INTERVIEW MIT THOMAS GIRST

The Sense of Movement: When Artists Travel untersucht die unterschiedlichen Beweggründe und Ziele von Künstlerreisen im Laufe der Kunstgeschichte und ist das erste Buch das im Zusammenhang mit der BMW Art Journey erscheint. 
Anfang 2015 rief BMW gemeinsam mit der Art Basel die Kunstinitiative BMW Art Journey ins Leben. Sie richtet sich an herausragende Künstler aus den jungen Sektoren »Discoveries« und »Positions« der Art Basel in Hong Kong bzw. Art Basel in Miami Beach. Als »mobiles Atelier« ermöglicht die Auszeichnung den von einer internationalen Jury ausgewählten Künstler*innen eine kreative Recherchereise an einen Ort ihrer Wahl – um dort zu arbeiten, Kontakte zu knüpfen und neue Werke zu realisieren. Der Folgeband wird über die Reise des ersten Gewinners Samson Young erzählen. Im Gespräch mit Cristina Steingräber spricht Dr. Thomas Girst, Leiter des BMW Group Kulturengagements, über die besondere Initiative.

Herr Dr. Girst, der Künstler als Reisender, als Wanderer zwischen den Welten, ist ein beliebter Topos. Dabei ist die Wahrnehmung des Artist as Journeyman, wie der Arbeitstitel unseres gemeinsamen Buches einmal lautete, oft verklärt. Jetzt aber bietet Sie jungen Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit, eine Kunstreise zu unternehmen und sie kreativ zu dokumentieren. Was war der Anstoß für diese besondere Kunstinitiative?

Wir wollten etwas Besonderes und Einzigartiges schaffen. Anstatt den hundertsten Preis auszuloben, war uns zusammen mit der Art Basel daran gelegen, etwas zu ermöglichen, das Künstler*innen in ihrer kreativen Praxis erlaubt Arbeiten fernab von den Restriktionen und den Forderungen der Kunstwelt zu schaffen. Selten haben Künstler*innen die Mittel und die Zeit, außerhalb ihrer Ateliers umfassend und explorativ tätig zu sein. So wurde die Idee des mobilen Ateliers, der BMW Art Journey geschaffen.

Publikationen zum Thema des reisenden Künstlers, von Dürer bis zur Tunis-Reise, hat es immer wieder gegeben. Wie hebt sich The Sense of Movement von diesen kunsthistorischen Auseinandersetzungen ab?

The Sense of Movement erhebt nicht den Anspruch, einen kompletten Überblick von Künstlerreisen durch die Jahrhunderte zu bieten. Das ist weder Sinn noch Zweck dieser Publikation. Das Spannende dieses Buches ist, dass man über alle Kontinente hinweg und unabhängig vom Schaffensprozess des Künstlers eklektisch Beispiele aufzeigt, die im Bestfall Lust auf mehr machen, die einen anregen, die Gedanken selbst reisen lassen und vielleicht dazu führen, dass man nach dem Erwerb des Buches einen Zugfahrschein löst, sich auf ein Fahrrad schwingt, sich ins Auto setzt oder ein Flugticket kauft und selbst auf Reisen geht – auf der Suche nach Erkenntnisgewinn.

Ich stelle mir Künstlerreisen wie eine Mischung aus Gesellenwanderung und Grand Tour vor. Ist es eine Ihrer Ideen, dieser Art von kreativem Prozess wieder neue Impulse zu geben?

Minimale Parameter mussten greifen, so sollte die Mindestdauer der Reise zwei Wochen betragen, 100 km müssen zurückgelegt werden – übrigens nicht zwingend im Automobil! Reisen auf den Mond mussten wir ausschließen sowie zum Mittelpunkt der Erde. Das wichtigste ist, dass die Künstler*innen sich die Zeit nehmen können, für ein Projekt, für Inspiration, für Begegnungen und Austausch. Und ja, das gibt sicher viele neue Impulse.

