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INTERVIEW MIT MATTHIAS SAUER
Die Kunstjournalisten Nicole Büsing & Heiko Klaas im Interview mit Matthias Sauer, Head of Infrastructure, zu allen Themen rund um die organisatorischen Hintergründe zur dOCUMENTA (13).
Herr Sauer, bitte stellen Sie sich kurz vor und nennen Ihre Funktion auf der Documenta.
Mein Name ist Matthias Sauer, und offiziell heiße ich »Leiter der Infrastruktur«. Ich sage immer, das ist alles außer Kunst.
Was heißt das, alles außer Kunst? Was machen Sie denn genau?
Die Documenta ist ja eine Kunstausstellung wie jede andere auch. Aber wie beim Vergleich zwischen einem Einfamilienhaus und einem Wolkenkratzer, so ist es auch hier: je größer die Operation wird, desto komplexer wird sie. Die Documenta muss sich jedesmal wieder neue Räume suchen, die dann für die Kunst reserviert sind. Ich kümmere mich mehr um das Drumherum: Kassenhäuschen, Toiletten, Garderoben und alles, was die Fahrzeuge betrifft. Wir haben immer jede Menge gesponserte Fahrzeuge. Und dieses Mal gibt es auch eine Documenta-Buslinie. Wir hatten aber auch schon Straßenbahnlinien und sogar einmal eine eigene Schiffslinie. Und dann kümmern wir uns auch um die Bedienung der Ausstellung mit Drucksachen, mit Eintrittskarten und Katalogen. Da wird unheimlich viel herumverteilt, weil wir so viele Standorte haben. Das war beim letzten Mal schon ziemlich viel. Dieses Mal wird es noch mehr werden.
Also Sie sind praktisch dafür zuständig, zu organisieren, dass alles Mögliche zur richtigen Zeit an den richtigen Ort kommt?
Genau. Da gibt es auch so eine kleine Eingreiftruppe, die immer rumfährt, die morgens einmal die Hauptverteilung macht, und am Samstag kann es auch mal zweimal am Tag sein.
Dass alle immer Nachschub bekommen ...
Ja. Es ist alles improvisiert. Wir haben nicht viel Lagerraum vor Ort. Wir stehen mit einem Container mitten in der Bahnhofshalle zum Beispiel. Und da muss man einfach ein bisschen organisieren und auch Genehmigungen einholen.
Ist es einfach, Genehmigungen zu bekommen? Wie zeigt sich da die Stadt Kassel?
Sie sind kooperativ, aber sie machen für uns keine Ausnahmen. Der Duisburg-Effekt ist auch hier gegeben. Jeder hat Angst, mal genauso auf dem Podium zu sitzen wie der OB von Duisburg und zu sagen: Wir haben es verbockt. Das will keiner mehr riskieren. Daher wird wesentlich stärker kontrolliert als früher, zum Beispiel was Fluchtwege betrifft. Aber das ist auch völlig okay und für uns kein Problem. Die Documenta ist immer schon von der Feuerwehr stark kontrolliert worden, weil wir einfach mit hohen Besuchermengen rechnen müssen. Wir hatten Spitzenzeiten bei der Documenta 12, da haben wir pro Tag 14.000 Eintrittskarten verkauft. Und das sind nicht irgendwelche handgezählten Zahlen sondern tatsächlich verkaufte Karten gewesen.
Dann bilden sich wohl lange Schlangen an den Kassen...
Es ist richtig derb dann. Es gab zwei, drei Wochenenden, an denen sich die Schlange vor der Documentahalle mit der vom Fridericianum vereinigt hat. Über Infrastrukturmaßnahmen können wir aber Schlangen vor der Kasse vermeiden. Wir können erreichen, dass die Leute nirgendwo Schlange stehen müssen. Nur an den Ausstellungsgebäuden ist man durch die Kapazität des Raumes begrenzt. Wenn man zu viele Leute reinlässt, steigt einem irgendwann die Versicherung aufs Dach und sagt, bis hierhin und nicht weiter. Die haben einfach gewisse Vorgaben, und dann muss man eben das Gebäude für eine Weile dicht machen.
Sie machen das bei der dOCUMENTA (13) nicht zum ersten Mal. Wie lange sind Sie schon dabei?
Wenn man wie ich zwei Ausstellungen oder mehr mitgemacht hat, gehört man bei der Documenta zu den Veteranen. Ich habe schon bei der Documenta 10 als Praktikant gearbeitet. Zwischendurch war ich aber immer wieder weg. Das ist ja klassisch bei der Documenta. Keiner hat einen festen Vertrag wie etwa bei der Biennale. Da arbeiten sie durch, weil sie alle zwei Jahre stattfindet. Aber bei uns macht man vier Jahre Pause und sucht sich zwischenzeitlich etwas anderes.
