INTERVIEW MIT BERND LEIFELD

Das Interview mit Bernd Leifeld, Geschäftsführer der Documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH, führten die Kunstjournalisten Nicole Büsing und Heiko Klaas.

Herr Leifeld, bitte stellen Sie sich kurz vor und beschreiben Sie Ihre Aufgabe bei der Documenta.

Mein Name ist Bernd Leifeld. Ich bin der Geschäftsführer einer Organisation mit einem schwierigen Namen und einer einfachen Aufgabe. Der Name lautet »Documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH«. Diese GmbH hat zwei Aufgaben, nämlich alle fünf Jahre die Documenta zu organisieren und zwischen den Documenta-Ausstellungen verantwortlich zu sein für die Kunsthalle Fridericianum. Da haben wir jeweils einen eigenen künstlerischen Leiter, zur Zeit ist das Rein Wolf. Die GmbH hat die Aufgabe, beide Bereiche zu betreuen. Wir haben also permanent mit zwei künstlerischen Leitern zu tun, die sehr unterschiedlich ausgerichteten Aufgaben haben.

Wie lange machen Sie diese Arbeit schon? Sie sind ja schon länger dabei und haben mehrere Documenten miterlebt und mitorganisiert...

Ja. Ich habe am 1. Januar 1996 in einer Krisensituation begonnen. Als sich die GmbH von ihrem damaligen Geschäftsführer getrennt hatte und Catherine David ganz alleine hier war, bin ich als neuer Geschäftsführer dazugekommen. Das war für mich ein sehr wichtiger Schritt, weil ich bis dahin ungefähr 20 Jahre in den unterschiedlichsten Funktionen am Theater gearbeitet habe. Ich habe dann meine Theaterkarriere mit einem Strich beendet und diese neue Aufgabe übernommen. Ich habe damit auch eine neue Rolle übernommen, in der ich klar sage: Ich verstehe nichts von Kunst, sondern ich mache Kunst möglich. Ich mische mich in keinerlei inhaltliche und künstlerische Fragen ein. Das hat bisher mit unterschiedlichen Partnern hervorragend funktioniert.

Welche Erfahrungen aus dem Theaterbereich bringen Sie mit? Welche sind hilfreich?

Etwas sentimental gesagt, muss auch ein Theaterintendant mal den Angstschweiß eines Schauspielers in der Garderobe vor einer Premiere gerochen haben. Man muss einfach wissen, welche Lebensbedingungen Künstler haben, welche Denkstrukturen und psychischen Befindlichkeiten da sind. Das ist etwas, was ich mitbringe. Ich bin kein »Zu-Tode-Verwalter«, sondern ich versuche, Projekte zu ermöglichen.

Sie sagten ja eben, am Anfang hätten Sie von Bildender Kunst keine Ahnung gehabt, aber das hat sich doch sicher in den letzten 16 Jahren auch stark geändert, oder?

Ja, aber ich spreche von meiner Rolle. Und in meiner Rolle sage ich immer, ich verstehe davon nichts. Dass ich mich privat für die Kunst interessiere, vermische ich nicht mit meiner beruflichen Position. Ich kokettiere natürlich ein bisschen damit, aber das beschreibt deutlich meine Position. Ich würde mit einer Künstlerischen Leiterin nie eine inhaltliche Debatte führen, weil ich dann in den Verdacht geraten würde, das unter anderen Gesichtspunkten, etwa ökonomischen oder publizitätsmäßigen Aspekten, zu tun. Deshalb führe ich diese Debatten nicht.

In Ihrer Zeit hier haben Sie schon mit vier Künstlerischen Leitern zu tun gehabt. Wie ist es denn, sich immer aufs Neue miteinander in Bezug zu setzen, sich aneinander zu gewöhnen? War das jeweils sehr unterschiedlich?

Ja. Die Personen, die Sie ja zum Teil kennen, sind einfach als Personen schon sehr unterschiedlich, aber auch, was die künstlerischen Aspekte betrifft. Das macht die Sache natürlich besonders interessant, denn bei der Documenta gibt es keine Wiederholungen. Es gibt immer neue Fragen und Wege, die man dann gemeinsam geht. Je mehr Erfahrung ich gesammelt habe, umso mehr muss ich mich natürlich davor hüten, das irgendwie als Norm zu setzen. Ich versuche immer, offen zu sein, auch für neue Situationen, und nicht Dinge als gesetzt zu nehmen, bloß weil wir sie in der Vergangenheit mal so oder so gemacht haben.

Also Sie sehen sich auch als Hilfesteller, als Unterstützer der jeweils neu in die Stadt kommenden Künstlerischen Leiter?

