Sprache: |
dOCUMENTA (13) – BLICK HINTER DIE KULISSEN: INTERVIEW MIT ANNETTE KULENKAMPFF
dOCUMENTA (13) - Blick hinter die Kulissen: Die Kunstjournalisten Nicole Büsing und Heiko Klaas im Interview mit Annette Kulenkampff, Verlegerin Hatje Cantz Verlag. Das Gespräch fand am 8. Juni 2012 während der Previewtage der dOCUMENTA (13) in einem Kasseler Hotel statt.
Frau Kulenkampff, Sie sind ja in Hannover aufgewachsen, also nicht allzu weit entfernt von der Documenta-Stadt Kassel. Was waren denn Ihre ersten Documenta-Erlebnisse? Welches ist die erste Ausstellung, an die Sie sich erinnern können?
An die von 1972. Das ist im Prinzip die erste Documenta, an die ich mich bewusst erinnern kann. Die Documenta-Ausstellungen davor habe ich auch besucht, aber da war ich noch sehr klein. Das weiß ich einfach nicht mehr so genau. Ab dann war ich auf jeder Documenta, nicht nur mit den Eltern, sondern auch später. Ich war eigentlich immer auf irgendeine Weise begeistert - bis auf die letzte Documenta. Die hat mich am wenigsten fasziniert. Aber bis dahin eigentlich jede, gerade auch mit all den Brüchen.
Damit meinen Sie sicherlich die jeweils sehr unterschiedliche kuratorische Handschrift ...
Es gab einen ganz entscheidenden Bruch: Jan Hoet war der letzte erzählerische, poetische Documenta-Macher. Das war eine Tendenz, die ich jetzt bei der aktuellen Documenta wieder finde. Catherine David mit der documenta X hat eine Wende gebracht, die für die Art, wie man seither zeitgenössische Ausstellungen machte, entscheidend war. Ich fand, auch das war eine ganz tolle und wichtige Documenta. Wie wichtig, hat man eigentlich erst im Nachhinein erkannt. Okwui Enwezors Ausstellung war dann so ein wenig dazwischen. Doch auch das hat mir sehr gut gefallen. Jetzt gibt es wieder dies Erzählerische, dies Poetische und Sinnliche. Das fehlte dem ja zuletzt ein bisschen. Dieses Mal ist das Erlebnis wieder sehr sinnlich. Man ist von Kopf bis Fuß eingebunden.
Sie waren jetzt zwei Tage unterwegs auf der dOCUMENTA (13). Wie sind Ihre ersten Eindrücke?
Ich bin sehr angetan von der dOCUMENTA (13). Ich finde, als groben Eindruck kann man festhalten, dass es einen sehr eindeutigen roten Faden gibt. Sozusagen die Ganzheit der Welt. Vielleicht wirkt das manchmal ein bisschen naiv, aber auf jeden Fall ist ablesbar, dass wirklich alles ernst genommen wird, was auf der Welt stattfindet: Von den Pflanzen, der Landschaft und den Tieren bis zum Menschen und seinen Objekten. Das ist natürlich ein sehr hoch gesteckter Anspruch, aber man merkt, dass es hier gleichsam um alles geht. Und das, glaube ich, ist im Grunde genommen, auch der rote Faden dieser Ausstellung.
Gibt es irgendein ganz besonderes persönliches Highlight?
Das Hugenottenhaus finde ich absolut klasse. Theaster Gates ist ein Künstler aus Chicago. Er hat mit Arbeitslosen und mit Menschen, die keine Ausbildung haben, ein Haus gemietet. Das heißt Hugenottenhaus. Er hat es komplett eingerichtet mit irren Möbeln. Er hat Bilder aus Abfallmaterialien gemacht. Die Mitwirkenden wohnen in dem Haus – und sie machen dort Musik. So eine Art Poetry Music, Jazz Poetry. Ganz wunderbar. Und das Haus ist voll von diesen Sachen, von diesen Möbeln und selbst gebauten Dingen. Und zum Teil spielen auch die Tapeten und das, was eben einfach noch da war oder wieder zum Vorschein kam, eine Rolle. Also, das finde ich zum Beispiel sehr gelungen.
Planen Sie denn noch weitere Documenta-Besuche? Werden Sie jetzt regelmäßig kommen während der 100 Tage?
Ich weiß nicht, ob regelmäßig. Aber ein oder zwei Mal möchte ich sicher wiederkommen. Es wird so vieles angeboten. Es gibt zusätzlich zur Kunst noch ein sehr vielfältiges und umfassendes Begleitprogramm. Da beneidet man schon die Leute, die in Kassel wohnen.
Hatje Cantz und die Documenta gehören ja fast untrennbar zusammen. Seit wann ist das eigentlich so?
