INTERVIEW MIT DAVID CHIPPERFIELD

»Wir wollen eine Balance zwischen bereits Bestehendem, dem Wiederaufbau und der Erschaffung finden.« ⸺ Andres Lepik, Kurator für zeitgenössische Architektur am Museum of Modern Art, New York, im Gespräch mit dem Architekten David Chipperfield über die Fertigstellung des Neuen Museums auf der Museumsinsel in Berlin.

Es ist toll, mit Ihnen hier in der Treppenhalle zu sitzen. Wahrscheinlich erleben wir das Neue Museum zum letzten Mal ohne große Besuchermengen.

Für uns ist es sehr seltsam, dass sich das Haus langsam wieder wie ein Museum anfühlt, nachdem wir zehn Jahre lang an der Ruine gearbeitet haben und sehen konnten, wie sie nach und nach Form annahm. Jetzt, da sich alle Räume – die neuen, die zerstörten und die intakteren Räume – individuell entfalten, wirkt es, als verändere sich der Maßstab des Gebäudes. In den letzten Monaten haben wir zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedliche Stimmungen erlebt, und nun, da alles – beispielsweise die Böden – fertig ist, verändert sich die Atmosphäre noch einmal.

Ich würde zu Beginn gerne über die Fotografien von Friederike von Rauch sprechen. Sie wurden gemacht, kurz bevor hier alles wieder aufgeräumt wird: Die Ruine ist verschwunden, die neuen Gebäudeteile sind nahezu fertiggestellt. Ich finde, dass das fast ein historischer Moment ist, der in diesen Fotografien festgehalten wird. Haben Sie auf den Bildern etwas entdeckt, das Sie vorher noch nicht gesehen haben?

Zunächst einmal sind die Fotografien wunderschön und bestätigen, was wir alle empfinden: Das Gebäude besitzt eine große Schönheit, die Friederike von Rauch eingefangen hat. Wir haben hier besonders viel mit dem bestehenden Gebäude gearbeitet und deshalb unsere Aufmerksamkeit manchmal sehr stark auf die Oberflächen gerichtet. Wir mussten uns einen Raum nach dem anderen, ein Detail nach dem anderen vornehmen, und es war uns in diesem aufwendigen Prozess, in dem wir es oft nur mit Fragmenten zu tun hatten, wichtig, das Gesamtprojekt im Auge zu behalten. Wegen der Restaurierungsmaßnahmen und des Bauprozesses war es manchmal sehr schwierig, sich das Ganze vorzustellen; wir mussten oft stückweise vorgehen und durften nicht aus den Augen verlieren, was aus diesen einzelnen Stücken in der Gesamtheit werden sollte. Wenn wir uns nun das fertige Gebäude anschauen, stellen wir zufrieden fest, dass wir diese Gesamtheit erreicht haben. Es ist sehr interessant, durch Friederikes Aufnahmen wieder zu den Einzelteilen zurückzugelangen – wir haben so viel Zeit damit verbracht, die Einzelteile genauestens zu betrachten und gleichzeitig ein intellektuelles Rahmenwerk für das Gesamtprojekt zu bewahren. Es ist entspannend, diese Fotografien zu sehen, die innerhalb dieses Gesamtkonzeptes auf wunderschöne Weise eine Vorstellung von den individuellen Momenten und besonderen Zuständen vermitteln.

Wie haben Sie den Entwurf für den Umbau des Neuen Museums entwickelt?