Ja. Ich berichte ihnen über die Vergangenheit. Da kann man sich überlegen, ob man das wiederholen will oder nicht. Ich bringe Erfahrungen ein, ohne sie allerdings absolut zu setzen.

Bis zur Eröffnung der Documenta dauert es ja noch einige Monate. Wie sieht denn überhaupt Ihr Arbeitsalltag aus?

Das wechselt in der Tat sehr stark. Am Anfang, also nach der letzten Documenta, habe ich ja den Prozess in Gang gesetzt, der zur Findung der Künstlerischen Leiterin geführt hat. Da haben wir mit einer internationalen Findungskommission verschiedene Sitzungen gemacht. Das hat dann dazu geführt, dass wir im Dezember 2008 die Künstlerische Leiterin gefunden und präsentiert haben. Sie hat dann ab 1. Januar 2009 ihren Job angetreten. Da war ich ihr erster und einziger Ansprechpartner. Es gab niemand anderen. Dann haben wir eine Assistentin engagiert und später noch eine persönliche Assistentin, mit der sie schon mal in Sydney bei der Biennale zusammengearbeitet hat. Das war dann über einen langen Zeitraum wirklich ein ganz kleines Team. Später ist dann immer mehr Personal dazugekommen.

Man fängt also quasi immer wieder bei Null an?

Ja, auch die Künstlerische Leiterin fängt eigentlich bei Null an. Wir haben nur das Fridericianum und die Documenta-Halle. Alles andere müssen wir uns erarbeiten. Auch da gibt es wieder Vorteile und Nachteile. Man muss ja vorgegebene Hallen nicht unbedingt füllen. Umgekehrt muss man ja auch keine neuen Räumlichkeiten schaffen, sei es jetzt eine ehemalige Brauerei oder der Kulturbahnhof oder ein Glaspalast vor der Orangerie. Das sind ja immer schon inhaltliche Entscheidungen. In der Phase, in der die Künstler hierher gekommen sind, hat man sich sehr intensiv mit der Geschichte der Stadt Kassel befasst, mit bestimmten Aspekten, die für diese Künstler interessant sind. Ich habe es lieber, wenn so viel los ist wie jetzt. Da sind viele Leute da, mit denen man sich auseinandersetzen kann, darf und muss. Da ändert sich natürlich auch die Tätigkeit. Um die Frage, was meine Tätigkeit ist, kurz zu beantworten: Es ist ganz einfach der Versuch, Dinge zusammenzubringen.

Aber jetzt befinden Sie sich doch bereits auf der Zielgeraden, oder?

Jetzt verlagert sich das auch schon ein bisschen in Richtung der Gestaltung dieser 100 Tage. Es gibt bereits eine Menge Anfragen von Politikern, Prominenten und Sponsoren. Mich um die Sponsoren zu kümmern, ist auch eine meiner Aufgaben. Das ist eine Tätigkeit, die ich hier sehr konsequent gemacht habe. Wir haben schon mehrere Evaluationen gemacht und auch die Besucher gefragt, welches Verhältnis sie zu den Sponsoren haben. Die Sponsoren wurden alle erkannt, wie man das wissenschaftlich sagt, und auch in der Form, wie sie hier auftreten, positiv bewertet.

Obwohl das Thema ja, anders als bei Sportevents, sehr zurückhaltend gehandhabt wird...

Ja, bei uns gibt es keine Logos auf dem Friedrichsplatz, kein Logo des Sponsors neben dem Kunstwerk oder umgekehrt. Wir geben dem Sponsor unser Logo, damit der das verwenden kann, wenn er selbst Anzeigen schaltet zum Beispiel. Da haben wir eine sehr strikte Strategie entwickelt, die auf Diskretion setzt, und auf das, was man neudeutsch »das Schaffen kommunikativer Ereignisse« nennt. Das heißt, wir geben dem Sponsor die Möglichkeit, jetzt arrogant gesagt, ein bisschen »Glanz« von unserer Organisation mitzubekommen. Die Ausstrahlung so einer Organisation wirkt ja weltweit. Andererseits geht es hier vor Ort schon sehr bescheiden zu. Dies ist nicht mein Besprechungszimmer sondern mein Arbeitszimmer. Und ich habe den Schreibtisch abgeräumt, damit wir hier ein Gespräch führen können. Ich frage manchmal auch abends zu Hause, ob die Sonne geschienen hat, weil ich das nicht immer so genau mitkriege. Das gehört aber auch dazu. Wir brauchen hier keine Repräsentation, weil das Image der Organisation schon repräsentativ genug ist.

Wenn die Documenta läuft, kommen dann alle möglichen Persönlichkeiten aus der ganzen Welt ...

