INTERVIEW MIT KATRIN SAUERLÄNDER

Interview mit Katrin Sauerländer, Managing Editor Publications.

Frau Sauerländer, Sie sind verantwortlich für die Publikationen der dOCUMENTA (13). Wie genau nennt sich Ihre Aufgabe?

Die englische Bezeichnung meiner Tätigkeit ist »Managing Editor Publications«, im Deutschen entspricht dem die »Redaktionsleitung«. Ich kümmere mich im Wesentlichen um die Bearbeitung der Texte, das Lektorat, die Übersetzungen, kurz, darum, dass alles rechtzeitig zusammenkommt, was es für eine Publikation braucht. Dazu gehören auch die Abbildungen und Reproduktionsgenehmigungen. Das mache ich natürlich nicht alleine, sondern in intensivem Austausch mit der Leiterin der Publikationsabteilung, Bettina Funcke, und mit einem tollen Team, ohne das sich ein solches Mammutprojekt nicht realisieren ließe.

Um welche Publikationen geht es genau?

Um die Reihe der 100 Notizen - 100 Gedanken und die drei Publikationen, die zur Ausstellung erscheinen werden. Wir haben, wenn man bedenkt, dass die Ausstellung im Juni 2012 eröffnet wird, vergleichsweise früh angefangen, ich arbeite schon seit August 2010 für die dOCUMENTA (13).

Auch schon hier vor Ort in Kassel?

Vor Ort seit Januar 2011, zuerst habe ich noch von Berlin aus gearbeitet. Wegen der Notizbücher, die seit Anfang 2011 kontinuierlich herausgegeben werden, wurde früh eine Publikationsabteilung etabliert, es gibt sehr viel Material zu bewältigen. Mit Beginn der Arbeit an den drei anderen Publikationen ist die Abteilung dann weiter gewachsen, da wir zum Beispiel die Bildredaktion ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr wie vorher nebenbei erledigen konnten.

Das heißt, dass die 100 Titel jetzt schon feststehen und bearbeitet sind?

Die 100 Titel stehen schon seit längerer Zeit fest, die meisten sind inzwischen tatsächlich fertiggestellt. Es steht Material für weniger als zehn Hefte aus, es ist unglaublich zu sehen, welche Textmengen man verarbeitet hat.

Ihre Tätigkeit findet überwiegend in Kassel statt, oder stehen auch Reisen an?

Reisen stehen in meinem Beruf nur wenige an. Man ist in diesem Bereich förmlich an seinen Schreibtisch gefesselt, denn man liest wirklich den ganzen Tag, wenn man nicht gerade E-Mails schreibt. Der Großteil meiner Arbeit besteht darin, Texte zu lesen, Übersetzungen abzugleichen, Korrekturen einzugeben, mit den Autoren, Grafikern und Übersetzern zu kommunizieren.

Sind die Autoren auch in Kassel gewesen?

Es sind einige der Autoren in Kassel gewesen, teilweise gibt es ja enge Verbindungen zur dOCUMENTA (13), zum Beispiel im Fall der Agentinnen und Agenten oder Berater. Viele Treffen mit Carolyn Christov-Bakargiev und Chus Martínez haben auch an anderen Orten dieser Welt stattgefunden. Nach dem persönlichen Gespräch wurden die Autoren schriftlich eingeladen, und es folgte ein inhaltlicher Austausch mit Bettina Funcke über das Thema, das sich aus den Forschungs- und Interessengebieten ergeben hat. Es sind virulente Themen, mit denen sich die Autoren gerade beschäftigen und die auch für Carolyn und ihre Documenta virulent sind und in der Ausstellung ihren Niederschlag finden werden.

An welchem Punkt setzt dann Ihre Arbeit ein?

Ich steige ein, wenn eine Autorin oder Autor eingeladen, das Thema festgelegt und eine Deadline gesetzt ist. Ab da trete ich mit ihr oder ihm in Kontakt und stelle sicher, dass der Text rechtzeitig eintrifft, da sich daran ein komplexer Prozess der Weiterverarbeitung anschließt, der im Vorfeld geplant werden muss.

Könnten Sie den ein wenig beschreiben?