Wir haben eine Reihe von Plänen und Ideen erarbeitet. 1997 haben wir mit dem Neuen Museums einen enormen baulichen Kontext übernommen, der zugleich traurig und schön war. Die Museumsruine existierte bereits seit über sechzig Jahren, in denen man aber nur versucht hatte, sie zu stabilisieren. Die Ruine war also nicht erst vor Kurzem, sondern bereits im Zweiten Weltkrieg entstanden, und darin lag auch unsere Verantwortung. Außerdem waren wir für das ursprüngliche Gebäude von Friedrich August Stüler verantwortlich. Wir waren der Auffassung, dass der Neubau, der Umbau des Neuen Museums sich auf diese beiden historischen Aspekte beziehen sollte. Von Anfang an fanden wir, dass in diesem besonderen Fall, in dem die Zeit ein seltsames Denkmal hatte entstehen lassen, das weder Gebäude noch Ruine und doch beides zugleich war, eine Restaurierung, die auf eine historische Reproduktion abzielen würde – also ein kompletter Nachbau im Sinne der ursprünglichen Pläne –, inakzeptabel war. Natürlich wollten wir nicht die Ruine erhalten, es handelte sich ja nicht um eine archäologische Stätte wie Pompeji, die in ihrer Zerstörtheit bewahrt werden musste. Aber trotzdem wollten wir das noch vorhandene Originalmaterial nicht zerstören, da es unsere physische Verbindung zur Geschichte ist. Es ist keine Interpretation, es ist keine Projektion, es ist Realität: Das war unser Ausgangspunkt. Damit standen wir natürlich vor einer schwierigen Aufgabe. Wie stellt man ein vollständiges Gebäude wieder her – es war nicht unsere Absicht, die Beschädigungen zu verewigen – und beschützt trotzdem das restaurierte Originalmaterial? In der Architektur ist dies natürlich schwieriger als in der Archäologie oder in der Malerei, wo eine solche Verfahrensweise normal ist und nicht infrage gestellt wird. Die Idee, die originale Form wiederherzustellen und die Auswirkungen der Schäden weniger sichtbar zu machen, ist die konventionelle Art, Gemälde und archäologische Artefakte zu restaurieren.

Im Vergleich zum Berliner Schloss hatten Sie etwas einfachere Bedingungen, weil das Gebäude und seine Atmosphäre noch existierten, als Sie mit Ihrer Arbeit begannen. Außerdem erfüllt dieses Gebäude vorher und nachher die gleiche Aufgabe: Es war ein Museum und wird wieder ein Museum sein.

Ich war Mitglied der Jury für das Berliner Schloss, und es war wirklich eine schwierige Aufgabe. In der letzten Runde stellten die Architekten, auch der Architekt, der schließlich ausgewählt wurde, Projekte unterschiedlichster Qualität vor und fanden kompetente und professionelle Lösungen. Aber die ihnen gestellte Aufgabe war bereits durch die Heftigkeit der Diskussion erschwert worden, in die sich Medien, Politik und Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt bereits eingemischt hatten. Es ist sehr paradox, dass dieses außergewöhnliche Geschichtsinteresse in Deutschland und besonders in Berlin einerseits zu einer sehr interessanten und faszinierenden Diskussion und andererseits auch manchmal zu einer Stagnation führt. Beim Schloss handelt es sich um einen solchen Fall, bei dem die Umstände eine interessante architektonische Lösung sehr erschwert haben. Das ausgewählte Projekt zeigt wahrscheinlich, was unter diesen Umständen entstehen konnte. Mehrere Projekte haben unter solchen Bedingungen gelitten. Das ist vielleicht das Besondere an der deutschen und speziell an der Berliner Situation: Es gibt hier eine enorme Diskussionsbereitschaft. In England ist das ganz anders, dort wird über diese Themen nicht genug geredet, und hier wird vielleicht zu viel darüber geredet. Ich glaube, die große Chance des Neuen Museums liegt darin, dass, obwohl es große Diskussionen gegeben hat - mit dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Denkmalamt, den Kuratoren, den Vertretern des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung und anderen Experten -, diese große Gruppe von Leuten, die in den letzten zehn Jahren an diesem Prozess beteiligt waren, immer auf einem sehr hohen intellektuellen Niveau diskutiert hat, auch wenn die Meinungen teilweise stark auseinandergingen: Es war ein großes Vergnügen. Wenn die öffentliche Diskussion auch manchmal schwierig war, betrachte ich sie immer noch als einen positiven Umstand, weil sie dazu geführt hat, dass wir das Projekt immer wieder erklären mussten und an unsere Verantwortung erinnert wurden. Dieser Prozess war lange nicht so klaustrophobisch wie der, um den es beim Schloss geht. In vieler Hinsicht müssen wir froh sein, dass wir in der Lage waren, uns mit einer solch radikalen und klaren Idee im Rampenlicht der öffentlichen Meinung und Diskussion durchzusetzen.

Seit Sie angefangen haben, am Neuen Museum zu arbeiten, haben Sie einige andere Wettbewerbe für Museumsbauten weltweit gewonnen. Hat Ihre Arbeit am Neuen Museum Einfluss darauf, wie Sie mit anderen Museumsprojekten umgehen?

