INTERVIEW MIT LAILA ZAIDI TOUIS

Laila Zaidi Touis, geboren 1990 in Barcelona, definiert Kunst auf ihre Weise, indem sie sich nicht auf ein einzelnes künstlerisches Medium beschränkt. Für sie wird die Welt selbst zur Leinwand, auf der offene und partizipatorische Experimente stattfinden. In ihren Werken werden Biografien untersucht und die Frage nach der Essenz des Menschseins gestellt. Ihr Interesse gilt dem Anderen, dem Fremden, und dem Zufall als künstlerischem Material, sowie dem unentdeckten Terrain der menschlichen Psyche, das sich zeigt, wenn niemand zuschaut. Ihre Kunst ist geprägt von authentischen Begegnungen, Ereignissen und Spuren aus realen Leben. Diese tiefe Verbundenheit mit der menschlichen Natur, der sie in ihren Kunstwerken nachgeht lässt sich auch mit ihrem beruflichen Hintergrund als studierte Ärztin erklären.

Im Interview mit Hatje Cantz spricht Laila Zaidi Touis über ihren außergewöhnlichen und ganz persönlichen Friedrich-Moment, die intensive Auseinandersetzung mit der Natur als Hauptfokus ihrer Kunst und die mystische Faszination für das Leben, das Fremde und den Zufall.

Hatje Cantz: Hast du in deinem Leben einen ganz persönlichen Friedrich-Moment erlebt, von dem du uns erzählen magst?

Laila Zaidi Touis: Ich habe tatsächlich einen ganz persönlichen und lebensverändernden Friedrich-Moment erlebt. Mein Partner, der ebenfalls Künstler ist, hat mir in der Alten Nationalgalerie in Berlin vor Der Mönch und das Meer (1809) von Caspar David Friedrich einen Heiratsantrag gemacht. Es war ein vulnerabler Moment, als er ein gefaltetes Papier aus der Tasche zog und einen Text über das Gemälde laut vorlas. Einige Besucher blieben stehen und schauten zu, am Ende kam ein amerikanischer Tourist auf uns zu und gratulierte uns auf Englisch. Anfangs wunderte ich mich sehr über die Wahl des Gemäldes. Natürlich hat Caspar David Friedrich einen großen Einfluss auf uns sowie viele andere heutige Künstler gehabt, aber dieses romantische Gemälde ist nicht gerade ein Symbol für Zweisamkeit und Partnerschaft. In der radikalen minimalistischen Leere des Bildes dominieren in den oberen zwei Dritteln der Leinwand ein bewölkter und trüber Himmel. In der Ferne steht ein Mönch allein auf einem weißen Dünenufer vor einem schwarz gemalten, aufgewühlten Meeresstreifen (und es wird sogar spekuliert, dass er vielleicht eine Pistole unter seiner Kutte trägt). Für mich symbolisiert das Gemälde eher die Zerbrechlichkeit des Menschen, der ausgeworfen im Leben vor die überwältigenden, aber auch mysteriösen Kräften der Natur und des Lebens ausgesetzt steht. Auf jeden Fall werden wir nun beide, unabhängig von dem Erfolg unserer Partnerschaft, für immer einen sehr innigen Bezug zu diesem Bild haben. Ein Glückliches, wenn alles gut läuft; wenn nicht, werden wir beide getrennt, jeweils der Mönch sein, der im respektvollen Wunder, Demut und Bescheidenheit allein vor dem gewaltigen Geheimnis des riesigen bewölkten Himmels und Meeres steht.

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer, 1808–1810 (Zustand vor der Restaurierung) Öl auf Leinwand 110 × 171,5 cm Alte Nationalgalerie, Berlin


Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer, 1808–1810 (Zustand vor der Restaurierung) Öl auf Leinwand 110 × 171,5 cm Alte Nationalgalerie, Berlin

HC: Kannst du uns sagen, welche Elemente aus Friedrichs Werk du in deinen eigenen Kunstwerken aufgegriffen haben und welche Rolle diese in deiner künstlerischen Praxis spielen?