Für den Verlag, von Cantz angefangen, ist es die vierte Documenta, die wir betreuen. Vorher war es immer so, dass sich die Documenta ein Druckhaus in der Nähe von Kassel gesucht hat. Ich glaube allerdings, der zweite oder erste Katalog war von Prestel. Aber dann waren keine Verlage mehr involviert. Erst mit der DOCUMENTA IX von Jan Hoet fing das richtig an. Das liegt jetzt 20 Jahre zurück. Als nächstes haben wir dann die Documenta mit Catherine David gemacht, die Nummer 10, und danach die 11 mit Okwui Enwezor. Die 12 war dann mit dem Taschen Verlag, und jetzt arbeitet die Documenta wieder mit uns.
Wie kam diese erneute Zusammenarbeit zustande?
Als ich erfuhr, dass Carolyn Christov-Bakargiev die künstlerische Leitung übernehmen würde, habe ich den Documenta-Geschäftsführer, Bernd Leifeld, den ich ja noch kannte, einfach kontaktiert. Ich habe ihm gesagt, es wäre schön, wenn wir ins Gespräch kämen. Und dann sind wir auch schnell ins Gespräch gekommen.
Was ist für eine Zusammenarbeit mit der Documenta notwendig?
Es gehört ein speziell auf diese Art von Produktion eingestelltes Team dazu. Anders funktioniert es nicht. Man kann das ansonsten nicht stemmen. Und so haben wir dann gesagt, okay, wir machen alles mit. Von Anfang an, beginnend mit den Notebooks. Die Dimensionen wurden immer größer und größer. Das konnte man ja zunächst gar nicht wissen. Wir waren uns schon nach der Turin-Einladung von Carolyn Christov-Bakargiev über alles einig. Das war im Herbst 2010.
Und danach? Gab es da komplizierte Abstimmungsprozesse?
Gar nicht mal so viele. Wir haben die Gestalter genommen, die Carolyn Cristov-Bakargiev vorgeschlagen hat, Leftloft, die einen Superjob gemacht haben. Die sitzen in Mailand und in New York. Wir haben die Redaktion zusammengestellt. Carolyn Christov-Bakargiev holte Bettina Funcke ins Team, die in New York lebt. Es ist immer ausgesprochen wichtig, dass der engste Kreis der Redaktionsmitarbeiter aus Personen besteht, die dieselbe Sprache sprechen. Die Zusammenarbeit mit ihr war sehr fruchtbar. Sie kam aus Karlsruhe, war dann bei der DIA Art Foundation und hat auch dort die Publikationen gemacht. Und Katrin Sauerländer, die ich dann vorgeschlagen habe, kam von den Kunst-Werken in Berlin. Ich kenne sie schon ewig, und ich fand, das passte alles gut zusammen. Und so war es dann auch. Es war zusammen mit unserer Herstellungsabteilung im Verlag eine optimale Konstruktion.
Hatten Sie denn anschließend viele persönliche Treffen mit Carolyn Christov-Bakargiev?
Wir hatten vielleicht fünf Treffen, wo man alles im Groben abstimmte. Dann gab es einige Skype-Konferenzen. Vieles hat sich beim Machen ergeben. Da trifft man sich eigentlich nicht mehr so oft, weil die Beteiligten sehr verstreut sind. Carolyn Christov-Bakargiev war ja immer unterwegs. Insofern hat sich die Kommunikation dann sehr auf E-Mail und Telefon beschränkt.
Was waren die Besonderheiten im Austausch mit Carolyn Christov-Bakargiev?
Die Besonderheiten waren sicherlich, dass ihr, genau wie Catherine David und Okwui Enwezor, die Publikationen extrem wichtig waren. Das ist ein ganz bedeutender Teil ihrer Auffassung. Da sie Bücher sehr liebt, wollte sie alles sehen und kontrollieren, was ein bisschen schwierig ist, wenn jemand dauernd unterwegs ist und unter großem Zeitdruck steht. Sie war insofern sehr stark involviert. Aber immer in einem positiven Sinn. Manchmal, aber das ist häufig so, hatte sie auch irgendwelche schwer zu realisierende Vorstellungen.
Können Sie da Beispiele nennen?
Erst sollte das Book of Books 1400 Seiten haben. Wir mussten ihr dann sagen, dass das technisch ganz schlicht nicht machbar ist. Wir sind jetzt bei 7,5 cm Dicke. 8 cm sind aber das absolute Maximum, sonst geht es nicht mehr durch die Produktionsstraße bei der Buchbinderei. Wir haben extra sehr dünnes Papier genommen und alle Tricks ausgeschöpft, die möglich sind, aber man muss eben auch immer das Technische, Pragmatische von unserer Seite den Wünschen und den Träumen auf der anderen Seite entgegensetzen. Und am Schluss wird dann, wenn man Glück hat, Gutes draus.
