POP ART

»Pop ist love, denn es akzeptiert alles ... Pop ist die Bombe werfen. Es ist der amerikanische Traum, optimistisch, generös und naiv ...« ⸺ Robert Indiana

Kein anderer Stilbegriff der modernen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hat unsere Vorstellung von Ästhetik, Design und vom »American Way of Life« so entscheidend geprägt wie die Pop Art. Denn keine andere künstlerische Ausdrucksform hat sich so stark eingemischt in das Alltagsleben einer ganzen Generation und weit darüber hinaus. Im gleichen Maße, in dem die Medien- und Warenwelt der industriellen Gesellschaft in den späten fünfziger Jahren plötzlich zu einem neuen Thema für die Kunst wurde, wurde die Kunst zum Thema in der Gesellschaft.

Bis heute sind diese Mechanismen wirksam. Das zeigt sich nicht nur daran, dass sich viele zeitgenössische Künstler wie Jeff Koons oder Keith Haring in der Nachfolge der großen Pop Artisten sehen. Gleichbleibend groß ist auch das Interesse des Publikums an Ausstellungen der prominentesten Vertreter dieser Kunstrichtung wie Andy Warhol, David Hockney, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, Tom Wesselmann, Jasper Johns, Robert Rauschenberg oder Robert Indiana – um nur einige wenige zu nennen. Die Aktualität wird darüber hinaus deutlich, wenn man sich Tendenzen im Designbereich anschaut: egal ob Innenarchitektur, Mode, Stoffdesign oder Verpackungen, bis heute ist unser Stilempfinden von der Pop Art beeinflusst.

Dabei ist es gar nicht so einfach, unter dem Begriff Pop Art tatsächlich einen einheitlichen Stil zusammenzufassen. Denn als in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren zuerst in London und New York jene künstlerische Bewegung in Gang kam, die man kurze Zeit später Pop Art nannte, da ging es gerade darum, konventionelle Kulturschranken zu überwinden, die Grenzen zwischen E- und U-Kultur, zwischen Trivialität und Intellektualität abzubauen. Bildende Kunst, Musik, Literatur, aber auch Mode, Werbung, Design, Fotografie, Film – all dies zusammen spiegelte das Lebensgefühl einer mehr oder weniger jüngeren Generation in den Metropolen der westlichen Industriegesellschaft wider. Was in der Musik die Beatles und die Rolling Stones, was auf der Leinwand Marilyn Monroe und Liz Taylor waren, das waren für die Kunst Figuren wie Andy Warhol und Robert Rauschenberg.

Ihre Bilder erzählen von einem Leben, in dem jeder Mensch zum Star werden kann, ganz unabhängig von der gesellschaftlichen Klasse, zu der er gehört. Allein durch seine Leistung, sein Äußeres, seine Begabung. Die USA wurden in diesen Jahren endgültig zum Vorbild für die ganze westliche Welt – als Industrie- und als Kulturnation; New York auf der Ost-, San Francisco und Los Angeles auf der Westseite gaben den Puls an, dessen Schlag bis nach Europa zu spüren war.

Der Begriff Pop Art allerdings wird zunächst eher zufällig in London gefunden, als in einer Collage des Malers Richard Hamilton die Buchstabenkombination »Pop« auftaucht. »Pop« bedeutet Knall, und es ist zugleich die Abkürzung für popular, also für populär. Und populär, nah am Geschmack der Masse, an den Gesetzen des Marktes und der Medien wollten die Künstlerinnen und Küsntler sein. Die Motive für ihre Gemälde, Grafiken, Plastiken konnten gar nicht banal genug sein: Cola-Flaschen, Swimming Pools, rote Herzen, Straßenkreuzungen, Blondinen, Autos, Eiscreme, Zigaretten, Flaggen, Dollar-Scheine - es gab nichts, was es nicht wert gewesen wäre, gemalt, gezeichnet, gedruckt, fotografiert zu werden. Die Kunst wollte so schnell auf die Moden der Massen reagieren wie Zeitungen und Magazine, und sie sollte genau so viel Spaß machen, dabei aber doch ironisch und subversiv sein.

Den Markt mit seinen eigenen Waffen schlagen - das war ein Ziel. Gerade dieser Wesenszug der Pop Art allerdings wird heute oft übersehen. Fast jeder kennt das Gesicht Marilyn Monroes in jenen leuchtenden Farben, in denen es Andy Warhol festgehalten hat, oder die Porträts von Liz Taylor und Elvis Presley, man kennt seine Coca-Cola-Flaschen und Campbell-Suppendosen, aber nur wenige haben seine Bilder vom elektrischen Stuhl genauer angeschaut. »Man wird nicht glauben«, hat er geschrieben, »wie viele Leute sich ein Bild mit dem elektrischen Stuhl ins Zimmer hängen - vor allem, wenn die Farbe des Bildes mit den Vorhängen übereinstimmt.«

Die Vorliebe der Künstler und Künstlerinnen für Klischees und Stars, für Massenmedien und Kaufhauscharme, für Comics und Nightlife war allerdings auch durchtränkt mit Melancholie und Ironie. Sie erkannten, dass der amerikanische Traum vom Schöner-, Schneller-, Reicher-Werden für viele Menschen zum Albtraum wurde, dass der Luxus seinen Preis hatte, dass manch einer auf der Strecke blieb, weil er den Gesetzen des Marktes und der Medien nicht gewachsen war, dass für Schwächen und Unangepasstheiten kein Platz war. Fortschrittsgläubigkeit und Spaß am schönen Schein gingen also Hand in Hand mit Zukunftsangst und Einsamkeit. Nicht umsonst hat Andy Warhol vor allem jene Leinwandhelden gemalt, die am Erfolg zerbrachen. Und auch die blonden Mädchengesichter auf den comicähnlichen Bildern von Roy Lichtenstein wirken trotz ihrem hübschen Gesicht oft verzweifelt und ängstlich.

Bis heute hat sich an jenem Lebenswandel, der in den sechziger Jahren Einzug hielt, nur wenig geändert. Im Gegenteil: nach dem Zerfall des Ostblocks hat sich das amerikanische Modell des Kapitalismus endgültig durchgesetzt. Vielleicht sprechen uns auch deshalb die Bilder der Pop Art immer noch unmittelbar an. Auch wenn Marilyn Monroe und Elvis Presley, John F. Kennedy und Andy Warhol längst tot sind, die Gesetze der Industriegesellschaft sind die gleichen geblieben. Auch Mick Jagger und die Rolling Stones singen noch immer von ihrer Sehnsucht nach »Satisfaction«.

veröffentlicht am 15.8.2002 – Petra von Olschowski
Bild: Ed Ruscha, »Standard Station, Amarillo, Texas«, 1963, Detail