Die Arbeit am Neuen Museum, am neuen Eingangsgebäude und an der Galerie am Kupfergraben, die uns seit zehn Jahren beschäftigt, hat großen Einfluss auf unsere Art zu arbeiten und zu denken ausgeübt. Diese Arbeit hat einen enormen Teil unserer Leben eingenommen; mich hat sie sowohl beruflich als auch persönlich geprägt. Es ist nicht einfach festzustellen, wie weit dieser Einfluss reicht. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das nur auf das Bauen von Museen beschränkt. Das Neue Museum ist so besonders, dass es eigentlich nur wenig mit unseren anderen Erfahrungen zu tun hat. Trotzdem denke ich, dass die Erfahrung, die man macht, wenn man so lange an einem einzelnen Projekt arbeitet, einen sehr großen Einfluss hat und uns sehr bereichert. Das liegt daran, dass man so intensiv mit dem physischen Material arbeitet und geschichtliche Aspekte sichtbar macht, während man manchmal zwischen gegensätzlichen Anliegen - seien es nun Bedenken der Kuratoren oder Sorgen der Restauratoren - vermitteln muss.

Sie sind der letzte Architekt, der die Gelegenheit hat, im Herzen von Berlin – auf der Museumsinsel und in der direkten Nachbarschaft – drei Gebäude zu bauen. Karl Friedrich Schinkel baute das Alte Museum, Friedrich August Stüler das Neue Museum, Alfred Messel das Pergamonmuseum - jeder Architekt durfte ein Gebäude bauen. Sie haben das Neue Museum wieder aufgebaut, Sie werden das neue Eingangsgebäude zu den Museen der Museumsinsel bauen und haben bereits auf der anderen Spreeseite die Galerie am Kupfergraben fertiggestellt. Wie sehen Sie die städtebauliche Situation dieser Gegend?

Ich glaube, dass unser Ansatz bei all diesen Projekten immer konsistent gewesen ist: Wir interessieren uns dafür, bestimmte Qualitäten, die zerbrochen und bloßgelegt wurden, wieder zu gewinnen oder zu vervollständigen, aber gleichzeitig versuchen wir auch, einen offenen und in die Zukunft gerichteten Weg zu finden. Dabei muss die »Gebrochenheit« Berlins und der Museumsinsel angesprochen werden, da sie uns nicht einfach nur dazu veranlassen sollte, das wieder aufzubauen, was zerstört worden ist. Trotzdem ist es auch wichtig, zu überlegen, wie man ein Gefühl der Vollständigkeit wiederherstellen kann. Wir wollen eine Balance zwischen bereits Bestehendem, dem Wiederaufbau und der Erschaffung finden. Wenn also in drei Jahren das neue Eingangsgebäude fertiggestellt sein wird, hoffe ich, dass es gleichzeitig vertraut und doch ungewohnt ist; dass die drei neuen Gebäude eine Atmosphäre entstehen lassen, die einerseits harmonisch und in sich geschlossen ist, aber andererseits auch ein gewisses Unbehagen in sich birgt oder doch zumindest anregend wirkt, Bewusstsein schafft und Offenheit fordert: Die Tür sollte noch offen und nicht geschlossen sein.

Wird der pittoreske Charakter des Gebäudes beeinflussen, wie die ausgestellten Objekte wahrgenommen werden? Wie wird der Besucher auf den Unterschied zwischen Objekt und Gebäude reagieren? Es gibt so viele Zeitschichten – die Objekte, das Gebäude und die Sanierung stammen alle aus anderen Zeiten. Dies alles ins Gleichgewicht zu bringen, muss schwierig sein.

Das Gebäude hat dadurch, dass wir so intensiv daran gearbeitet und ihm so viel Bedeutung beigemessen haben – das sieht man, finde ich, auch in den Fotografien Friederike von Rauchs –, natürlich seine eigene Qualität entwickelt und besitzt jetzt fast die Präsenz eines Exponats. Natürlich muss es letztendlich seine Rolle als Hintergrund und nicht als Ausstellungsstück einnehmen. Wie sich diese beiden Aspekte miteinander verbinden lassen, werden wir wohl erst dann wissen, wenn die Objekte einziehen. Wir haben auch neue, sehr neutrale Räume geschaffen, in denen einige der wichtigsten Teile der Sammlung ausgestellt werden. Die Kuratoren der Sammlungen haben dabei berücksichtigt, dass manche Räume aufgrund ihrer originalen Ausstattung eine starke Präsenz haben, mit der man umgehen muss. In anderen Räumen ist die Integration einer Ausstellung leichter, und das haben wir bei der Anordnung der Sammlungen im Haus bedacht. Gemeinsam mit Michele De Lucchi und den Direktoren des Museums haben wir uns außerdem viel Mühe bei der Auswahl der Vitrinen gegeben. Alle Vitrinen haben Metallrahmen, die dem Objekt einen Kontext geben und eine Art Abgrenzung von Raum und Objekt erzeugen. Interessanterweise haben wir uns von Anfang an über die Beleuchtung und darüber, wo die Vitrinen aufgestellt werden, Gedanken gemacht. Das war nur möglich, weil die Kuratoren und Direktoren des Museums sich ebenfalls ganz intensiv diesem Projekt gewidmet und ihre Vorstellungen und Bedenken hinsichtlich der Präsentation der Objekte im fertigen Gebäude mit uns diskutiert haben.