Laila Zaidi Touis: Erstens gilt die respektvolle Faszination und Beschäftigung mit der Natur nicht als reine “schöne Kulisse", sondern als Hauptfokus der Arbeit, Werkzeug und Mittel, emotionale und spirituelle Zustände auszudrücken und zu erforschen. Ich habe mich in vielen meiner früheren Arbeiten mit Wald, Bäumen und Schnee beschäftigt. Für meine Arbeit Lost Communication habe ich mitten im Wald eine funktionierende Verkehrsampel unter einem Bach der Havel installiert. Ich sehe hier Parallelen zu einer poetischen Gäste der Hilflosigkeit: Die Ampel reguliert nutzlos den Verkehr in der Leere, ein verzweifeltes Symbol der Zivilisation und Menschheit, das aus dem Kontext gerissen mitten in der Wildnis steht. Wir stammen aus der Natur, aber sie ist uns oft fremd geworden. Eine Ampel ist eigentlich ein sehr großes Objekt und ihr Kopf mit den drei Lichtmodule allein ist ca. ein Meter groß, erscheint aber mitten in Wildnis so klein und unvertraut. Wenn man mit und in der Natur arbeitet, benötigt man nicht viel, um interessante Arbeiten zu erzeugen, denn das Medium selbst ist großartig. Ich empfinde sogar reine Wald- oder Naturfotografie als sehr befriedigend, wenn sie das Malerische und Emotionale festhalten kann. In der Arbeit Conversations with the Trees habe ich die Gedanken einer Reihe von herbstlichen Bäumen als Dichtung im Malerband gedruckt und auf Bäume darauf geklebt. Ich habe dann diese Arbeit direkt danach im pulsierend grünen indonesischen Dschungel wieder rekreiert. Einmal sind mir fast die Finger im Schnee erfroren, bis ich Fotos von Lichtern zu meiner Zufriedenheit aufnahm, die an Geister aus Goethes Faust erinnern sollten. Diese Lichter waren über eine durch den Sonnenuntergang lila gefärbte verschneite Landschaft verteilt.
 Ich interpretiere die Natur auf den Bildern von Caspar David Friedrich nicht nur wörtlich als Natur selbst, sondern auch als eine Metapher für die Welt, die Realität und das Leben – letztendlich für die Existenz. Und ich finde in seinen Werken auch etwas sehr Intimes in unserer Beziehung dazu. Es sind fast immer wenige, einzelne oder gar keine Menschen auf den Bildern zu sehen. In meiner künstlerischen Praxis schlägt auch eine mystische und spirituelle Faszination mit Begegnungen mit dem unsichtbaren Fluss des Lebens und dem Anderen, den Fremden. Die Intimität und Zerbrechlichkeit des Menschseins, ausgeliefert an die Kräfte des Lebens und des Zufalls – all das fließt auch in mein Werk ein, dessen Entstehung oft erst von der Rückmeldung und Teilnahme anderer Menschen abhängt. In meiner Arbeit Dinner with the Stranger, werde ich mittels einer Anzeige zum Abendessen bei fremden Personen eingeladen. Beim Abendessen serviert der Gastgeber immer seine Lieblingsspeise, und ich mache jedes Mal ein Foto des Gastgebers hinter dem gedeckten Tisch. Diese Aussetzung an die Elemente des Lebens – Glück, Zufall, Intimität und Zerbrechlichkeit – spüre ich auch in den Bildern von Caspar David Friedrich. Die romantische Idee, sich für die Kunst aufzugeben und sogar zu gefährden (zum Beispiel als Frau alleine bei Fremden zum Abendessen zu erscheinen) wird gejagt von der Bescheidenheit zu erkennen, die bestehende Möglichkeit zu versagen, angesichts der überwältigenden Mächten der nüchternen Realität. Diese vorläufige Arbeit wurde im Neuen Kunstverein in Gießen gezeigt und hätte scheitern können, wenn sich niemand darauf gemeldet hätte. Ähnlich wie bei Stories between two cities: Geschichten aus Frankfurt und Offenbach am Main, bei der Menschen auf den Anrufbeantworter der Telefonnummer (069)870 04 283 eine Geschichte über Frankfurt oder Offenbach am Main immer noch sprechen können. Die Geschichten können dann in einer minimalistischen Installation mit alten Wählscheibentelefonen gehört werden.

Ausstellungsansicht Dr. Laila Zaidi Touis: Dinner with the Stranger


Ausstellungsansicht Dr. Laila Zaidi Touis: Dinner with the Stranger

Auch der Einfluss auf den avantgardistischen Vorreiter des Minimalismus, der in Der Mönch am Meer (im Jahr 1809!) zurückgeführt werden kann, inspiriert mich sehr. Wenn ich meine Arbeiten und Installationen ausstelle, verzichte ich bewusst auf überflüssige Elemente. Jeder Teil, jedes Element erfüllt eine Funktion und schwächt dadurch nicht die Intention und das Gefühl, die vermittelt werden sollen.


Das Gespräch mit Laila Zaidi Touis für Hatje Cantz führte László Rupp im März 2024.


Bildcredit: © Studio Vinzenz Reinicke

Veröffentlicht am: 15.05.2024
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