POSTMODERNE

»Ich verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtungen; ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen.« ⸺ Gerhard Richter, 1993

Sie ist als Gegenbewegung zu der zunehmend als steril und totalitär empfundenen Moderne anzusehen: Die Postmoderne, eine geistig-kulturelle Bewegung, deren Anfänge in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegen. 

Geschichte und Definition des Begriffs »Postmoderne«

Die Begriffe »Postmoderne« oder »postmodern« wurden bereits Ende des 19. und dann verstärkt Anfang des 20. Jahrhunderts gebraucht, erst in den fünfziger Jahren allerdings im Sinne ihrer heutigen Bedeutung. Zwei Autoren haben Ende der siebziger Jahre vorrangig dazu beigetragen, den Begriff als feste Größe zu etablieren: Jean-François Lyotard mit seinem Werk La Condition postmoderne (Das postmoderne Wissen, 1979) und Charles Jencks mit dem 1975 erschienenen Aufsatz The Rise of Postmodern Architecture. Mit der Einführung des Epochenbegriffs »Postmoderne« wird die Moderne erstmals als abgeschlossene historische Epoche (wie zuvor etwa die Antike oder das Mittelalter) definiert. Als Stilbegriff hat sich »postmodern« vor allem in der Architektur durchgesetzt.

Grundlagen der Postmoderne und die Abgrenzung zur Moderne

Lyotard und andere Theoretiker*innen beschreiben die geistigen Grundlagen der Moderne als unerschütterlichen Glauben an ein stetiges Fortschreiten der immer detaillierteren Erfassbarkeit der Welt und die allmähliche Annäherung an eine vollkommene Erkenntnis. Die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts haben den Absolutheitsanspruch solcher Modelle dauerhaft in Verruf gebracht. Hier liegen die Gründe für das Bedürfnis, Postmoderne als bewussten Bruch mit der Moderne zu definieren. Die Postmoderne lehnt nicht nur den Fortschrittsglauben der Moderne, sondern auch die Existenz einer begreifbaren objektiven Realität ab. Postmoderne Theorie und Ästhetik setzen voraus, dass alle Erkenntnis, alle Wahrnehmung und jeder Bereich des Bewusstseins und Daseins der Relativität unterliegen. Ein Schlüsselbegriff der Postmoderne ist »Pluralität«. Als kleinster gemeinsamer Nenner postmoderner Theorie und Ästhetik ließen sich also die Akzeptanz der Vielfalt und die Absage an das Innovationsstreben der Moderne nennen.

Postmoderne Ästhetik und Stilmerkmale

Der Wunsch der Moderne, ständig etwas Neues zu schaffen, und die dazu verwendeten künstlerischen Mittel gelten der Postmoderne als automatisiert, etabliert und überholt. Der Grundsatz, dass nichts Neues zu schaffen sei, macht die Anwendung von Zitaten zu einem wesentlichen Stilmerkmal postmoderner Kunst.

Die Forderung nach Offenheit des Kunstbegriffs und des einzelnen Kunstwerkes eröffnet einerseits nahezu unbegrenzte Möglichkeiten: Die Postmoderne erschließt sich durch die Überschreitung von Gattungsgrenzen eine Vielfalt neuer Ausdrucksformen. Eine häufig angewandte Technik der Postmoderne ist die Collage. Dieser Anfang des 20. Jahrhunderts für dadaistische Klebebilder geprägte Begriff wird in der Postmoderne viel weiter gefasst. Er schließt etwa raumgreifende Installationen, filmische Techniken oder musikalische Kompositionsverfahren ein.

Autoren wie Umberto Eco (Der Name der Rose), Architekten wie Friedensreich Hunderwasser (Hundertwasserhaus, Wien) und Künstler wie Keith Haring versuchen mit ihren Werken den Graben zwischen elitärem Kunstverständnis und Massenkultur zu überwinden – auch dies ist ein wesentlicher Aspekt postmoderner Ästhetik.

Viele Werke der Postmoderne, besonders auch im Bereich der darstellenden Kunst, möchten nicht als vollendetes Ergebnis, sondern als Versuchsanordnung verstanden werden. Präsentiert wird Fragmentarisches (Literatur: Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe) oder ein »Work in Progress« (Tanztheater: William Forsythe, The Scott Work) in verschiedenen Stadien seiner Entwicklung. Typisch postmodern ist auch die Konzeption von Trilogien oder Serien. Die einzelnen Teile solcher Serien sind in der Regel in sich abgeschlossene Werke, die allein, zusammen oder in beliebiger Kombination wahrgenommen werden können (Film: Krzysztof Kieslowski, Drei Farben: Blau, Weiß, Rot).