Wie sehen Sie Ihr Konzept im Vergleich zu der historischen Idee, atmosphärische Räume zu schaffen?

Diese Frage ist unvermeidbar, wenn man am Neuen Museum arbeitet, weil sein Konzept eine sehr intensive Verbindung von Raum und Exponat war: Der Ägyptische Hof war beispielsweise im ägyptischen Stil dekoriert. Diese Idee ist heute nicht mehr aktuell. Für uns ist das eine unpassende Vermengung von Kunst und Architektur, um einen Kontext für die Objekte zu schaffen, der dann selbst zum Exponat und Teil der Vermittlung dieser enzyklopädischen Präsentation von Kultur wird. Damit fühlen wir uns heute nicht mehr wohl. Übrigens wurden die ersten weißen Ausstellungsräume interessanterweise ausgerechnet in diesem Gebäude erfunden. Das Haus – vor allem der Ägyptische Hof und der Moderne Saal - war so überladen, dass man, als die Amarnafunde in den 1920er-Jahren ins Museum kamen, einige Räume weiß strich. Es gibt im Museum also eine recht eigenwillige Entwicklung von Raum als Kontext hin zu Raum als neutrale Präsenz. Das ist hier im Museum schon einmal geprobt worden, und jetzt wiederholen wir dieses Thema, indem wir versuchen, mit einem Gebäude umzugehen, das aus dieser Tradition der Kontextualisierung kommt, während wir heute vor solchen Konzepten zurückscheuen.

Mir gefällt das, weil die Idee des White Cube als dem perfekten Museumsraum, wie man ihn sich im 20. Jahrhundert ausgedacht hat, langsam alle langweilt. Die Leute wollen ins Museum gehen, um Originale zu sehen. Und wenn sie dann auch noch wie hier die originale Architektur sehen können, werden sie mehrere Schichten wahrnehmen, und das Gebäude selbst wird zum Ausstellungsstück. Deshalb ist es wichtig, den historischen Rahmen des Gebäudes und seine Ausstattung zu bewahren.

Es ist richtig, dass uns die Präsentation von Exponaten in einem neutralen Raum immer noch leichter fällt. Bei Malerei und besonders bei zeitgenössischer Malerei würden wir eher Abstand davon nehmen, durch die Architektur einen Kontext zu schaffen. Die Idee eines neutralen Raums als Reaktion auf die übertriebene Kontextualisierung und Ausstattung von Räumen hat dazu geführt, dass sehr künstliche und sterile Orte entstanden sind. Heute denken viele Museen, auch wenn sie nicht zum Stil des 19. Jahrhunderts zurückkehren und thematisch motivierte und überbordend dekorierte Räume schaffen werden, wieder darüber nach, wie man zu einer Architektur gelangt, deren Präsenz stark genug ist, die aber gleichzeitig auch nicht Gefahr läuft, die Objekte vollständig zu dominieren. Für mich ist die Beziehung zwischen der Präsenz des gebauten Raums und den ausgestellten Objekten ein sehr wichtiges Thema von Architektur und Museumsdesign. Natürlich hängt das von der Art der Exponate ab: Bei der Ausstellung von ethnologischen oder archäologischen Artefakten ergeben sich ganz andere Probleme als bei Kunst. Es ist viel üblicher anthropologische Exponate mit mehr Didaktik und stärkerer Kontextualisierung auszustellen als ein reines Kunstwerk, das keiner Erklärung seines historischen oder geografischen Kontextes bedarf.

veröffentlicht am 13.2.2009
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Veröffentlicht am: 13.02.2009