PRIVATE SAMMLUNGEN

»Sammeln ist eine Leidenschaft, man kommt davon nicht mehr los.« ⸺ Frieder Burda

Ob alte Meister oder Zeitgenossen – die Kunst boomt. Im Jahr 2013 wurden über 110 Millionen Besucher*innen allein an deutschen Museen gezählt, eine Zahl, die auch ein Schlaglicht auf die Bedeutung der rund 660 Kunstmuseen wirft. Der Kunstmarkt erklimmt immer neue Höhen, bei Auktionen werden oft spektakuläre Höchstpreise erzielt. Häufig werden dabei die begehrtesten zeitgenössischen Werke – in Zeiten knapper Kassen bei staatlichen wie städtischen Museen – von Privatsammler*innen ersteigert. So sind in privaten Räumen oft große Kunstschätze verborgen.

Es ist ein internationales Phänomen: Immer mehr Kunstbegeisterte bauen sich eigene, oft gegenwartsbezogene Sammlungen auf. Nicht nur mit höheren finanziellen Mitteln ausgestattet, sondern auch frei von institutionellen Zwängen schaffen sie hochkarätigen Kunstbesitz, den sie seit knapp drei Jahrzehnten zunehmend mit der Öffentlichkeit teilen. Im Unterschied zum »traditionellen Privatsammler« (Walter Grasskamp), der ausschließlich zu seinem privaten Vergnügen sammelt, gründet der »öffentliche Privatsammler« frei zugängliche Kunstorte. Wie die Kollektionen selbst sind auch die oft einzigartigen Ausstellungshäuser für die Sammlungen nicht aus öffentlichen Mitteln, sondern ausschließlich mit privatem Geldbesitz finanziert.

In früheren Zeiten übergaben die privaten Sammler*innen ihre Kollektionen – als Leihgabe, Schenkung oder in einer Public-Private-Partnership – an öffentliche Museen. Private Sammlungen bilden so auch heute noch den Grundstock vieler bedeutender Museen. In den USA etwa gehen herausragende Museen wie die Frick Collection in New York oder die National Gallery in Washington auf Sammlermillionäre des frühen 20. Jahrhunderts zurück.
Mäzenatische Übereignungen dieser Art sind jedoch selten geworden. Auch international machen private Sammlerinnen und Sammler ihre Kollektionen nun in eigenen Räumen oder Museen öffentlich, wie beispielsweise die prominenten Beispiele von François Pinault in Frankreich, Charles Saatchi in Großbritannien oder Viktor Pinchuk in der Ukraine belegen.

Nach ersten Anfängen des privaten Sammelns in der Renaissance – an erster Stelle sei die Familie der Medici genannt – markiert insbesondere das frühe 20. Jahrhundert den Beginn einer ausgeprägten Sammeltätigkeit von Privatpersonen. Der erste deutsche Sammler, der mit dem Wunsch, Kunst und Bildung zu vermitteln, ein privates Museum eröffnete, war Karl Ernst Osthaus, der Begründer des Museums Folkwang in Hagen. Ihm folgten, um nur einzelne herausragende Vertreter*innen vorzustellen: Josef Haubrich, dessen Kunstsammlung den Grundstock für das Museum Ludwig in Köln legte, Margot und Bernhard Sprengel, deren Kunstschätze Ursprung und Kern des Sprengel Museums in Hannover sind, oder Eske und Henri Nannen, die sich als Stifter und Gründer der Kunsthalle Emden ein Denkmal setzten. Hervorzuheben sind international die privaten Museumsgründungen von Knud W. Jensen, der das Louisiana Museum of Modern Art in der Nähe von Kopenhagen eröffnete, oder das Sammlerpaar Marguerite und Aimé Maeght, die bei Saint-Paul-de-Vence für ihre Sammlung ein kleines Kunstparadies errichteten.

Die Hochzeit des privaten Sammelns, die mit der Gründung öffentlich zugänglicher Ausstellungsräume einhergeht, setzte im deutschsprachigen Raum in den 1990er-Jahren ein: Seit 1991 teilt der Unternehmer Reinhold Würth seine Leidenschaft für die Kunst mit der Öffentlichkeit; rund 16 000 Werke, darunter Attraktionen wie die sogenannte Schutzmantelmadonna von Hans Holbein dem Jüngeren, werden dem geneigten Publikum in Künzelsau und Schwäbisch Hall gezeigt. Sehr positiven Zuspruch des Publikums erhielten seither auch die Gründungen öffentlicher Kunsträume von Ingvild Goetz in München (1993), der Sammlerfamilie Grässlin in St. Georgen, (1995), der Daimler Kunst Sammlung in Berlin (1999), von Frieder Burda in Baden-Baden (2004), von Siegfried Weishaupt in Ulm (2007), von Josef Froehlich in Leinfelden-Echterdingen (2009) oder von Peter Schaufler in Sindelfingen (2010). Die genannten Sammlungen verdeutlichen zudem die einzigartige Sammlerkultur in Baden-Württemberg und dessen einmalige Dichte qualitätvoller privater Sammlungen.

Neben diesen öffentlich zugänglichen Privatmuseen haben sich auch halböffentliche Varianten etabliert: Sammlerinnen und Sammler wie Christian Boros oder Erika Hoffmann in Berlin sowie Julia Stoschek in Düsseldorf leben mit ihrer Kunst und stellen ihre Sammlungen auch in diesem privaten Umfeld aus. Kleinere private Kunstinitiativen entwickeln den Museumsbegriff weiter, indem Sammler wie Thomas Ulbricht oder Arthur de Ganay in Berlin ihren Kunstbesitz in privaten »Showrooms« präsentieren: »Kammerkonzert statt Stadionauftritt« (Wilhelm Schürmann).