Sie haben ja eben schon über die besondere Papierqualität gesprochen. Könnten Sie das etwas genauer ausführen ...
Was ganz wichtig ist: Es ist Munken-Papier, sogenanntes Werkdruckpapier, also eine offene, keine gestrichene Qualität. Das ist eigentlich ungeeignet für Abbildungen. Aber ich finde trotzdem, dass das eine richtige Entscheidung war. Denn es verleiht den Publikationen, den Notebooks, dem Begleitbuch, dem Buch der Bücher und dem Logbuch eine große Homogenität. Man merkt einfach: Diese Reihe gehört zusammen. Bei Munken-Papier hat man nicht den Anspruch, dass jede Farbe stimmen muss. Wenn man ein sehr glatt gestrichenes Bilderdruckpapier verwendet, denkt man, die Abbildungen müssen brillant und farbgetreu sein. Die Abbildungen auf Munken-Papier wirken alle nicht ganz so brillant, aber es erzeugt einen schönen homogenen Gesamteindruck, das funktioniert gut.
Was waren weitere Besonderheiten in der technischen Herangehensweise und der Ausstattung der Bücher?
Da ist sehr viel Bildmaterial von den Künstlern im Begleitbuch, und zwar in recht unterschiedlicher Qualität. Das kann eine Zeichnung sein, ein Foto oder nur eine Kopie. Das Papier homogenisiert diese unterschiedlichen Kriterien der Vorlagen. Und dadurch wirkt der Begleitband insgesamt sehr stimmig. Da fällt nichts irgendwie ab oder sticht besonders heraus. Wir haben, auch das war ein gewisses Risiko, für das Begleitbuch 80-g-Papier genommen, was komplett ungewöhnlich ist, üblich wäre 135- oder 150-g-Papier. Sonst könnte man das Begleitbuch nicht mit sich herumtragen. So ist es sehr praktikabel, weil es zwar dick, aber nicht schwer ist. Die Besucher können es gut auf den Ausstellungsrundgang mitnehmen, und dafür ist es ja auch gedacht. Da kann man keine kiloschweren Werke produzieren.
Noch einmal zum Umschlagmaterial...
Das Umschlagmaterial ist f-color von der Firma Schabert. Das gibt es eigentlich nur in 100 g, weil es ein Bezugmaterial ist. Wir mussten es für den Begleitband extra in 350 g produzieren lassen. Nun ist es das gleiche Papier wie die Umschläge der Notebooks und der Bezug der beiden anderen Kataloge. Es ging hier um ein konzeptuelles Prinzip. Die Notebooks verwenden die ganze Palette einer Farbfamilie derselben Qualität. Die Konzeption und die Farbgebung der Notebooks haben etwas mit dem Inhalt zu tun. Das ist eine sehr komplexe Geschichte. Aus demselben Material und der gleichen Farbfamilie sind auch die Grüntöne der drei Hauptpublikationen.
Beim Begleitbuch haben Sie sich aber für eine andere, flexiblere Variante entschieden. Was waren da die Beweggründe?
Wir wollten eine Broschur und kein Hardcover wie bei den anderen Bänden. Die Verarbeitung sollte flexibel sein zum schnellen Durchblättern. Deswegen haben wir dann bei verschiedenen Herstellern Material gesucht, das zu dem der anderen Publikationen gepasst hätte, haben aber nichts Geeignetes gefunden. Schließlich haben wir den Umschlagkarton in dem entsprechenden Grün in 350 g extra produzieren lassen, was natürlich teuer und aufwändig ist. Aber es hat sich gelohnt.
Zum Schluss würden wir gerne noch auf Das Logbuch, die letzte ausstehende Publikation der dOCUMENTA (13), eingehen. Was erwartet den Leser da, und wann ist mit dem Erscheinen des Logbuchs zu rechnen?
Das erscheint natürlich etwas verzögert, denn ein wesentlicher Bestandteil werden die Installationsfotos von der Documenta selbst sein. 80 Prozent der Werke dieser Documenta sind ja in situ, also direkt in Kassel entstanden. Unser Ehrgeiz ist es natürlich, einen Großteil davon im Logbuch abzubilden. Deshalb haben wir das Buch soweit wie möglich vorbereitet. Darin ist der Weg von Carolyn Christov-Bakargiev zu ihrer Documenta beschrieben. Mit Originaldokumenten und viel persönlichem Material. So versteht man, wie sie mit den Künstlern und Agenten korrespondiert und ihre Ideen entwickelt hat. Ergänzt wird diese Sammlung durch Abbildungen der Installationen und Kunstwerke auf der dOCUMENTA (13) mit Aufnahmen, die direkt im Anschluss an die Eröffnung gemacht wurden und die dann nur noch reproduziert und in das Buchlayout eingebaut werden müssen. Dann drucken wir, und Das Logbuch kommt Ende Juli heraus.