Sobald ein Text fertig ist, wird er zunächst lektoriert. Das deutsche Lektorat machen wir selbst, allerdings sind deutsche Ausgangstexte bei der internationalen Ausrichtung der Notizbücher eher selten. Englische Texte geben wir an muttersprachliche Lektoren. Deren Änderungen werden wie unsere in den Dokumenten sichtbar gemacht, den Autoren zur Überprüfung vorgelegt und gehen bei Rückfragen wieder an den Lektor zurück. Die finale Version geht dann schließlich zur Übersetzung. Deutsche und englische Übersetzungen werden von uns mit dem Original abgeglichen, und auch die Übersetzer bekommen von uns die Änderungen zur Überprüfung vorgelegt. Hieraus erklärt sich, wie zeitintensiv die Bearbeitung eines einzigen Textes ist, selbst wenn alles ganz glatt geht. Komplizierter wird es, wenn man die Ausgangssprache nicht kennt, z.B. Armenisch und Arabisch, was meist einen noch intensiveren Austausch mit den Lektoren und Übersetzern erfordert, weil man gewisse Feinheiten selbst nicht beurteilen kann.

Sitzen die auch hier in Kassel?

Das wäre wirklich luxuriös, dann wären wir ein gigantisch großes Team. Nein, diese Leute sind in allen möglichen Winkeln der Welt tätig, das geht bis nach Neuseeland. Die gesamte Korrespondenz läuft über E-Mail und Skype, in Einzelfällen auch per Post, bis alles im Detail sitzt. Es geht kein Text in Druck, der nicht 100%ig den Wünschen der Autoren entspricht. Wir sind bereit, jedes Komma zu diskutieren.

Wie viel Mitspracherecht hatten die Autoren bei der Gestaltung?

Gestaltung im Sinne von Design?

Ja, Format, Farbe etc.

Das Mitspracherecht ist dadurch begrenzt, dass die Notizbücher ein einheitliches Design haben, das sie als Reihe erkennbar macht.

Aber es gibt doch unterschiedliche Formate ...

Ja, es gibt drei unterschiedliche Formate. Welcher Beitrag in welchem Format erscheint, richtet sich nach dem Material selbst. Es gibt verschiedene Kategorien von Notebooks. Eine sind zum Beispiel die Faksimile-Notizbücher, etwa die zu Walter Benjamin und György Lukács. Diese bestehen hauptsächlich aus Reproduktionen, denen eine Einführung vorangestellt ist. Hier richtet sich das Format nach der Originalgröße des abgedruckten Materials, unser Ziel ist, möglichst nah am Original zu bleiben. Die Essaybände, die in der Regel nur eine Abbildung haben, die von den Autoren vorgeschlagen wird, sind häufig A6-Formate. Letztlich wird das Format also nach gestalterischen Gesichtspunkten entschieden, auch die Farben der Umschläge. Wenn jemand einen bestimmten Wunsch geäußert hat für ein Format oder eine Farbe, haben wir den gerne erfüllt. Es haben immer alle bekommen, was sie wollten.

Es gab also ganz enge Abstimmungen ...

So individuell wie die Autoren sind auch die Inhalte, und auch wenn wir gewisse Vorgaben haben, haben wir innerhalb dieses Rahmens auf alle Situationen individuell reagiert. Unantastbar sind das Cover, der Schmutztitel und das Impressum. Was den Rest des Innenteils angeht, haben wir viele Ausnahmen möglich gemacht und die verschiedenen Wünsche bezüglich Abbildungen oder Textgestaltung berücksichtigt. Ein besonderes Beispiel ist das Künstlerbuch von Lawrence Weiner, das komplett von ihm gestaltet, ist, in diesem Fall sogar der Schmutztitel. Ein anderer Fall ist Nalini Malanis Notizbuch mit Arjun Appadurai, in dem eine Zeichnung durch den gesamten Text läuft.

Mit den Notebooks viele Autoren und hoffentlich auch Leser glücklich zu machen, das klingt nach einer sehr befriedigenden Arbeit ...

Es ist eine tolle Erfahrung, an der Serie der 100 Notebooks zu arbeiten, wegen der unglaublichen Vielfalt und Qualität der Texte und der großen Begeisterung aller Beteiligten für dieses Projekt. Man hat mit den verschiedensten Autoren aus den unterschiedlichsten Bereichen zu tun, und wir bekommen sehr viel positives Feedback. Insgesamt ist dieses Projekt von großem Enthusiasmus getragen.

Sprechen wir von den Hauptpublikationen. Welche wird es geben?