Was machen Sie dann in der Zeit zwischendurch?
Ich war zwischen der Documenta 10 und der Documenta 11 für vier Jahre in Stockholm. Das war damals Europäische Kulturhauptstadt. Ich habe dort im Kulturhaus gearbeitet. Zwischen den Documenten 11 und 12 war ich bei der Stadt Kassel angestellt. Auch hier gab es ja eine Kulturhauptstadtbewerbung. Ich habe Veranstaltungen für das Kulturhauptstadtbüro gemacht.
Können Sie uns noch etwas zu Ihrem Background sagen? Zu Ihrer Ausbildung?
Ich habe in Konstanz Politikverwaltungswissenschaft studiert und wollte ursprünglich mal in die Entwicklungshilfe gehen. Dass ich in diese Richtung gegangen bin, hat sich durch einen Zufall ergeben: Wir mussten zwischen Grund- und Hauptstudium ein langes Praktikum machen, ein dreiviertel Jahr. Es musste im Ausland sein, und ich hatte schon einen Platz im südlichen Afrika. Als ich dorthin wollte, brach ein paar Monate vorher ein Bürgerkrieg aus, und ich habe schnell etwas suchen müssen. Ich bin dann im Centre Pompidou in Paris gelandet. Das hat so viel Spaß gemacht, dass ich dabei geblieben bin.
Also im Kulturbereich...
Genau. Ich habe dann auch während des Studiums Praktika in Kulturzentren oder in Museen gemacht.
Dadurch ist dann Ihr Kunstinteresse geweckt worden, oder war das schon vorher da?
Kunst nur bedingt. Ich habe eigentlich immer im Design- und Architekturbereich Praktika gemacht. Da lag mein Interesse. Aber im Prinzip ist es ja so: Ob man nun teures Design ausstellt oder teure Kunst, das, was man da im Background braucht, ist eigentlich sehr ähnlich.
Aber dennoch sind Sie ja immer wieder mit Kunst in Kontakt gekommen...
Ja, klar. Man entwickelt schon ein Interesse. Man kennt dann ja auch die Leute, geht zu anderen Ausstellungen und informiert sich, was die Konkurrenz so treibt. Das ist klar.
Also gibt es auch Kontakte etwa zur Biennale Venedig oder anderen Großausstellungen?
Ja, gerade durch die »Grand Tour«, die vor fünf Jahren war, hat sich viel ergeben mit der Biennale. Zu uns kommen aber auch die Leute von der Art Basel und so weiter.
Da herrscht also reger Austausch?
Ja. Wir gehen auch immer zur Eröffnung der Berlin Biennale und umgekehrt. Das ist ganz klar.
Noch einmal zurück zu Ihrem Arbeitsalltag. Jetzt, wo wir bis zur Eröffnung der Documenta noch etwas Zeit haben, woran arbeiten Sie da gerade?
Momentan sind wir in der Endphase der Planung der Documenta-Buslinie. Es wird eine D13, eine Buslinie 13, geben, die als Ringlinie die Documenta-Ausstellungsorte verbindet. Und da geht es jetzt darum, welche Haltestellen eingerichtet werden, wo wir eine Rollstuhlrampe brauchen, solche Geschichten eben.
Wie es scheint, ganz praktische Fragestellungen...
Ein anderes Beispiel: Wir haben schon vor langer Zeit mal mit dem hessischen Verkehrsministerium gesprochen wegen Schildern an der Autobahn. Einerseits wegen der Wegeleitung. Andererseits ist es natürlich auch gute Werbung für uns, wenn an der A7 und an der A44 Schilder stehen, drei mal vier Meter oder so.
Das war ja auch immer so, oder?
Ja. Das haben wir bisher immer gehabt. Und jedesmal ist es ein Spiel zwischen den Behörden und uns. Das Design, das wir gerne haben wollen, entspricht natürlich nicht den deutschen Normen für Autobahnbeschilderung.
Da braucht man wahrscheinlich wieder eine Ausnahmegenehmigung, oder?
Es gibt keine Ausnahmegenehmigung. Wir versuchen, uns da ein bisschen ranzutasten...
Ist eine Lösung in Sicht?
