INTERVIEW MIT ULF KÜSTER

Ein neuer Blick auf Alberto Giacometti ⸺ Hans-Joachim Müller, renommierter Kunstredakteur, führte das Interview mit Dr. Ulf Küster, Kurator der Fondation Beyeler, über die große Sommerausstellung Giacometti.

Es gab große Giacometti-Ausstellungen in den letzten Jahren - die Retrospektive im Kunsthaus Zürich, Giacometti, der Ägypter in Berlin, Giacometti und Cézanne in Louisiana. Was kann man von Giacometti noch zeigen, was so noch nicht zu sehen war?

Giacometti spielt ja in der Sammlung der Fondation eine ganz besondere Rolle. Ernst Beyeler hat den Künstler gekannt, er hat die Giacometti-Stiftung veranlasst, und mit ihm haben wir schon vor Jahren den Plan einer Ausstellung besprochen. Die Idee war von Anfang an, das Werk des Bildhauers und Malers im Umfeld seiner künstlerisch tätigen Familie zu zeigen. Auch das gab es schon. Nur krankten frühere Versuche daran, dass sie sich allemal verleiten ließen, Diego, Alberto, Giovanni und Augusto gleichwertig ausstellen zu wollen. Nur merkt man schnell, wenn man sich mit den Werken beschäftigt, dass im Vergleich mit der zentralen Figur Alberto keiner wirklich mithalten kann und man vor allem dem Bruder Diego keinen Gefallen tut, wenn man ihn auf eine Ebene mit Alberto stellt. Was mich an Alberto Giacometti immer fasziniert hat, das ist seine Vorstellung, Zentrum eines Systems zu sein, wie er es in seinem spätsurrealistischen Text Le rêve, le Sphinx et la mort de T. formuliert hat, ein Mittelpunkt, auf den sich alle Ereignisse um ihn herum beziehen. Ich denke, dass dies ein ganz wichtiger Schlüssel zum Verständnis seines Werks ist. Deswegen habe ich vorgeschlagen, dass wir die Ausstellung um Alberto – als Ego-Zentrum im besten Sinn – herumgruppieren und uns innerhalb der Familiengeschichte vor allem auf die Beziehung Albertos zu seinem Vater Giovanni konzentrieren. Das heißt nicht, dass der Bruder Diego nicht auch vorkäme, aber doch so, dass die Unterschiede deutlich werden. Der Schwerpunkt liegt ganz klar bei Alberto. Ihn zeigen wir als hoch begabtes Kind, das seine Familie in gewisser Weise auch dominierte. Und ihn zeigen wir inmitten der Leute, die für ihn wichtig waren und ohne die er nicht existieren konnte. Allen voran der Vater, zu dem er eine sehr enge Beziehung hatte, enger als zur Mutter.

Fallen aber nicht gerade auch im Vergleich mit dem Vater die künstlerischen Gewichtsunterschiede auf?

Der Vater ist ein sehr interessanter Künstler, der irgendwie am Problem der Moderne gescheitert ist, wenn man an die Beliebigkeit seiner späten Berglandschaften denkt. Aber gerade das sollte dann für den Sohn von großer Bedeutung werden, der ja immer wieder über das Problem des Scheiterns nachgedacht und die Erfahrung des Scheiterns auf sich bezogen hat.

Wie war denn die Beziehung zwischen Vater und Sohn und Sohn und Vater? Könnte man das Figurenthema Albertos auch als eine Art Emanzipation von der Landschaftsmalerei des Vaters beschreiben, als Versuch, aus dem Schatten des Vaters herauszutreten und sich ihm gegenüber eigenständig zu behaupten?

Ich weiß nicht, ob die Entwicklung wirklich gegen den Vater gerichtet war. Genau besehen ist es doch umgekehrt gewesen, dass der Vater dem Sohn Bereiche gezeigt hat, in denen er sich entfalten konnte. Zum Beispiel, als er ihm Plastilin kaufte und Alberto anfing, damit zu modellieren, und ganz automatisch auf die Figur kam. Auch ist der Vater Giovanni ja nie nur Landschaftsmaler gewesen. Es gibt etwa ein Selbstbildnis des Vaters, auf dem er sich als Büste in einem Rahmen malt. Man kann sicherlich nicht sagen, dass Alberto dieses Bild-im-Bild-Thema direkt übernommen hat, aber es sind gewiss solche Probleme der malerischen Wirklichkeitsdarstellung gewesen, die er mit seinem Vater diskutiert hat. Aber auch andere Fragen wie die Masseverteilung auf den Bildern, die Beziehung von Vordergrund und Hintergrund, die Räumlichkeit, die Größenverhältnisse im Raum, das muss in der Auseinandersetzung beider Künstler eine Rolle gespielt haben. Wenn man sieht, wie der Vater einen Abhang mit Ziegen gemalt hat, dann sieht man auch, wo der Sohn sein Nah-und-fern- bzw. Groß-und-klein-Thema herleitet. Ich denke, es geht in der Beziehung zwischen Sohn und Vater gar nicht so sehr um ein Sich-absetzen-Müssen.

Wie einig waren sich Sohn und Vater in ihrem Verhältnis zur Moderne? Nicht umsonst hatte der Vater doch seine Modernezugehörigkeit an der Landschaft erprobt, weil ihm das Beispiel Cézanne gezeigt hatte, dass die Figur sich nicht so ohne Weiteres modern deklinieren lässt. Erst der Sohn hat dann entdeckt, wie modernetauglich auch das Figurenthema sein kann.

