig Werke von Zeitgenossen, darunter Arbeiten von Donatello, Andrea del Verrocchio und Filippino Lippi. Was ist an dem Konzept neu? In bescheidenem Umfang wurden Vergleichsbeispiele bereits 2003/04 in Paris und Florenz gezeigt.

Natürlich können wir hier nicht Gemälde wie Die Geburt der Venus oder die Primavera aus den Uffizien präsentieren. Sie werden grundsätzlich nicht ausgeliehen. Unsere Ausstellung ist in drei Themenkomplexe gegliedert: Der erste gilt dem Bildnis, der zweite den mythologischen Allegorien, ein Sujet, das Botticellis Kunst in ganz besonderer Weise auszeichnet und vom Schaffen der Kollegen abhebt. Und der dritte Teil ist den religiösen Werken, vor allem dem Andachtsbild, gewidmet. Aber wir setzen nicht nur mit Vergleichsbeispielen neue Akzente. So werden einige Gemälde Botticellis aus Privatbesitz erstmals ausgestellt und mehrere unbekannte Zeichnungen zu sehen sein. Alle Forschungsergebnisse sind im Katalog versammelt.

Wir wissen ja kaum etwas über das Leben Sandro Botticellis (1444/45-1510), der seine Heimatstadt Florenz offenbar nur ein einziges Mal für längere Zeit verlassen hat, um die Fresken in der Sixtinischen Kapelle in Rom zu malen. Seine wichtigsten Mäzene waren die Medici, die lange in Florenz die Politik bestimmten. Glaubt man Giorgio Vasaris 1550/1568 publizierten Künstlerbiografien, wandelte sich der Maler später zum Parteigänger des Bußpredigers Savonarola - mit Auswirkung auf sein Werk, wie die Forschung vermutet.

Die Forschung stützte sich lange auf Vasaris tendenziöse Lebensbeschreibung, da die Quellenlage so dürftig ist. Heute lesen wir seine Biografie kritischer. So war Botticelli wohl kein aktiver Anhänger Savonarolas. Die Vorstellung von ihm als politischem Künstler ist sicher gleichfalls ein Trugbild. Botticelli war ein begehrter Maler. Er war offenbar geschickt genug, sich ein Netzwerk zu schaffen und für verschiedene Auftraggeber zu arbeiten. Damit blieb er unabhängig von den Schicksalsschlägen, die das Haus Medici hinnehmen musste.

Aber Botticelli hat doch auch propagandistische Bilder für die Medici geschaffen?

Seine großen, vielfach überinterpretierten mythologischen Allegorien sind gern dezidiert politisch gedeutet worden. Dabei hat man unter anderem verkannt, wie begrenzt seinerzeit der Kreis derer war, die diese Werke sehen konnten. Die Bilder hingen ja zumeist in den Privatgemächern der Medici, Räumen, die zwar durchaus repräsentativen Charakter hatten, aber nur auserwählten Besuchern zugänglich waren. Abgesehen davon, las man Botticellis Werke in ihrer Zeit vorrangig als moralische Allegorien.

Hatte denn das Bildnis des Giuliano de' Medici (aus der National Gallery of Art in Washington) keinen politischen Hintergrund? Immerhin gibt es sogar Werkstattwiederholungen, Varianten des Porträts. In der Ausstellung können Erst- und Zweitversion miteinander verglichen werden.

Diese Varianten liefern allerdings ein gutes Beispiel dafür, wie Kunst auch machtpolitisch eingesetzt werden konnte. Und das, obschon es sich in erster Linie um ein privates Erinnerungsbild handelt. Lorenzo il Magnifico, der das Porträt wahrscheinlich in Auftrag gegeben hat, nachdem sein Bruder 1478 bei der Pazzi-Verschwörung ermordet worden war, wollte damit sicher ein Zeichen setzen. Das Bildnis forderte zur öffentlichen Trauer auf. Aber bei all den Werken, die das Medici-Oberhaupt in Auftrag gab, spielen noch andere Aspekte eine Rolle: das neuplatonische Gedankengut etwa, das gerade den Simonetta-Mythos geprägt hat, oder der Wunsch Lorenzos, Florenz in ein neues Athen zu verwandeln.

Sind solche Hintergrundkenntnisse unabdingbar, um das Besondere von Botticellis Kunst zu erfassen?

Das Faszinierende daran vermittelt sich selbstverständlich auch ohne die historischen Kenntnisse. Gerade der melancholische Zauber und das Rätselhafte der Bilder Botticellis haben sich im Grunde nie verbraucht. Aber die Ausstellung versucht eben auch, Einblick zu geben, wie die Werke in die politischen Geschehnisse und humanistischen Diskurse der Zeit eingebunden waren. Das trifft auf die Einschätzung von Botticellis Spätstil zu, für den zum Beispiel die Zenobiustafeln stehen: Man könnte den Wandel dahingehend deuten, dass es eine grundsätzliche Endzeitstimmung im Florenz des ausgehenden 15. Jahrhunderts war, die sich in Botticellis ernsten religiösen Werken niederschlug.

06.11.2009
Veröffentlicht am: 06.11.2009