MIRON SCHMÜCKLE IM GESPRÄCH MIT SIMON ELSON

Miron Schmückle, geboren 1966 in Rumänien, malt großformatige Bilder, die auf den ersten Blick an Darstellungen aus Pflanzenlexika erinnern. Seine Bilder, geprägt von einer scheinbar wissenschaftlich-botanischen Herangehensweise, sind jedoch Schöpfungen der Fantasie. Schmückles Mischwesen aus Pflanzen- und Tierwelt vermengen Duft und Gift, Schönheit und Vergänglichkeit zu einem zeitlosen Gesamtwerk zwischen Wahrheit und Erfindung. Geprägt hat seine künstlerische Laufbahn die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte und der Flora sowie Fauna ferner Länder. Aufgewachsen in Rumänien unter Ceausescu, entfaltet sein einzigartiges Werk eine faszinierende Fusion zwischen feinmalerischem Hyperrealismus und unverstelltem Eskapismus.

Im Gespräch mit Autor und Kunstwissenschaftler Simon Elson spricht Miron Schmückle über Entstehung und Ziele seiner Kunst und die Faszination für die Pflanzenwelt.

Simon Elson: Ein Kritiker hat einmal gesagt, das Verdienst von Jeff Koons Kunst sei, dass sie uns den Kitsch um die Ohren schlägt, gleich ob man das jetzt mag oder nicht. In diesem Sinne: Was erreicht deine Kunst, was wird sie – irgendwann einmal – erreicht haben?

Miron Schmückle: Meine Kunst wird möglicherweise erreichen, dass wir unser anthropozentrisches Weltbild mit etwas mehr Mut und Fantasie infrage stellen, dass wir uns Menschen, die angebliche Krone der Schöpfung, aus dem Fokus rücken und dann noch einmal genauer hinschauen. Ich glaube nicht, dass der Mensch immer das Maß aller Dinge ist, was im Übrigen sehr entlastend sein kann, und auch nicht, dass er sich die Natur weiterhin untertan machen sollte – diese jahrtausendealte Empfehlung ist schon lange nicht mehr gültig. Seit dem Ende meines Studiums zeichne und male ich Pflanzen, und ich bin sehr glücklich darüber, dass es sich dabei um Motive handelt, die nicht so leicht personifiziert werden können. Solange ein Kunststudium mit dem Zeichnen von Akten beginnt, ist der menschliche Körper Ausgangspunkt und Maßeinheit für das gestaltende Denken und Handeln, und es ist sehr schwer, sich davon zu lösen. Ist das verwunderlich? Die menschliche Gestalt der griechischen Antike in weißgewaschenem Marmor beeindruckt uns nach wie vor. Tierfiguren schafften es bis in den Rang göttlicher Liebesdramen, denn Götter nahmen gerne Tiergestalt an, um ahnungslose junge Hirten oder Nymphen zu verführen. Und die Pflanze? Im besten Fall stellt sie das dar, was von einem Menschen übrig blieb, der sich der Liebe einer Gottheit entziehen wollte: einen Lorbeerbaum, Schilf, eine Anemone, sonst Attribut, Symbol oder bloßes Ornament im Hintergrund. Eingerollte Akanthusblätter an den korinthischen Säulenkapitellen. Und das ist immer so geblieben. Heute ist es eher ein eingetopfter Philodendron in nichtssagenden Interieurs, in denen ohnehin nicht viel gesagt wird. Aber ich versuche das umzudrehen.

SE: Du zeigst uns das Reich der Pflanzen noch einmal neu, eine andere Form von Wachstum?

MS: Vielleicht gelingt es mir, gegen einen Begriff anzusteuern, den zeitgenössische Biologiedidaktiker geprägt haben: »plant blindness«, doch bevor ich gleich noch einmal darauf eingehen werde, zurück zu deiner Frage. Ich zeichne Pflanzen, die ich mir selbst ausdenke. Dabei bediene ich mich eines verinnerlichten Repertoires von Formen, Farben und Oberflächenbeschaffenheiten, die ich aus der Natur kenne. Alles, was auf meinen Papieren Gestalt annimmt, basiert auf Naturbeobachtungen und Naturverständnis – ein nicht abgeschlossener Prozess. Daher sehen meine Gewächse so aus, als kämen sie auch in der Natur in ähnlicher Form vor. Sie haben eine gewisse Plausibilität. Manche unter ihnen ließen sich beinahe in der botanischen Systematik einordnen. In diesem Sinne entsteht da ein neues Reich von Pflanzen oder eine neue Sicht auf das bestehende Pflanzenreich – eine andere Form von Wachstum. In der Natur sind die meisten Pflanzen durch Wurzeln verankert und wachsen – auf sehr unterschiedliche Weise – immer dem Licht oder dem Wasser entgegen. In meinen Bildern entwickeln sie sich nach den Prinzipien der Bildkomposition. Ich versetze sie in eine eigene Bewegung, oft frei schwebend, hängend, aus sich herauswachsend, ineinander verschränkt, das Bildformat verlassend. Ein Arbeitstitel lautete einmal: Nach meinem Belieben und auf ihre Weise.