Genau. Da kommen auch die Freundeskreise von Museen, der Freundeskreis des MoMA zum Beispiel. Auch die norwegische Königin war schon da. Oder eben Politiker. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso war für mich bisher der interessanteste Politiker. Der hat sich letztes Mal, glaube ich, zwei oder zweieinhalb Tage Zeit genommen. Es gibt aber auch Politiker, die suchen einfach nur einen Anlass für ein Foto. Barroso war wirklich interessiert. Der Künstlerische Leiter hat ihn durch die Ausstellung geführt, und das war dann wirklich eine dialogische Führung, weil der einfach viel Ahnung hatte.

Vielleicht können wir noch auf die Rolle der Stadt Kassel zu sprechen kommen. Kassel ist dann ja auch in der Rolle der Gastgeberin für diese 100 Tage, wo ein internationales und hochkarätiges, zum Teil auch sehr anspruchsvolles Publikum kommt. Wie wirkt sich das auf die Infrastruktur und die Finanzen der Stadt aus?

Das ist ein komplexes Thema. Als ich hierher kam, habe ich gelernt, dass sich die Anzahl der Hotelbetten von der Documenta 9 zur Documenta 10 verdoppelt hat. Es gibt Untersuchungen darüber, was die Documenta an finanziellen Folgen induziert. Beim letzten Mal hat man von 100 Millionen Euro geredet, die die Documenta in der Stadt in Gang setzt. Das sind einerseits die Hotelbetten. Das sind aber auch die Sachen, die die Besucher in Gang setzen, indem sie mit dem Taxi zum Hotel fahren, Essen gehen, sich vielleicht noch eine Zeitung oder ein Buch kaufen. Und dann kommen die anderen Dinge, die wir in Gang setzen. Das Drucken der Eintrittskarten, die Gestaltung der Ausstellungsräume. Das machen ja örtliche Handwerker. Auf diese Art und Weise bringen wir Wirtschaftskraft in die Stadt. Und ich glaube, und das wissen die Politiker auch, dass wir eigentlich keine Subventionen bekommen, sondern einen Investitionszuschuss, den wir dann indirekt über die Steuern an die Stadt zurückgeben. Insofern sind wir auch eine ungewöhnliche kulturelle Institution. Mit dem wenigen Geld, das wir bekommen, setzen wir viel in Gang. Wir bekommen vier Millionen Euro von der Stadt Kassel über den Zeitraum von fünf Jahren. Dasselbe kriegen wir nochmal vom Land und von der Kulturstiftung des Bundes drei Millionen. Das heißt, wir erhalten weniger als 50 % unseres Budgets aus der öffentlichen Hand.

Und der Rest wird über Eintrittskarten erwirtschaftet?

Den Rest müssen wir selbst erwirtschaften. Der entscheidende Punkt ist der Verkauf von Eintrittskarten. Der größte Sponsor ist der Besucher. Dann haben wir internationale Foundations, die zum Teil die Künstler aus den jeweiligen Heimatländern unterstützen. Und wir haben auch einen Freundeskreis gegründet, in dem vorrangig Herr Dr. Oetker tätig ist. Das sind internationale Freunde der Documenta, die dann zum Teil auch einen kleinen symbolischen Beitrag leisten. Manchmal aber auch einen größeren. Das ist keine Vereinsstruktur, sondern ein loser Zusammenschluss, mit dem wir dann im Vorfeld der Documenta privilegierte Situationen schaffen. Wir waren bei der letzten Biennale in Venedig. Dort hat Carolyn Christov-Bakargiev eine Führung mit Künstlern gemacht, die dann auch möglicherweise hier sind. Wir gehen ja mit der Künstlerliste sehr diskret um, das wissen Sie ja. Auch da haben wir dann gesagt: Maybe. Vielleicht kommt dieser Künstler auch nach Kassel. Und dann macht man da vielleicht auch mal ein Abendessen. Wir haben das, glaube ich, auch in Köln bei der Art Cologne und bei der Art Basel gemacht. Es ist wichtig, dass man auf so eine Art und Weise einen Freundeskreis heranzieht, der die Möglichkeit bekommt, ein bisschen hinter die Kulissen zu schauen und den Entwicklungsprozess der Documenta zu verfolgen.

Und wie aktivieren Sie das Publikum vor Ort? Die Documenta findet ja nur alle fünf Jahre statt.

