Sprache: |
INTERVIEW MIT ANNETTE KULENKAMPFF
»Es gibt von Paul Klee den schönen Satz: ›Man sieht nur, was man weiß.‹« ⸺ Susanne Kaufmann, Kulturredakteurin beim SWR-Hörfunk, im Gespräch mit Annette Kulenkampff, Geschäftsführerin des Hatje Cantz Verlags, über die neue Reihe Kunst zum Hören
Eigentlich sollte man meinen, dass man Kunst zunächst mal sehen muss. Wie funktioniert denn Kunst zum Hören?
Kunst zum Hören geht zurück auf die beliebten Audioguides, die es in den Ausstellungen schon seit Jahren gibt. Immer wieder haben uns Museen gefragt, ob man damit nicht noch irgendetwas machen könnte, und so ist die Idee zu der Reihe Kunst zum Hören entstanden. Der Audioguide wird zunächst dem Bedarf der Publikation etwas angepasst. Und weil man Kunst, wie Sie sagen, nicht hören kann, gibt es dazu in hoher Qualität die Abbildungen und es entsteht ein kompakter Bildband mit beigelegter CD. Damit trifft Kunst zum Hören den Trend zum Hörbuch ergänzt mit Bildern.
Sie produzieren also einen illustrierten Audioguide, überarbeitet zum Mit-nach-Hause-Nehmen?
Ja genau, man kann zu Hause den Ausstellungsbesuch wiederholen aber auch für diejenigen, die die Ausstellung verpasst haben, bietet Kunst zum Hören eine gute Möglichkeit, den Künstler und das Thema der Ausstellung kennen zu lernen. Es funktioniert sehr gut. So ein Audioguide dauert in der Regel um die 80 Minuten, es werden etwa 32 bis 35 Bilder besprochen, meistens die Hauptwerke der Ausstellung.
Verweilt man hörend länger vor den Bildern? Oder anders gefragt: Fördert das Hören das Sehen?
Es gibt zwei verschiedene Wege, sich der Kunst zu nähern. Einmal indem man schaut und selber entdeckt und zum zweiten, indem man auf etwas hingewiesen wird. Es gibt von Paul Klee den schönen Satz: »Man sieht nur, was man weiß.« Man wird auf vieles aufmerksam, das man sonst nicht entdecken würde. Wenn man ohne zusätzliche Informationen Kunst betrachtet, dann sieht man etwas anderes. Unsere neue Reihe versucht beides zu verbinden und zwar auf eine gut verständliche Weise, die den generell an Kunst Interessierten nicht überfordert, wie es bei Katalogtexten ja schon mal passieren kann. Nehmen Sie die Ausstellung zum Meister von Flémalle im Städel, da haben wir Katalog und Hörbuch produziert. Den Katalog, der ein umfangreicher Prachtband ist mit Texten auf dem neuesten Stand der Forschung. Er ist sehr aufschlussreich und spannend und erfüllt natürlich auch eine wichtige Aufgabe, aber gelesen wird er heutzutage kaum noch, und wenn, dann aus wissenschaftlichem Interesse oder in Auszügen. »Kunst zum Hören« soll für das allgemein interessierte Publikum auf die weiterführenden Diskussionen hinweisen daneben aber einen zusätzlichen Weg der Aneignung aufzeigen.
Heißt das also, dass Kunst zum Hören so etwas wie eine Light-Version der Kataloge bietet? 450 Gramm statt kiloschwerer Wälzer, dazu die wesentlichen Abbildungen und die zentralen Inhalte statt der kompletten wissenschaftlichen Diskussion?
Kunst zum Hören ist eine Ergänzung. Sie soll und kann keinen Katalog ersetzen. Was die Erfahrungen hinsichtlich der Verkäufe in den ersten Ausstellungen betrifft, bei denen wir Kunst zum Hören angeboten haben, wurden nicht weniger Kataloge verkauft als bisher. Vielleicht ist es für jüngere Leute das adäquatere Mittel, sich der Kunst zu nähern oder überhaupt mal darüber nachzudenken, dass es über die Kunst Hintergrundwissen gibt und dass die Bilder Geschichten erzählen und es sich lohnt, diese zu entdecken. Hierfür bietet Kunst zum Hören eine schöne Möglichkeit.
Das heißt also, Sie erschließen sich neue Käuferschichten: Leser-, Hörerschichten sozusagen.
Ja, das entspricht auch unseren ersten Erfahrungen mit Kunst zum Hören.
