INTERVIEW MIT KEMANG WA LEHULERE

Kemang Wa Lehulere ist einer der bedeutendsten Vertreter der jungen Generation südafrikanischer Künstler*innen. Sein Werk reflektiert, wie Spuren von Rassismus und Ungerechtigkeit bis heute oftmals verwischt werden. 2017 präsentiert die Deutsche Bank KunstHalle Kemang Wa Lehulere als Deutsche Bank’s »Artist of the Year« und ermöglicht ihm seine erste umfangreiche institutionelle Einzelausstellung in Europa, über die er hier mit Britta Färber spricht.

Kemang, deine Ausstellung Bird Song in der Deutsche Bank Kunst-Halle ist vom Werk und Leben von Gladys Mgudlandlu inspiriert. Die südafrikanische Künstlerin war für Jahrzehnte weitestgehend vergessen, wird aber auch durch deinen persönlichen Einsatz gerade wiederentdeckt. Gladys wurde 1917 geboren und starb 1979 in Gugulethu, dem Stadtteil von Kapstadt, wo du ebenfalls aufgewachsen bist. Ihre Großmutter, bei der sie groß wurde, brachte ihr bereits die Technik der Wandmalerei bei, als sie noch ein junges Mädchen war. Gladys wurde jedoch zunächst Lehrerin an einer Schule, und es sollte Jahre dauern, bis sie sich ernsthaft auf die Malerei konzentrierte. Mit über vierzig Jahren hatte sie 1961 ihre erste Ausstellung in einer Galerie. Als Autodidaktin war sie eine der ersten schwarzen Künstlerinnen in Südafrika, deren Werk in einer Einzelausstellung zu sehen war. Es gibt da aber auch eine ganz unmittelbare Verbindung zwischen dir und Mgudlandlus Haus in Gugulethu.

Ja, das stimmt. Vor zwei Jahren entdeckte ich in ihrem früheren Haus den Teil einer Wandmalerei, die sie, vermutlich in den 1960er-Jahren, angefertigt hatte. Als ich 2014 meine Tante in Gugulethu besuchte, kam einer der Nachbarn mit Nomfanekiso, Who Paints at Night, Elza Miles Buch über Gladys Mgudlandlu, vorbei. Meine Tante warf einen Blick auf das Buch und sagte, sie hätte die Künstlerin als Kind gekannt. Für mich war das eine Riesenüberraschung. Sie erzählte mir, wie sie ihr als kleines Mädchen begegnet war. Eine ihrer Freundinnen machte Besorgungen für Gladys und hatte meiner Tante natürlich das Haus und die Wandbilder ausführlich geschildert und sie schon neugierig gemacht. Meine Tante erinnerte sich, dass sie dachte Gladys sei verrückt, als sie das erste Mal ihr Haus betrat.

Das muss ein Erlebnis für sie gewesen sein, als kleines Mädchen in das Haus einer Künstlerin zu kommen.

Viele Menschen machten sich über Gladys Mgudlandlu lustig, weil Künstler in einer schwarzen Township etwas absolut Seltenes waren. Schwarze hatten damals keinerlei künstlerische Bildung, ganz einfach, weil das in der Schule nicht auf dem Lehrplan stand. Einer der südafrikanischen Präsidenten äußerte einmal, es sei nicht notwendig, Schwarzen etwas beizubringen, was sie in ihrem Leben niemals brauchen würden. Es gab keine umfassende Bildung, es wurde gar nicht erst versucht, die Weltsicht zu erweitern, die Menschen mit Philosophie in Berührung zu bringen, oder sie zum Beispiel an Mathematik heranzuführen. Das Erziehungssystem war ausschließlich darauf ausgerichtet, Schwarze darauf vorzubereiten, als Dienstpersonal für Weiße zu arbeiten. Als meine Tante die Wandbilder sah, war das für sie etwas ganz Außergewöhnliches.

Gladys Mgudlandlu wurde »Bird Lady« genannt.

Ich denke, das liegt vor allem daran, dass sie so viele Vögel malte. Aber sie ist natürlich auch für ihre Landschaften bekannt. Im Hinblick auf die Sujets ist ihr Werk ziemlich umstritten. Viele Kritiker behaupteten, die Auswahl ihrer Motive sei von den Weißen aus ihrem Umfeld, wie beispielsweise ihrem Galeristen, beeinflusst worden. Für mich hat ihre Bildwelt mit den Vögeln und Landschaften etwas sehr Spannendes.

Was fasziniert dich denn an ihren Vogelbildern? Du hast gerade einige ihrer Zeichnungen erworben.

Die Art und Weise, wie sie einen zeichnerischen Raum erschaffen, ist unglaublich, aber auch die Tatsache, dass man nie wirklich sicher sein kann, was da tatsächlich zu sehen ist. In ihrer Machart wirken sie wie angeschnittene Bilder. Ich weiß nicht wirklich, warum ich mich von diesen Vögeln angesprochen fühle. Aber sie sind sicher etwas, worüber ich in meinem Atelier schon intensiv nachgedacht habe.

Deine Tante hat dir also von diesem Wandbild erzählt, das sie noch als Kind in Gladys Haus gesehen hatte. Warum war das für dich so aufregend?