Der erste Gewinner Samson Young schildert in seinem Reisetagebuch eindringlich seine persönlichen, aber auch seine künstlerischen Erfahrungen und Entdeckungen. Seine Posts zu verfolgen weckt die Neugierde, mehr von ihm erfahren zu wollen. Wie begleitet Ihr die Künstler auf so einer intensiven Reise?

Ich freue mich, dass er selbst schrieb, wie sehr wir ihm mit unseren Netzwerken, unseren weltweiten Kulturkooperationen helfen konnten. So haben wir uns darum bemüht, dass er in der Eremitage in Sankt Petersburg tatsächlich außerhalb der Öffnungszeiten die berühmte Pfauenuhr von Katharina der Großen zum Klingen bringen konnte. In der Auvergne umschlossen meine Hände seine Knöchel auf alten Kirchtürmen in 50 Seelen Dörfern inmitten herrlicher Natur: Ich hielt ihn in schwindelerregenden Höhen fest, damit er unter der Glocke hindurch kriechend auf der anderen Seite Inschriften entziffern konnte. Er fand jene, die er suchte. Dass bestimmte Glocken geläutet wurden, um den Donner zu vertreiben – 1831 und nicht etwa im Mittelalter wurde zwischen Bauern der Region noch Blut vergossen, da sie sich darüber stritten, ob die Klänge nun den Donner anlockten oder vertrieben. Das ist nur eine von zahlreichen endlos faszinierenden Geschichten, die Samson Young weltweit recherchiert hat.

In unserem gemeinsamen Buch bekommen die Leser Einblicke in den Schaffensprozess auf Künstlerreisen. Wie sehr lassen Sie sich durch die Geschichten von Künstlerreisen über die Jahrhunderte hinweg in eine andere Gedankenwelt entführen?

Es ist euer Verdienst, und des Redaktionsteams, dass das Buch so gut geworden ist, mit den Abbildungen, vom Design her. Die Texte kommen nicht gedankenschwer und verkopft daher, sondern bleiben zugänglich. Das ist eine hochintelligente Publikation. Das Thema ist komplex – wir haben erreicht, auch durch die teilhabenden Schreiber, dass wir es spannend darstellen können. Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich auch den Mut der Künstler*innen bewundern, ihre Ideen durchgezogen zu haben, oftmals gegen riesige Widerstände – es ist bereichernd, darüber zu lesen. Wie fest der Glaube an das eigene Schaffen für diese Abenteuer sein muss!

Mit Mika Tajima, Trevor Yeung und Samson Young hatten Sie eine hervorragende, spannende Shortlist für die erste Verleihung des Preises. Was hat die Jury überzeugt, Samson Young zum Gewinner zu küren?

Es ist ein bisschen gemein, erst eine Shortlist bekannt zu geben und dann den Künstler daraus zu wählen, der auf Reisen gehen kann. Allerdings ergibt das durchaus Sinn. Hochkarätig besetzte Jurys international renommierter Museumsdirektor*innen wählen zunächst drei Künstler*innen der »Discoveries«- und »Positions«-Sektoren auf der Art Basel in Hong Kong und der Art Basel in Miami Beach bzw. Art Basel Hong Kong aus. Dann machen die ausgewählten Künstler*innen einen Vorschlag für ihre Reise. Im zweiten Schritt wird sich dann dieser Vorschlag angeschaut. Alle waren wunderbar, am liebsten hätten wir alle auf ihre Art Journeys entsandt. Samson überzeugte mit seinem komplett ausgearbeiteten Konzept, der arbeitsintensiven Vision seines atemberaubenden Projekts.

The Sense of Movement: When Artists Travel erscheint anlässlich der BMW Art Journey zur Art Basel in Miami Beach – 3.-6.12.2015.

veröffentlicht am 20.10.2015
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Veröffentlicht am: 20.10.2015