INTERVIEW MIT DIRK BOLL

»Junge Kunst ist der Schlüssel für zukünftige Kunstmärkte« ⸺ Die Kunstjournalistin Claudia Herstatt im Gespräch mit Dirk Boll, Geschäftsführer von Christie's in Zürich.

Sie sind gerade von den Londoner Auktionen zurückgekommen und sagen, Kunst wird wieder gekauft, als habe es keine Krise gegeben. Ist Kunst letztlich ein krisenunabhängiges Gut?

Sicherlich was den ästhetischen Wert angeht. Aber auch die Preisentwicklung unterliegt deutlich geringeren Schwankungen als auf anderen Märkten.

Spitzen sich die Kaufentscheidungen in kritischen Zeiten auf Spitzenqualität zu?

Das ist der Fall, allerdings ist Spitzenqualität immer gefragt. Heute sucht man aber nicht nur das herausragende Objekt, sondern auch die gesicherte Position, kanonisierte Werke.

Sollten Kunstliebhaber sozusagen auch gegen den Strom schwimmen und weiterhin den Mut haben, individuelle Entscheidungen zu treffen?

Unbedingt. Es ist mehr als wünschenswert und eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von vor allem junger Kunst. Und diese hat eine Schlüsselrolle – nicht nur für künftige Kunstmärkte, sondern auch für den Zustand unserer Gesellschaft von heute und morgen.

Sie haben schon seit der Studienzeit den Kunstmarkt beobachtet, dabei einige Ups and Downs erlebt. Was kann der Leser aus Ihrem Buch für Kaufentscheidungen in guten beziehungsweise schlechten Zeiten lernen?

Offenbar gibt es regelmäßig Krisen – eine wichtige Information für junge Marktteilnehmer, die ihre erste erleben und sich nicht entmutigen lassen sollten. Und die Erkenntnis, dass es sinnvoll sein kann, den heute so angesagten Investmentaspekt in den Hintergrund zu stellen und wirklich nur das zu kaufen, was man selbst mag.

Dass Sie aus Ihrer Erfahrung im Auktionshaus und Kulturmanagement den Vorhang zu dem komplexen Geschehen auf dem Kunstmarkt heben können, dem Leser eine Innensicht erlauben, ist klar. Wie muss der Kunstsammler nach ihrer Lektüre selbst weiter voran kommen? Entscheidungen können Sie ihm ja nicht abnehmen.

Sein Auge kann man nur selbst schulen, vor allem durch Ausstellungsbesuche in Galerien und Museen. Das ist die Basis für erfolgreiches und befriedigendes Sammeln!

Sie arbeiten als Geschäftsführer für das Auktionshaus Christie's in Zürich. Auktionshäuser versuchen immer, mit Rekorden zu punkten. Sind sie auch der Ort für Einsteiger oder Sammler, die über kein Millionenbudget verfügen?

Absolut. Große Auktionshäuser werden in aller Regel über ihre Tätigkeit an der Marktspitze wahrgenommen, verkaufen aber auch Drucke, Multiples, Editionen für wenige Tausend Euro.

Der Primär- und Sekundärmarkt, also Handel und Auktion, haben sich zunehmend verzahnt. Wie soll der Konsument das durchschauen?

Juristische Rahmenbedingungen machen den Markt heute so transparent wie nie in der dreitausendjährigen Geschichte des Handels mit Kunst. Vor allem der Bilderhandel lässt sich dank Internetdatenbanken gut nachvollziehen. Aber am Ende zählt nur das Werk, und wenn der Sammler eines erwirbt, spielt es meines Erachtens keine Rolle, ob die verkaufende Galerie nun im Eigentum von Christie's (Haunch of Venison) oder Sotheby's (Noortman) steht.

Wie Sie in Ihrem Buch schreiben, sind Kaufentscheidungen oft nicht voraussehbar, was nichts mit der Qualität von Werken zu tun haben muss. Die Sujets wechseln mit Moden und Trends. Wo liegen zurzeit die Vorlieben der Sammler?

Ganz klar im Bereich von Ausdrucksstärke, durch alle Felder. In allen Lebensbereichen sinkt die Aufmerksamkeitsspanne, also muss auch Kunst schneller durchdringen und wirken. Das geht Hand in Hand mit der gestiegenen Bedeutung des Wiedererkennungswerts.

Gilt das auch für Farben? Sie haben einmal erwähnt, dass sich ein grüner Ellsworth Kelly schlechter verkauft als ein blauer oder roter.

Allgemein sucht der Sammler die Eigenschaft von Werken, die man als Wall Power bezeichnet, und da ist Rot im Vorteil ...

Der Kunstmarkt ist in jüngster Zeit durch Fälscherskandale im Bereich der klassischen Moderne ziemlich erschüttert worden. Auktionshäuser stehen ständig unter Zeitdruck, unterhalten zwar eigene Provenienzabteilungen, aber auch da rutscht immer mal etwas durch. Wie kann man da den Kunstkäufer beruhigen?

Der Nachweis der Authentizität kann leichter erbracht werden, wenn sich für den bestimmten Künstler ein Spezialist oder Expertenkomitee herausgebildet hat. Gibt es aber einen solchen Spezialisten beziehungsweise ein Komitee, dann müssen diesem alle Werke vorgelegt werden, bevor man sie auf den Markt bringen kann. Daneben kann die Provenienz die Originalität beweisen oder zumindest indizieren. Provenienzforschung ist in den letzten zwei Dekaden ausgesprochen wichtig geworden, um Eigentumsansprüche von Besitzern von Kunstwerken zu überprüfen. Die internationalen gesetzlichen Anforderungen an die Due Diligence (Sorgfaltspflicht) der kommerziellen Kunstvermittler haben hier Strukturen geschaffen, die eine Fälschung heute viel leichter aufdecken können als noch vor wenigen Jahren.

Die Nachfrage nach guter Kunst steigt, der Nachschub stagniert – teils, weil er einfach nicht mehr verfügbar ist, teils, weil die Verkäufer zurzeit ziemlich verhalten Dinge auf den Markt geben. Wie also kann sich der Markt diesen Anforderungen stellen?

Hier gibt es vier Aspekte: Zum Ersten wandelt sich die Beurteilung von Kunst. Was heute als »gut« angesehen ist, kann morgen weniger gefragt sein. Vor allem aber werden regelmäßig Künstler wiederentdeckt. Zudem weitet der Kunstmarkt seine Geschäftsbereiche seit Jahren aus und lädt Objekte emotional auf, um sie handeln zu können – man denke an alte Weine, Diamanten, Oldtimer oder Memorabilien. Als wichtigsten Grund denke man aber an die zeitgenössischen Künstler*innen, die tagtäglich Kunstwerke schaffen.

veröffentlicht am 8.7.3.2011
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Veröffentlicht am: 07.03.2011