Von der möglichen Existenz eines Wandgemäldes war ich deshalb so begeistert, weil ich selbst großformatige Wandbilder mit Kreide gemacht hatte. Hier in Berlin habe ich für die Berlin Biennale ein 21 Meter langes Werk geschaffen. Alle meine Kreidewandbilder wurden nach den Ausstellungen wieder entfernt. Deshalb war ich sehr neugierig, ob dieses Wandbild immer noch existieren würde und begann zu recherchieren. Das Haus befindet sich tatsächlich in der Nähe des Hauses, in dem ich aufwuchs, gerade einmal fünf Minuten zu Fuß. Das erleichterte die Treffen mit dem heutigen Bewohner. Anfänglich war er sehr misstrauisch und fragte fortwährend, für wen ich arbeiten würde. Er war ein Veteran des MK, des militärischen Flügels des ANC, der im Guerilla-Kampf ausgebildet wurde. Aber er kannte meine Familie, das half dabei, dass er mit der Zeit etwas auftaute und mir schließlich erlaubte, die Wände in seinen Räumen zu bearbeiten.

Aber das dauerte so lange, dass du fast aufgegeben hättest.

Ich wurde immer frustrierter, bis zu dem Punkt, als ich dachte, es würde vielleicht gar nicht mehr klappen. Zunächst einmal war ich mir nicht wirklich sicher, ob die Erinnerungen meiner Tante an die Wandgemälde überhaupt stimmten. Sie hatte die Wandgemälde vor fast fünfzig Jahren gesehen, als sie noch ein Kind war. Um ihre Erinnerungen zu testen, lud ich sie in mein Studio ein und interviewte sie. Ich ging wieder zurück in das Haus und maß den Raum aus, den ich dann in meinem Atelier nachbaute. Die Wände strich ich mit schwarzem Tafellack und bat meine Tante, das zu zeichnen, woran sie sich erinnerte. Sie hatte niemals irgendeine Form von Kunstunterricht. Zunächst erinnerte sie sich nur an die Farben, dann aber auch an die Landschaften. Ich beschloss kleinformatige Tafeln zu verwenden, die ich für ein früheres Projekt produziert hatte, und bat sie darauf zu zeichnen. Zu dieser Zeit wurden Werke von Gladys Mgudlandlu auf einer Auktion in London angeboten und jemand half mir, sie für mein Projekt zu erwerben. Ich hatte die Wandbilder schon aufgegeben und dachte, ich setze die Arbeit mit Mgudlandlus Gemälden und den Werken meiner Tante um. Aber dann ergab sich die Gelegenheit, an der Mauer zu arbeiten, und wir entdeckten das Bild, was natürlich unglaublich war. Das freigelegte Segment zeigt das Bild eines Vogels. Daraufhin begannen wir uns mit Vögeln zu beschäftigen, mit ihrem Flug, mit Vogelklängen – damit, was Vögel im Allgemeinen symbolisieren, aber auch im Kontext der Apartheid in Südafrika, der politischen Situation, oder im Bezug zu ihr als Künstlerin.

Aber zur gleichen Zeit war es die Reise in eine sehr persönliche Geschichte – deine Familiengeschichte.

Ich bewege mich zwischen dem Persönlichen und dem Kollektiven. Meine persönliche Situation und somit auch meine Familiengeschichte sind natürlich ein Teil der kollektiven Geschichte. Das wurde zum Ausgangspunkt für dieses Projekt, das ich ohne die Hilfe meiner Tante nie hätte beginnen können. 1976 nahm meine Tante an den Studentenaufständen teil und machte eine traumatische Erfahrung – jemand schoss ihr in den Kopf. Während ich aufwuchs, durften wir in ihrer Gegenwart weder über die Apartheid sprechen noch Fragen zu den Studentenunruhen stellen. Natürlich hat sie sehr viel durchmachen müssen. Dass sie diese Gewalt überlebt hat, prägte unsere persönliche Beziehung, aber auch unsere Beziehung zur Geschichte, wie wir über Geschichte und die Vergangenheit sprechen. Erst durch dieses Projekt konnte sie sich schließlich öffnen. Die Entdeckung des Vogels in Mgudlandlus Haus war in dem Sinne wunderbar, dass sich dieser Käfig irgendwie geöffnet hat.

Deine Ausstellung in der Deutsche Bank KunstHalle heißt Bird Song, nach einem südafrikanischen Jazzstück, das für Miriam Makeba geschrieben wurde. Das Lied klingt zärtlich und melancholisch.

Anfangs dachte ich, ich könnte Ntyilo Ntyilo – das ist der Originaltitel des Lieds – als Soundtrack verwenden. Die Besucher sollten es beim Betreten der Ausstellung hören. Wegen Copyright-Problemen musste ich dann allerdings umdenken. Schließlich habe ich mich dafür entschieden, mich auf Mgudlandlu zu fokussieren. Aber mich hat auch interessiert, welche Bedeutung das Bild eines Vogels, das mehr als fünfzig Jahre in einer Mauer eingeschlossen war, für diesen ANC-Mann hat, der mit seinen eigenen Erfahrungen in diesem Haus lebt. Oder ob der Vogel tatsächlich hinaus in die Luft fliegen kann, weg aus diesen Zeitschichten. Mich begeistern die vielen Schichten, die dieses Bild hat – sowohl wortwörtlich als auch im übertragenen Sinn. Wir mussten uns durch neun Schichten arbeiten, bis wir zum Bild des Vogels kamen, durch zwei Putzschichten und sieben Schichten aus Wandfarbe. [...]

Das komplette Gespräch zwischen Britta Färber und Kemang Wa Lehulere können Sie in der Publikation Bird Song nachlesen. In diesem Zuge möchten wir nochmals ganz herzlich dem Fotografen Adam McConnachie danken, der uns das Porträt zur Verfügung gestellt hat.

veröffentlicht am 26.5.2017
Veröffentlicht am: 26.05.2017