Ja. Im Prinzip wird es eine weißgrundige Beschilderung. Weil es eben keine touristische Beschilderung ist und der Autofahrer so wenig wie möglich abgelenkt werden soll, wenn er durch deutsche Lande braust, durften wir die letztes Jahr noch nicht hinstellen. Aber jetzt kommt die dann bald.
Sie arbeiten in einem Team. Wie groß ist Ihr Team?
Die Documenta als Organisation dehnt sich aus und zieht sich danach jedes Mal wieder zusammen wie eine Harmonika. Das ist in meinem Fall auch ähnlich. Ich habe jetzt noch eine Mitarbeiterin bekommen, die sich nur um Drucksachenproduktion kümmert, die die ganzen Ausschreibungen mit den Druckereien macht und so weiter und sich auch darum kümmert, dass das Design so umgesetzt wird, wie von unseren Grafikern und von der Abteilung Kommunikation bestimmt. Dann habe ich Mitarbeiter, die sich nur um die Fuhrpark- und Logistikfragen kümmern. Und momentan auch noch eine ganze Truppe von Leuten, die nur rumfahren und Wohnungen herrichten. Weil diese Documenta sehr viel frisch produzierte Kunst haben wird, erwarten wir viele Künstler, die sehr lange in Kassel sind.
Und die müssen alle untergebracht werden...
Ja, wir haben momentan um die 40 Wohnungen angemietet, die nach und nach von Künstlern bezogen werden. In Deutschland gibt es ja kaum möblierte Wohnungen. Da muss noch vieles eingerichtet werden. Wir kaufen bei Ikea ein, wir leihen uns Betten zusammen und so weiter. Das ist mehr, als wir gedacht haben. Die Geschichte hat sich zu einem ziemlichen Stressjob entwickelt. Deswegen sind jetzt auch mittlerweile fünf Leute damit beschäftigt, nur Wohnungen einzurichten: von der Bettwäsche bis zum letzten Löffel.
Sie müssen aber auch immer mal wieder zwischen den Künstlern und der Stadt als Vermittler auftreten, oder?
Das kommt immer so ein bisschen darauf an. Es gab immer wieder mal Projekte, wo es viel Kontakt zur Stadt gab und teilweise auch Ärger. Da habe ich dann ziemlich oft mit zu tun gehabt. Thomas Hirschhorn zum Beispiel hatte vor zehn Jahren in der Nordstadt ein Projekt. Da gab es ständig Ärger mit dem Amt. Sie haben Döner verkauft, ohne eine Genehmigung zu haben. Und sie haben einen Fahrdienst mit uralten Mercedes-Fahrzeugen angeboten. Da habe ich ihnen dann geholfen, dass die Jungs, die das gefahren sind, einen Personenbeförderungsschein bekommen. Solche Geschichten. Sobald man in den Stadtraum geht, gibt es ja unglaublich viele Regelungen in Deutschland.
Aber sie haben auf Ihre ruhige Art dann letztendlich immer noch einen Weg gefunden, mit den Behörden eine Lösung zu finden?
Irgendwie. Also wenn es irgendwie machbar ist, dann geht es. Es gibt immer wieder Projekte, bei denen es einfach nicht machbar ist, weil behördliche Auflagen es sehr verteuern. Oder weil es wirklich zu gefährlich ist. Da muss man dann eine Lösung finden.
Sie waren schon mehrmals dabei. Haben Sie während der 100 Tage Gelegenheit gehabt, sich die Ausstellungen in aller Ruhe anzugucken, oder kommen Sie gar nicht dazu?
Relativ spät meistens. Die ersten drei, vier Wochen lang arbeitet man noch ziemlich viel ab. Wo man dann merkt, das irgendetwas noch nicht optimal gelöst ist. Danach, irgendwann im Juli, kann man mal selbst in Ruhe durchgehen. Aber auch nicht am Stück, sondern man nimmt sich dann zwischendurch mal drei Stunden für ein Gebäude, drei Stunden für ein anderes. In der Richtung.
Gibt es in Kassel einen Lieblingsort, an dem Sie ein bisschen zur Ruhe kommen, nachdenken und von der Documenta abschalten können?
Ich habe selbst keinen Garten oder so etwas. Aber ich habe bei mir hinterm Haus ein kleines Wäldchen, das nennt sich Tannenwäldchen. Da kann ich mich mit meiner Kaffeetasse auf eine Parkbank setzen, und das ist super. Im Hintergrund hört man die Züge vom Hauptbahnhof zum Bahnhof Wilhelmshöhe. Man sieht sie aber nicht. Ich finde, das ist irgendwie ganz lustig. Das ist für mich ein richtig schöner Platz.