SE: Was zeichnet das pflanzliche im Vergleich zum menschlichen Leben aus? Menschliches Leben wird ja zum Beispiel durch Mobilität gekennzeichnet, pflanzliches Leben hingegen gar nicht.

MS: Pflanzen können ihre Nahrung erzeugen, Tiere (wir Menschen inbegriffen) können das nicht. Das könnte der elementarste Unterschied sein, doch es gibt noch viele weitere divergierende Eigenschaften. Pflanzen waren lange vor uns da und haben unser Leben (das tierische Leben) überhaupt erst möglich gemacht. Pflanzen haben uns sozusagen erschaffen. Es ist nicht mein Gedanke, aber einer, den ich sehr gerne übernehme, und zwar, dass primordiale Pflanzen (zur Photosynthese fähige Einzeller) die Schöpfergötter jeder weiteren Lebensform seien. So argumentiert Emanuele Coccia in seinen naturphilosophischen Texten. Pflanzen allein können aus anorganischen Verbindungen organische Materie erzeugen. Aus einfachen Molekülen, die Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff enthalten, erschaffen sie mithilfe der Sonnenenergie, also durch Photosynthese, komplexe Moleküle (Kohlenwasserstoffe), ohne die Leben nicht möglich wäre. Sauerstoff ist ein pflanzliches Ausscheidungsprodukt. Der »blaue Himmel«, die Luft, die wir atmen, und alles, was wir als Nahrung aufnehmen können, wird von Pflanzen erzeugt. In der Schlussfolgerung: Pflanzen können sehr wohl ohne uns existieren, wir aber nicht ohne Pflanzen. Und dass Pflanzen nicht mobil sind, ist faktisch nicht immer zutreffend. Pflanzen sind in der Regel sesshafte Lebewesen, doch sie wachsen ein Leben lang kontinuierlich weiter, sie breiten sich aus. Durch die Vermehrung gehen sie sogar auf Reisen und besiedeln neue Lebensräume. Die Eiszeit hat in unseren Breitengraden wahre Pflanzenmigrationen ausgelöst. Ähnlich den Völkerwanderungen. Auch Pflanzenpopulationen migrieren, wenn die Lebensbedingungen unerträglich werden. An der Holsteinischen Ostseeküste gibt es Relikte pannonischer Flora, und am Rangierbahnhof von Basel wachsen balkanische Pflanzenarten, deren Samen »den Zug genommen haben«. Doch Mobilität gibt es auch bezogen auf einzelne pflanzliche Organismen. Zum Beispiel ist jede Form nichtgeschlechtlicher Fortpflanzung im Pflanzenreich gleichzeitig auch Fortbewegung. Wenn eine Pflanze Rhizome, Knollen, Brutknospen oder Ableger bildet, bewegt sie sich von einem Ort zum anderen. Im Unterschied zu Tieren ist das sogar noch viel spannender, denn während eine Pflanze wandert, erneuert sie ihren Organismus theoretisch unendlich. Der Ausläufer ist nicht ein Kind der Pflanze, sondern ein Ast, der sich unabhängig macht und lebensfähig ist, Wurzeln, Blüten, Früchte und weitere Ausläufer bildet und so weiter. Bei der geschlechtlichen Vermehrung ist Fortbewegung auch implizit. Früchte und Samen sind meistens so gebaut, dass sie sich auf den Weg machen können – so weit wie nötig von der Mutterpflanze entfernt, um sich als eigenständiges Individuum zu entwickeln. Kokosnüsse können Meere überqueren, bis sie einen Sandboden finden, um dann zu keimen. Am Ufer der Elbe wachsen inzwischen wilde Tomatenpflanzen; die Saat stammt aus den Kläranlagen unserer Städte. Es hat ein paar Jahrhunderte gedauert, den Weg aus Südamerika nach Niedersachsen zu schaffen, in diesem Fall mithilfe der Menschen, doch Pflanzen schaffen ähnliche Reisen auch alleine, und sie haben es nicht eilig – Tiere schon, allen voran wir Menschen.

(...)

Das ungekürzte Interview finden Sie in unserer Publikation Miron Schmückle – Flesh for Fantasy.

Miron Schmückle – Flesh for Fantasy | Hatje Cantz Verlag

Veröffentlicht am: 22.02.2024