INTERVIEW MIT DOMITILLA DARDI

In ihrem Buch Herbarien nimmt uns Domitilla Dardi, renommierte Historikerin und Designkuratorin, mit in die faszinierende Welt botanischer Sammlungen. Dardi zeigt Herbarien nicht nur als botanische Dokumente, sondern auch als künstlerische Meisterwerke, die Mythologie und Fantasie vereinen. Mit einem modernen Design und hochwertigen Illustrationen spannt das Buch einen Bogen von antiken bis hin zu zeitgenössischen, surrealen Pflanzenwelten, die zum Staunen und Nachdenken anregen. 

Im Interview mit Hatje Cantz erzählt Dardi, warum gerade fantastische Herbarien sie so begeistern und wie sie mit ihrer unkonventionellen Darstellungsweise eine neue Sicht auf das Thema eröffnet. Sie spricht über die Inspiration hinter der besonderen Gestaltung des Buches und darüber, wie die Darstellung von Pflanzen ein Spiegel menschlicher Sehnsüchte und kultureller Geschichten ist. 

Hatje Cantz: In Ihrem Buch beschreiben Sie Herbarien nicht nur als botanische Dokumentation, sondern auch als Werke mit künstlerischem, fantastischem und grafischem Charakter. Was fasziniert Sie an dieser modernen Interpretation von Herbarien und wie sind Sie zu der Auswahl der Werke gekommen?

Domitilla Dardi: Was mir an Herbarien im Allgemeinen am besten gefällt, ist die Möglichkeit, eine Taxonomie zu verwirklichen, das heißt, eine Ordnung im Chaos der Vielfalt zu erkennen. Deshalb sind fantastische Herbarien für mich eine Art kreatives Oxymoron: Die Autor*innen haben eine parallele Botanik erfunden, die es in der realen Welt nicht gibt, aber sie machen das Unmögliche durch Kunst und Kreativität möglich. Autor*innen, die eine solche phantastische Vision zu erfinden pflegen, haben im Allgemeinen auch eine sehr interessante ästhetische Ausdrucksweise.

Domitilla Dardi – Herbarien | Hatje Cantz Verlag

HC: Die Gestaltung des Buchs selbst ist besonders aufwändig: Es hat einen offenen Buchrücken, einen doppelten Einband und besondere Prägevarianten. Wie ist das Konzept für diese Gestaltung entstanden, und wie sehen Sie die Rolle dieses speziellen Layouts bei der Präsentation des klassischen Themas auf eine moderne, unerwartete Weise?

DD: Das verdanken wir dem großartigen Grafikdesign von Studio FM, das beim Europäischen Designpreis 2023 mit einer Silbermedaille ausgezeichnet wurde. Sie haben den Geist einer Forschung, die in der Vergangenheit verwurzelt ist, aber eine starke Anziehungskraft auf die Zukunft ausübt, perfekt interpretiert. Das Buch erinnert an alte Kollektionen, aber mit einem modernen Touch.

Domitilla Dardi – Herbarien | Hatje Cantz Verlag

HC: Das Buch hebt auch die mythologischen und surrealen Elemente hervor, die in der Darstellung von Pflanzen in Kunst und Kultur vorhanden sind - wie das Beispiel der Alraune zeigt. Warum, glauben Sie, haben solche fantastischen Pflanzenbilder einen so festen Platz in unserer Kultur?

DD: Weil der Mensch seit jeher die Pflanzen-, Tier- und sogar die Mineralwelt studiert hat, um ihre tiefere Natur zu verstehen. Der surreale Teil ist die zweite Hälfte der rationalen Einstellung zum Wissen. Deshalb sind die beiden Elemente in Herbarien (aber auch in Bestiaria und Lapidaria, dem ersten Teil einer Trilogie) so eng miteinander verbunden.

Domitilla Dardi – Herbarien | Hatje Cantz Verlag

HC: Sie erwähnen, dass das Herbarium keine lineare, chronologische Erzählung bietet, sondern eher einen Spaziergang durch die Geschichte der Herbarien. Welche Wirkung erhoffen Sie sich von diesem Konzept? Worin besteht für Sie der Reiz, thematisch und nicht chronologisch zu arbeiten?

DD: Ich habe mir das Buch wie einen Spaziergang durch einen ganz besonderen Wundergarten vorgestellt. Jedes Kapitel ist eine Möglichkeit, einen möglichen Faden in der Entwicklung des Themas aufzuzeigen. Das Ergebnis ist in der Tat eine Art Herbarium der Herbarien, und ich hoffe, dass dies die Leser*innen zum Nachdenken anregt und ihre Vorstellungskraft aktiviert.

Domitilla Dardi – Herbarien | Hatje Cantz Verlag
Das Interview mit Domitilla Dardi führte László Rupp im November 2024. 

 

Headerbild Domitilla Dardi © Serena Eller

Veröffentlicht am: 15.11.2024