Vielfach macht sich der Einfluss des Dekonstruktivismus bemerkbar. Der Begriff geht zurück auf den französischen Philosophen Jacques Derrida. Für den Dekonstruktivismus gibt es keine Einheit von Wort und Sinn, und es ist daher nicht möglich, die Bedeutung eines Textes fest zu fixieren. In der postmodernen Kunst wird dies ausgedehnt auf die Bedeutung von Zeichen und Codes, die wir mit unseren Wahrnehmungsgewohnheiten an bestimmte Sinnzusammenhänge knüpfen. Sie verlieren diesen Bezug (Film: Peter Greenaway, Der Kontrakt des Zeichners) oder sie sind - wie die Suchmaschinen im Internet – Verweise, von denen wieder unzählige weitere Verweise ausgehen (Film: Matthew Barney, The CREMASTER Cycle).

Literatur und Film der Postmoderne

Kennzeichen postmoderner Literatur sind unter anderem ein reflexiver Umgang mit Vorhandenem in Form von Zitaten und Anspielungen und das Spiel mit literarischen Gattungen. Charakteristisch ist zudem die Konstruktion zahlreicher, vielfach gebrochener Handlungsebenen und Bezüge.

Der wohl bekannteste postmoderne Roman ist Umberto Ecos Der Name der Rose. Eco gelang es, mit einem hochkomplexen literarischen Gebilde im Gewand eines Kriminalromans tatsächlich den Graben zwischen so genannter Hoch- und Massenkultur zu überwinden. Die zahlreichen historischen, literarischen und kunsthistorischen Zitate und Bezüge machen das Buch zu einem Bildungsroman oder gar zum literarischen Quiz. Aber auch wer sich dafür nicht interessiert, kann Ecos Werk als spannenden Krimi genießen. In ähnliche Weise verband Peter Greenaway 1982 in seinem Film Der Kontrakt des Zeichners das Genre Historienfilm mit dem Thriller, doch anders als Eco löst er das Rätsel nicht auf. Zwar liefert die Handlung zahlreiche klassische Indizien, doch führen diese ausnahmslos ins Leere.

Für den Dekonstruktivismus ist der Text nicht die Schöpfung eines genialen Subjekts, sondern ein Kreuzungspunkt, an dem sich eine Vielfalt von Texten und Textbezügen überlagert. In letzter Konsequenz verfasst eine Maschine den Text, wie etwa der Landsberger Poesieautomat von Hans Magnus Enzensberger (Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall).

Architektur

Mitte der siebziger Jahre führte Charles Jencks den Begriff »Postmoderne« in die Architekturdiskussion ein. Auf diesem Weg erreichte die Postmoderne-Diskussion erstmals die breite Öffentlichkeit.

Die Stilprinzipien postmoderner Architektur hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits klar herausgebildet. Gefordert wurde eine demokratische, kommunikative Architektursprache, deren Ästhetik sich nicht allein an der Funktion, sondern auch an Bedeutungsinhalten orientieren sollte. Plädiert wurde auch für die Einbeziehung fiktionaler Elemente, wie sie beispielsweise die Gotik kannte, die in der Kathedrale ein Abbild des himmlischen Jerusalem sah.

Gleichzeitig verstärkte sich die Tendenz zur Erhaltung und Umgestaltung historischer Gebäude. Prominentestes Beispiel war der Gare d'Orsay in Paris, der 1986 als Musée d'Orsay eröffnet wurde. Solche historischen Bauten beeinflussten die Sprache der postmodernen Architektur, die von Anfang an stark von Zitaten bestimmt wurde. Um einen neuen Historismus zu vermeiden, galt die Devise, dass der Eklektizismus – der sich beispielsweise in der Verwendung von Säulen, Erkern und Sprossenfenstern ausdrückte - ironisch gebrochen werden sollte.

Das Spektrum postmoderner Architektur entfaltete sich besonders im Museumsbau der achtziger und neunziger Jahre. Neben Hans Holleins Museum Abteiberg (Mönchengladbach) gilt James Stirlings Staatsgalerie (Stuttgart) als ebenso gelungenes wie charakteristisches Produkt der Postmoderne. In Stirlings Entwurf verschmelzen zahlreiche Anspielungen auf historische Architektur - von Ägypten bis zur Klassischen Moderne - mit den Farben der Popkultur und den regionaltypischen Materialien Sandstein und Travertin zu einer stimmigen, zeitgemäßen Form.

