HANNAH RYGGEN

Hannah Ryggen (*1894 in Malmö, Schweden, †1970 in Trondheim, Norwegen), ursprünglich als Malerin ausgebildet, entdeckte früh gewebte Wandbilder als künstlerische Ausdrucksform für ihr soziales und politisches Engagement. Zu ihren wichtigsten Ausstellungen zu Lebzeiten gehören die Einzelausstellung im Moderna Museet, Stockholm (1962), und ihre Teilnahme an der Biennale Venedig (1964).

 

Kunst gegen Krieg und Unterdrückung

»Ich bin eine Malerin, keine Weberin; eine Malerin, deren Werkzeug nicht der Pinsel ist, sondern der Webstuhl.« ⸺ Hannah Ryggen

Als im Jahre 1937 auf der Pariser Weltausstellung Picassos Guernica zum ersten Mal der internationalen Öffentlichkeit gezeigt wurde, hing sein berühmtes Gemälde in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hannah Ryggens Wandteppich Etiopia. Picasso setzte mit seinem Protestbild dem deutsch-italienischen Luftangriff auf die baskische Stadt 1937 auf einer monumentalen Leinwand ein Denkmal. Ryggens Werk ist ein bildnerischer Aufschrei über Benito Mussolinis grausamen Feldzug gegen das afrikanische Kaiserreich im Oktober 1935. Während Picasso das Wandgemälde im Auftrag der republikanischen Regierung Spaniens schuf, entstand Ryggens Wandteppich aus einem zutiefst persönlichen Bedürfnis, auf die Invasion zu reagieren – so Marta Kuzma in ihrem Notizbuch zu der dOCUMENTA (13)-Künstlerin. 

Etiopia ist die erste Arbeit innerhalb einer Reihe von Werken, in denen sich das soziale und politische Engagement Hannah Ryggens widerspiegelt. Mit ihren Webteppichen kommentierte sie den in der Zwischenkriegszeit heraufziehenden Faschismus und Nationalsozialismus ebenso wie die Politik Norwegens in der Nachkriegszeit und schuf dabei in über 50 Jahren ein eindrucksvolles Kompendium engagierter Kunst. 1936 etwa entstand das Werk Hitlerteppet (Der Hitlerteppich), das neben den Gräueltaten des NS-Regimes auch die Verstrickungen der Kirche in den Nationalsozialismus anprangerte. Im gleichen Jahr folgte Drømmedød (Tod der Träume): Die Künstlerin lenkte in dieser Arbeit den Blick auf die Inhaftierung des deutschen Journalisten und Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky durch die Nazis und kritisierte dabei die Komplizenschaft des norwegischen Schriftstellers Knut Hamsun, der die Verurteilung Ossietzkys in einer Stellungnahme unterstützt hatte. 1956 fertigte Ryggen einen Teppich mit dem Titel Jul Kvale, mit dem sie den in der Kommunistischen Partei Norwegens engagierten Arbeiter unterstützte, der sich vehement gegen den Beitritt seines Landes zur NATO aussprach.

Aus ihrer norwegischen Heimat ist eine besondere Form des Widerstands von Hannah Ryggen überliefert: Während der Besatzung des Landes durch die Deutschen – in Ørland waren im Zweiten Weltkrieg bis zu 7.000 deutsche Soldaten stationiert – hängte die Künstlerin ihre kritischen Bildteppiche auf einer Wäscheleine gut sichtbar neben ihrem Haus auf. 1924 war Ryggen mit ihrem Ehemann auf einen kleinen Bauernhof in Ørland gezogen, »das Abenteuer unseres Lebens«, wie die Künstlerin selbst schrieb. Zuvor erhielt sie nach ihrer Tätigkeit als Lehrerin eine fundierte akademische Malausbildung, und zusammen mit ihrem Mann, dem Maler Hans Ryggen, verfolgte sie trotz ihres Lebens in ländlicher Zurückgezogenheit aufmerksam die Entwicklungen der künstlerischen Avantgarde Europas. Darüber hinaus engagierte sich die Künstlerin – Pazifistin und bekennende Leserin politischer Schriften – in den 1930er-Jahren in der Kommunistischen Partei Norwegens und setzte sich früh für die Ideen des Feminismus ein. 

Bald nach ihrer Malausbildung verspürte die Künstlerin den »dringenden Wunsch, etwas mit den Händen zu machen« und wandte sich autodidaktisch der Weberei zu. Das Weben verfolgte Ryggen mit der Ernsthaftigkeit einer Künstlerin: »Ich bin eine Malerin, keine Weberin; eine Malerin, deren Werkzeug nicht der Pinsel ist, sondern der Webstuhl.«

Das Moderna Museet in Stockholm richtete Hannah Ryggen 1962 eine Einzelausstellung aus – mit großem Erfolg in Fach- wie in Publikumskreisen. Nur zwei Jahre später vertrat die Künstlerin Norwegen auf der Biennale Venedig. Dennoch blieb ihr Werk einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt, und selbst in der norwegischen Kunstgeschichte wurde ihr im Kanon der Moderne bislang kein fester Platz eingeräumt. Zunehmend erfahren jedoch die expressiven Werke von Hannah Ryggen, die sie aus handgesponnener und pflanzengefärbter Wolle und ohne Vorskizzen direkt am Webstuhl anfertigte, große Aufmerksamkeit in der zeitgenössischen Kunstwelt. 2011 würdigten gleich zwei Ausstellungen in Oslo ihr Schaffen, 2012 ist eine Auswahl ihrer beeindruckenden gewebten Kunstwerke auf der dOCUMENTA (13) in Kassel zu entdecken.

veröffentlicht am 8.6.2012 –Stefanie Gommel/div>
Veröffentlicht am: 08.06.2012