Ich persönlich arbeite gegen einen Satz von Harald Szeemann an. Nichts gegen Harald Szeemann, das ist unser großer Hero hier. Aber auch ihm rutscht mal etwas durch. Harald Szeemann hat gesagt: »Nach der Documenta muss in Kassel immer das Licht ausgehen«. Ich finde, das ist eine wahnsinnig zynische Haltung gegenüber allen Bürgern, die in dieser Stadt wohnen. Wir machen mit der Kunsthalle Fridericianum genau das Gegenteil. Sie verfolgen ja auch, was Rein Wolfs gemacht hat. Das ist, glaube ich, eine adäquate Arbeit, die eine andere Dimension hat als die Documenta. Man kann ja nicht permanent Documenta machen. Aber der legt die Latte auch sehr hoch. Sein Anspruch ist enorm. Uns ist es gelungen, mit diesem hochkarätigen Programm auch bei der Kasseler Bevölkerung Interesse zu wecken. Wenn die Documenta nur als Ufo hinkommt, bleibt sie immer nur exzentrisch oder exotisch. Wir machen mit dieser Arbeit von Rein Wolfs auch eine Bildungsarbeit am Publikum. Das Besondere an der Documenta ist ja, dass die Zahl der Besucher immer weiter wächst. Das kann auch wieder anders sein. Ich fetischisiere nicht die große Zahl. Aber das ist auch ein Zeichen dafür, dass wir uns unser Publikum herangezogen haben. Die Leute wurden letztes Mal befragt, ob sie wieder kommen werden. Da haben 70% gesagt, ja, wir kommen in fünf Jahren wieder. Das ist äußerst ungewöhnlich. Und das ist jetzt auch ein Satz, den Sie schon 20 Mal von mir gehört haben, ich sage nämlich: Wir wiederholen nicht die Erfolge von gestern, sondern wir schaffen uns neue Probleme. Da fühle ich mich auch als Botschafter der Documenta in dem Sinne, dass ich den Leuten erkläre, dass das unser Job ist. Wir sind nicht der Europapark Rust, der nur eines im Sinne hat, nämlich die Besucherzahlen zu steigern, wir sind eine Bildungsinstitution. Und es macht deshalb so viel Spaß, hier zu arbeiten, weil wir auch ein super Publikum haben, das bereit ist, auch immer wieder Neuland zu betreten. Beim letzten Mal zum Beispiel haben wir einfach behauptet, es gibt nur zweistündige Führungen. Eine einstündige Führung die gibt es nicht bei der Documenta. Die Documenta setzt das so, und man muss mindestens zwei Stunden mitbringen, um ein Vermittlungsprogramm zu machen. Das wurde auch akzeptiert. Und das finde ich super, wenn eine Institution über die Jahre so ein Image bekommen hat, dass man sich auch manchmal anstrengen muss bei der Documenta. Aber die Leute sind bereit, sich auf diesen Weg zu begeben. Das ist auch unser Job, finde ich, denn Zerstreuung gibt es genug. Wir sind für die Konzentration. Und das ist die Stärke dieser Institution.

Im Ausblick auf die kommende Documenta, was wird sie unterscheiden von den bisherigen? Was erwarten Sie sich? Was wird vielleicht auch später in Erinnerung bleiben von der Documenta 13?

Ich glaube, dass wir eine sehr lebendige Veranstaltung haben werden. Es gibt ja bestimmte Begriffe, die negativ besetzt sind, zum Beispiel vermeide ich immer den Begriff »Event«. Aber es wird jetzt, wenn man den Begriff neutral nimmt, auch einen gewissen Eventchrakter haben, in dem Sinne, dass dann nicht nur am Anfang eine Ausstellung eröffnet wird, die dann nach 100 Tage wieder geschlossen wird, sondern es wird sehr lebendig sein. Es werden sehr viele unterschiedliche Formate da sein, die dem Publikum die Möglichkeit geben, direkte Begegnungen zu haben.

Also wird es eine Documenta werden, die man sich idealerweise mehrmals anschauen muss?

Ja. Ohne in den Verdacht zu geraten, dass wir Verkäufer sind, empfehlen wir allen Kasselern, eine Dauerkarte zu kaufen. Denn man wird hundert Tage lang etwas Neues entdecken können. Da bin ich mir ganz sicher.

Was würden Sie den Auswärtigen empfehlen?

Sich an einem Wochenende möglichst viel Zeit mitzubringen. Oder besser noch: sonntags zu kommen und dienstags wieder zu fahren. Denn wir haben ja auch montags geöffnet.

Es wird wahrscheinlich wieder einen neuen Besucherrekord geben, oder?

Darüber rede ich nie. Ich habe auch da einen geflügelten Satz, wenn ich nach den Besucherzahlen gefragt werde: Beim nächsten Mal so viele Besucher wie beim letzten Mal plus eins. Für den einen arbeiten wir hier Tag und Nacht.

29.05.2012

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