Die Texte auf den CDs sind relativ sachlich gehalten, auch Musik wird verhältnismäßig wenig eingesetzt, also anders als etwa in einem Hörfunk-Feature. Wie muss so eine CD aufbereitet sein, welche Inhalte muss sie vermitteln, damit es eine gute Ausgabe ist?
Die Beschreibungen müssen klar formuliert und gut nachvollziehbar sein. Wir lernen natürlich auch selbst mit jeder neuen Produktion dazu. Gerade haben wir eine Ausgabe Kunst zum Hören zu Gerhard Richter gemacht. Da ist Musik dabei, von John Cage und von Bach, also Musik, die für Richter und seine Kunst eine wichtige Rolle spielt. Das ist eine sehr schöne und sinnvolle Ergänzung. Wir wünschen uns, dass die CDs künftig unterschiedlicher gestaltet werden: mit Musik oder auch wechselnden Sprechern. Wir arbeiten daran, die ersten Ideen weiter zu verfeinern und auszubauen.
Und wer ist verantwortlich für die Texte und für die Umsetzung hinterher?
Die Texte entstehen in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Firmen, die die Audioguides im Auftrag der Museen herstellen, oft sind daran die Kuratoren selbst beteiligt.
Sind die Bände denn eher zur Nachbereitung einer Ausstellung zu sehen oder auch unabhängig davon gedacht?
Sie funktionieren auch unabhängig davon. Man muss die Ausstellung nicht gesehen haben um Kunst zum Hören zu genießen. Gerade die Kunst zum Hören über Gerhard Richter, bei der es um seine großartigen abstrakten Bilder geht, ist hierfür ein gutes Beispiel.
Die bisherigen Ausgaben haben sich großen Künstlern in großen Museen gewidmet. Was sind für Sie die Kriterien: welche Ausstellungen kommen in die neue Reihe?
In Frage kommen Ausstellungen von der Alten Kunst bis hin zu zeitgenössischen Positionen, wie es unserem Verlagsprogramm entspricht. Im Juli folgt eine Produktion zum Bauhaus, also Architektur und Design, im Herbst wird es eine Kunst zum Hören zu Georges Seurat geben, dem Erfinder des Pointillismus, und mit Alberto Giacometti haben wir im Juni einen der bedeutendsten Künstler der klassischen Moderne im Programm. Die Auswahl wird sich auf die bekannteren Namen konzentrieren, um ein entsprechend breites Publikum zu erreichen. Der Aufwand ist relativ hoch, und wir müssen in einer gewissen Größenordnung verkaufen. Die meisten Ausgaben wird es deutsch und englisch geben, insofern spielt auch die internationale Verkäuflichkeit eine wichtige Rolle.
Marketingmäßig ist es für jeden Ausstellungsmacher hoch attraktiv, so eine Kunst zum Hören anbieten zu können. Suchen Sie sich die Museen aus oder stehen die bei Ihnen schon Schlange?
Wir suchen aus, was in unser Verlagsprogramm passt. Wir haben mit den Themen in 2009 ein sehr gutes und breit gefächertes Angebot. Alle Museen, die wir bisher angesprochen haben, waren wirklich begeistert von der Idee und haben sehr gerne mitgemacht. Es gibt auch schon einige Museen, die gefragt haben, ob wir – auch wenn wir Ihren Katalog nicht produzieren – trotzdem eine Ausgabe zu Kunst zum Hören machen könnten. Auch das kann ich mir vorstellen. Das Thema muss in erster Linie zu unserem Profil passen, dann ist alles möglich. Pro Jahr werden rund sechs neue Ausgaben herauskommen.
Mit Gerhard Richter hat die »Kunst zum Hören« nun schon einen lebenden Künstler im Programm. Hat der eigentlich was zu seiner CD gesagt?
Anfangs war er skeptisch und konnte sich nicht vorstellen, wen das interessieren soll. Als ihm dann das erste Exemplar vorlag, war er sehr angetan. Ich glaube, es hat ihn überzeugt.
Ein Interview mit Richter auf dieser CD, wäre das denkbar gewesen?
Das wäre natürlich toll gewesen und ist absolut denkbar, hat aber in diesem Fall leider nicht geklappt.
Also die Künstler zum Sprechen zu bringen und nicht nur die Bilder.
Das wäre sehr schön, gerade auch bei zeitgenössischer Kunst. Oder auch mal Kuratoren zu Wort kommen zu lassen! Da lässt sich noch sehr viel entwickeln - wir stehen erst am Anfang.