Zur Ausstellung erscheinen insgesamt drei Publikationen, die Kataloge 1–3, die sich gegenseitig ergänzen und auch in ihrer Gestaltung ein kompaktes Kompendium der Inhalte dieser Documenta darstellen. Der Katalog 1/3, Das Buch der Bücher, erscheint in einer deutschen und in einer englischen Ausgabe, die jeweils über 750 Seiten umfassen. Sie werden die gesamte Serie der 100 Notizen – 100 Gedanken enthalten, die so zentral für den Weg zur dOCUMENTA (13) ist. Eine Herausforderung für die Grafikagentur Leftloft, die ungefähr 3000 Druckseiten für ein Buch von ca. 750 Druckseiten zu komprimieren, was sie durch ein neues Layout gelöst haben, in dem die Gestaltung der Einzelhefte nachklingt ... wie eine Erinnerungsspur. Dazu kommen Essays u. a. von Carolyn, Chus Martínez und Franco Berardi Bifo und eine illustrierte Teilnehmer- und Werkliste mit Kurzbiografien, die dann in späteren Jahren das wichtige Nachschlagewerk sein wird, wenn man sich mit der Documenta-Geschichte beschäftigt.

Welche weiteren Publikationen gibt es?

Auch zur dOCUMENTA (13) gibt es das unverzichtbare Werkzeug für jede Besucherin, jeden Besucher: Das Begleitbuch, unser Katalog 3/3, gibt in Kurztexten die wichtigsten Informationen zu den Künstlerinnen und Künstlern und ihren Werken in der Ausstellung. Das Besondere an dieser Publikation ist, dass wir, anstelle klassischer Werkabbildungen, alle Beteiligten eingeladen haben, einen visuellen Beitrag zu liefern, was alles Mögliche sein konnte – ein Foto, ein Text, eine Zeichnung –, mit der einzigen Prämisse, dass der Beitrag im Zusammenhang mit der ausgestellten Arbeit steht.

Und was ist da so zusammengekommen? Für was haben sich die meisten entschieden?

Fotos, Texte, Zeichnungen, auch Werkabbildungen ... die Beiträge sind sehr unterschiedlich, persönlich und für den Anlass gestaltet. Das war natürlich auch für uns ein spannendes Konzept und wir sind sehr begeistert über das Ergebnis.

Das waren jetzt zwei von den drei Publikationen. Kommen wir zur Dritten. Wie sieht die aus?

Die dritte Publikation, der Katalog 2/3, ist Das Logbuch, der Band, in dem die Ausstellung dokumentiert werden wird. Er besteht aus zwei Teilen: einer Sammlung von Fotos und Korrespondenzen, die einen sehr intimen Einblick in das Entstehen einer Ausstellung gibt, wie man ihn sonst nicht bekommt. Hier berichten die Agentinnen und Agenten und Carolyn Christov-Bakargiev in Interviews über Ideen, Hintergründe, Konzepte. Der zweite Teil ist ein visueller Rundgang durch die fertige Ausstellung und wird daher erst nach der Eröffnung erscheinen.

Wann genau?

Nicht viel später, Anfang Juli, also ganz dicht dran. Alles andere wird schon vorbereitet, und zum Schluss werden dann die Bilder eingesetzt, das wird alles ganz schnell gehen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Hatje Cantz Verlag?

Die Zusammenarbeit ist sehr eng. Der Hatje Cantz Verlag produziert nicht das erste Mal Documenta-Publikationen, und das merkt man natürlich. Der Verlag hat viel Erfahrung auch mit der ungewöhnlichen Dimension dieses Projekts, die für mich neu ist. Mit meiner Kollegin Cordelia Marten habe ich für die vergangenen beiden Berlin Biennalen gearbeitet, aber die Größenordnung hier ist schlicht und ergreifend eine andere. Insofern ist es sehr beruhigend zu wissen, dass man einen Partner hat, der sich auskennt. Wir sind natürlich permanent in Kontakt, denn wir haben Zeitpläne, die wir einhalten müssen, und die Produktion auch für die großen Publikationen läuft schon die ganze Zeit im Hintergrund.

Das Team, das hier zur Zeit arbeitet, stammt ja zum größten Teil nicht aus Kassel. Haben Sie sich gut in der Stadt eingerichtet? Haben Sie Orte gefunden, die Sie gerne aufsuchen, und wohin Sie sich zurückziehen, wenn es mal Documenta-freie Zeit gibt?

Eben wegen der Dimension gibt es wenig Documenta-freie Zeit. In Kassel kann man sich aber auf jeden Fall gut einrichten, auch wenn die Arbeit überwiegt. Einer der Orte, die ich mag, ist das Schwimmbad. Es liegt direkt um die Ecke, ein großer Luxus. Sonst würde ich es wahrscheinlich auch nicht schaffen, dorthin zu gehen.

Das Schwimmbad als ein Ort, wo man entspannen, vielleicht auch ein bisschen resümieren und nachdenken kann?

Das Gute ist, dass ich beim Schwimmen nicht denken kann.

Das Interview führten die Kunstjournalisten Nicole Büsing und Heiko Klaas.
24.04.2012

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