In jüngster Zeit tritt beim Thema Museumsbau der Erlebnischarakter gegenüber dem Bildungsanspruch immer mehr in den Vordergrund. Statt meditativer Kunstbetrachtung sind Inszenierungen gefragt, auch die Architektur selbst wird mit überraschenden Ausblicken und theatralischen Effekten inszeniert. Immer häufiger finden die ersten Publikumsbesichtigungen statt, noch bevor die Bilder hängen, damit die Architektur erlebt werden kann.

Dekonstruktivistische Tendenzen sind im Zuge dieser Entwicklung auf dem Vormarsch. Obwohl der Dekonstruktivismus sich häufig als Anti-Architektur definiert, teilweise sogar das Verschwinden der Architektur propagiert, macht die skulpturale Qualität der Gebäude von Architekt*innen wie Zaha Hadid (Feuerwehrhaus, Weil am Rhein), Daniel Libeskind (Jüdisches Museum, Berlin) und Frank O. Gehry (Guggenheim Museum, Bilbao) das Museum selbst zum Schaustück.

Bildende Kunst

Die Anwendung des Begriffs »Postmoderne« wird gerade im Bereich der bildenden Kunst angesichts des breiten Spektrums der Ausdrucksformen von vielen Theoretiker*innen und Künstler*innen abgelehnt. Die Absage an den Innovationsglauben der Moderne gehört aber auch in der bildenden Kunst zu den Grundlagen postmoderner Ästhetik. Die Postmoderne knüpft an kunsthistorische Kategorien an, die von der Moderne abgelehnt wurden, wie etwa narrative und mythologische Strukturen. Das beginnt bereits mit Andy Warhols Darstellungen der Ikonen des 20. Jahrhunderts, von Elvis bis Jackie O. Den Bruch mit der Moderne markiert die Pop Art in den fünfziger Jahren auch dadurch, dass sie sich von der Abstraktion verabschiedet. In den siebziger Jahren betont die bildende Kunst, ähnlich wie die Architektur der Epoche, die Bedeutung sinnlicher, emotionaler und traditioneller Aspekte gegenüber der Theorie und dem Konzept. In den achtziger Jahren brachen die Neuen Wilden (u. a. Georg Baselitz, Markus Lüpertz) mit ihrer expressiven, gegenständlichen Malerei die Vorherrschaft der minimalistischen und konzeptuell arbeitenden Avantgarde. Ähnliche Tendenzen gab es auch in den USA und in Italien. Nachdem sich der Wirbel um die Neuen Wilden gelegt hatte, setzten sich Tendenzen durch, bei denen die Reflexion des Mediums Malerei und das sinnliche Experimentieren mit malerischen Mitteln im Zentrum stehen (Sigmar Polke, Anselm Kiefer, Gerhard Richter).

Charakteristisch für die Epoche sind zwei Künstler, deren Werk die Ästhetik der Sub- und Massenkultur einbezieht: Keith Haring und Jeff Koons. Haring gelang es, Elemente der Graffitikunst, des Comics, der Computer-Zeichensprache, der Kinderzeichnung und der frühgeschichtlichem Malerei zu einer in vielen Kulturen verständlichen, sehr poetischen Zeichensprache zu verbinden. Jeff Koons machte Anfang der neunziger Jahre mit der provozierenden Banalität seiner Sujets von sich reden. Das von ihm verwendete Material ist oft hochwertig, zitiert aber in seiner Oberflächengestaltung die Welt des Nippes und des Kitsch, wie etwa die lebensgroße, teilweise vergoldete Porzellanfigur von Michael Jackson mit seinem Schimpansen Bubbles.

Die Forderung der postmodernen Ästhetik nach Pluralismus, Subjektivität, Abkehr von der Abstraktion, Einbeziehung der Massenmedien, Verwischung von Gattungsgrenzen und Akzeptanz des Zitats als künstlerischem Mittel hat Farbe und Bewegung in die Kunst- und Museumslandschaft gebracht. Als bleibendes Ergebnis postmoderner Tendenzen darf wohl die endgültige Anerkennung der Fotografie und des Films als Medium der Kunst gelten. Vorläufiger Höhepunkt: Das Kölner Museum Ludwig zeigt im Sommer 2002 die fünf Filme des gerade vollendeten CREMASTER Cycle von Matthew Barney im Rahmen einer großen Ausstellung.

veröffentlicht am 18.2.2003 – Andrea Gern
Bild: Wang Guangyi, »Great Castigation Series: Coca Cola«, 1991–1994, Detail Privatsammlung

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