Gerade in Zeiten finanzieller Engpässe werden die Ausstellungshäuser privater Sammler*innen so zu den Orten der zeitgenössischen Kunstrezeption. Die ungeheure Präsenz und der weitreichende Einfluss lassen jedoch nicht nur positive Stimmen laut werden. Die Kunstkritik nimmt Anstoß an der »Apotheose der privaten Sammler« (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und deren »kunstpolitischer Macht«. Aller Mutmaßungen über das Streben der Privatsammler*innen nach gesellschaftlichem Renommee und pekuniärem Erfolg zum Trotz: Nutznießer des breiteren Kunstangebots ist das kunstinteressierte Publikum, das nicht nach öffentlicher oder privater Einrichtung, sondern ausschließlich nach Vielfalt und Qualität fragt.

Sind die Triebkräfte für das private Sammeln und Ausstellen tatsächlich der Wunsch nach Prestige und Besitz? Welche Motive nennen die Kunstsammler*innen selbst? Befragt man sie, so ergibt sich eine große Vielfalt subjektiv geprägter Sammelmotive und -strategien. Neben der eigenen Leidenschaft und Neugier für die Kunst nennen viele Sammler*innen beispielsweise die Vermittlung von Wissen und Freude an der Kunst als Antrieb: »Wir möchten […] ein lebendiges Forum der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst schaffen«, formulierten Bärbel und Sabine Grässlin sowie Karola Kraus, die ihre Sammlung in St. Georgen in rund 20 externen Räumen für die Kunst präsentieren. Auch Alison und Peter W. Klein, die ihre Kollektion seit 2007 in Eberdingen-Nussdorf ausstellen, möchten ihre »Begeisterung für Kunst mit anderen Menschen teilen. Deswegen haben wir das KUNSTWERK gebaut.«
Auch das kulturelle Engagement, gepaart mit einer unternehmerischen und gesellschaftlichen Verantwortung, spielt eine Rolle: »Ich finde es wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Ich habe Glück gehabt im Leben. Zweck meiner Stiftung ist die Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft«, äußerte der Sammler Frieder Burda, dessen Museum in Baden-Baden sich seit 2004 zum Publikumsmagneten entwickelt hat. Den Aspekt der Unterstützung von Künstlerinnen und Künstlern hebt auch Renate Wiehager hervor, denn die für die Daimler Kunst Sammlung angekauften Werke werden weltweit in Ausstellungen gezeigt und in Katalogen publiziert. Auch Christian Boros, dessen Privatsammlung zeitgenössischer Kunst seit 2008 in einem umgebauten Bunker in Berlin zu besichtigen ist, liegt dieser Aspekt am Herzen: »Künstler haben ihre Werke nicht dafür gemacht, dass sie in Kisten schlummern.« Den Wunsch, »ein Lebenswerk zu hinterlassen, das bleibt«, spricht zudem Frieder Burda an – und benennt dabei auch den Maßstab jeder guten Kunst: den Augenblick überdauern zu können.

So sehr der Wunsch von Privatsammler*innen, das Gesammelte mit der Öffentlichkeit zu teilen, auch zunimmt: Es gibt auch jene passionierten Sammler*innen, die ihre Erwerbungen still in ihren Privaträumen hüten. Doch trotz des privaten Ankaufs gibt es eine Verantwortung gegenüber dem Kunstwerk, den Künstler*innen, der Allgemeinheit. Denn würde das Beispiel des japanischen Sammlers Ryōei Saitō Schule machen, wäre dies ein großer Verlust für alle Kunstinteressierten: Er erwarb bei einer Auktion Vincent van Goghs berühmtes Porträt des Dr. Gachet für spektakuläre 82,5 Millionen Dollar und verfügte, es solle nach seinem Tod mit ihm eingeäschert werden. 1996 verstarb der Sammler, seither wurde das Kunstwerk nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen.

Glücklicherweise sind einzelgängerische Rückzugswünsche wie diese rar. Inzwischen entstehen mehr und mehr exklusive Sammlerklubs wie der Young Collectors Circle in München, der Art Banking Club in Zürich, La peau de l’ours in Paris oder Outset in London, die Kunstsammler*innen zusammenführen. Die Klubs bieten ihren (oft fein selektierten) Mitgliedern eine Basis, um Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen, veranstalten Messe-Previews und Kunstreisen, organisieren Atelierbesuche bei Künstler*innen, laden zu Vorträgen ein. Daneben »wollen wir als Gemeinschaft dem falschen Bild vom Kunstsammler entgegenwirken, das in letzter Zeit durch die Spekulationsvorwürfe entstanden ist«, fasst Kuno Fischer, der Präsident des Young Collectors Club, die Beweggründe für die Gründung der Vereinigung zusammen.
Die größte Gemeinschaft bilden die Sammler*innen der Internetcommunity Independent Collectors, die ihre Sammlungen – »von Kunstbegeisterten für Kunstbegeisterte« – auch online präsentieren. Der BMW Art Guide, den die Independent Collectors bereits in dritter Auflage herausgeben, präsentiert zudem nahezu 250 internationale Privatsammlungen in Buchform – eine Fundgrube für alle Neugierigen und Kunstliebhaber. Gerne mag man sich so den Worten Max J. Friedländers anschließen: »Kunstbesitz ist so ziemlich die einzig anständige und von gutem Geschmack erlaubte Art, Reichtum zu präsentieren.«

veröffentlicht am 6.8.2015 – Stefanie Gommel
Museum Frieder Burda in Baden-Baden; Foto: Museum Frieder Burda, Baden-Baden
Veröffentlicht am: 12.01.2010