Das stimmt sicherlich, wobei doch auch die Frage ist, inwieweit eigentlich Alberto ein Moderner gewesen war. Den Schritt in die Abstraktion hat er ja nie vollzogen, ganz bewusst. Andererseits entsprechen seine Serien- und Reihenbildungen, dieses Nie-enden-Wollen und -Können, durchaus der konzeptuellen Grundidee der Moderne. Das macht sein Werk nicht zuletzt für unsere Zeit so interessant.

Der Maler Giacometti wirkt meist etwas spröder im Vergleich mit dem fast populär gewordenen Werk des Bildhauers. Wie sind die Gewichtungen in Ihrer Ausstellung?

Rein zahlenmäßig werden wir mehr Skulpturen als Bilder zeigen. Aber ich finde, dass diese strikte Trennung zwischen Malerei und Skulptur nicht wirklich Sinn macht. Giacometti hat Malerei und Skulptur sehr ähnlich aufgefasst. Dieses Verdichten und Durchdrücken, die physische Anstrengung, die den Bildern anzusehen ist, ist doch auch die Art und Weise, wie die Skulpturen entstanden sind. Dass Alberto als Bildhauer im Grunde von der Malerei herkommt, das ist kaum zu bestreiten. Wenn wir an die aufgerauten Oberflächen der späten Plastiken denken, an die Verweigerung fester Umrisslinien, an die mit gemeinten Bewegungsintentionen, dann kann man das schon als eine »malerische« Technik beschreiben. Und falsch ist es nicht, hier auch den fernen Einfluss des Vaters zu erkennen. Deswegen sollen der Maler und der Bildhauer in der Ausstellung gleichwertig erlebt werden können.

Noch einmal zum Vater Giovanni Giacometti: Wie aufmerksam hat er die Entwicklung seines Sohnes verfolgt?

Aus den Briefen, die er an Alberto geschrieben hat, weiß man, dass er seinen Sohn nicht nur gewähren hat lassen, sondern die große Begabung erkannt und Fähigkeiten bemerkt hat, die er bei sich selbst vermisste. Er hat bestimmt nicht alles verstanden, was der Sohn gemacht hat, und auch nicht verstehen wollen. Aber er hat seine Entwicklung mit großer Neugier verfolgt. In Alberto sah er gleichsam seinen eigenen Traum verwirklicht: Ich wollte Paris erobern, es ist mir nicht gelungen, aber dir wird es gelingen. Aufs Ganze gesehen war der Vater ein rückhaltloser Förderer des Sohnes, was auch der Sohn anerkannt hat. Ihm war wohl bewusst, dass er über den Vater hinausgehen würde. Es gibt auch in der ganzen überlieferten Familienkunstgeschichte nur einen Konflikt, als Alberto anfing, seine Figuren immer kleiner und dürrer zu zeichnen, und der Vater meinte, zeichne doch so, wie du siehst, und er zur Antwort bekam, ich zeichne ja, wie ich es sehe.

Wie hätte der Vater wohl reagiert, wenn er, der 1933 gestorben ist, die surrealistische Welt seines Sohnes gesehen hätte?

Die Anfänge hat er noch gesehen. Aber kommentiert hat er es nicht mehr, als Alberto bekannte, er könne die Wirklichkeit nicht mehr so darstellen, wie sie immer dargestellt worden sei, er müsse ausweichen in die Wirklichkeit seiner Gefühlswelt. Für den Vater war das wohl nicht nachvollziehbar. Und ich denke auch, dass die Abnahme der Schaffenskraft des Vaters damit zusammenhängt, dass er selbst an unüberwindbare Grenzen gestoßen ist. In Paris hat ihn Alberto mit ins Kino genommen. Später schrieb er, dass er jetzt kinematografische Landschaften malen wolle. Was immer er sich darunter vorgestellt hat. Man sieht, wie die Erfahrung der Moderne, die im Bergell nicht möglich war, die ihm erst der Sohn in Paris vermitteln konnte, auch kaum lösbare Probleme schuf.

Hat der Vater den Sohn gesammelt?

Die frühen Werke, die in der Giacometti-Stiftung in Zürich sind, kommen fast alle aus dem Besitz der Eltern. Wobei es sicherlich so gewesen ist, dass viele Frühwerke von Alberto einfach im Hause der Eltern in Stampa geblieben sind. Ob der Vater sie gesammelt hat, kann man schwer sagen. Aber umgekehrt war es so: Alberto hat seinen Vater gesammelt und gerade nicht die typischen segantinesken Giovanni Giacomettis. Das ist ein interessanter Aspekt, der auch erst im Vergleich deutlich wird. Es gibt eben doch noch manche Fragen, die von den großen Giacometti-Ausstellungen der letzten Jahre nicht beantwortet worden sind. Es geht ja nicht bloß um Wiederaufführung des Werks. Ich denke, auch unsere Ausstellung wird der Giacometti-Rezeption einen kräftigen Schub geben.

Können Sie schon etwas vom Aufbau der Ausstellung verraten?

Das Konzept unserer Ausstellung stieß auf viel Zuspruch, und wir haben alle wichtigen Leihgaben bekommen. Nach einem Entree mit ausgewählten Arbeiten aus dem Werk des Vaters wird Alberto Giacometti noch einmal einen großen Auftritt haben. Daneben und um ihn herum gibt es kleinere Kabinette – für die Möbelskulpturen von Diego etwa. Das Ganze wird diesmal viel offener sein, und der Besucher der Fondation kann das Haus ganz neu erleben. Das ist unser Ziel.

veröffentlicht am 31.3.2009
Veröffentlicht am: 31.03.2009