SKANDINAVISCHE KUNST UM 1900

»Ich möchte das Leiden nicht missen, wie viel verdanke ich doch in meiner Kunst dem Leiden?« ⸺ Edvard Munch

Der Name Edvard Munch (1863-1944) überstrahlt sie alle. Dabei gibt es in der skandinavischen Malerei der Moderne eine ganze Reihe von herausragenden Künstlern. Doch viele von ihnen sind außerhalb ihrer Heimat heute in Vergessenheit geraten oder wurden erst in den letzten Jahren wiederentdeckt. Hierzu zählen etwa der Däne Vilhelm Hammershøi (1864-1916), der zu Lebzeiten in ganz Europa gefeiert wurde oder Akseli Gallen-Kallela (1865-1931), der bedeutendste Künstler Finnlands.

»Meine Arbeit verursacht mir solche Qualen, dass ich mir herausnehme zu sagen, dass Schöpferischsein für mich gleichbedeutend ist mit Leiden. […] Nach und nach hellt sich mein Seelenzustand wieder auf und trotz all meiner Qualen kann ich sagen, dass mir das Gefühl wahrer Lebensfreude nicht fremd ist.« ⸺ Akseli Gallen-Kallela

Deutschland spielt für die Entwicklung der skandinavischen Malerei eine herausgehobene Rolle. Viele nordeuropäische Künstler zog es nicht nur nach Paris. Hans Heyerdahl (1857-1913), Hans Fredrik Gude (1825-1903), Erik Theodor Werenskiold (1855-1938) oder Frits Thaulow (1847-1906) studierten, lebten und arbeiteten auch in deutschen Städten wie München, Karlsruhe oder Düsseldorf. Munch und Gallen-Kallela, der als sein großer Antipode gilt, hatten in Deutschland am Anfang ihrer Karriere mehr Erfolg als in ihrer Heimat.

Bis ins 19. Jahrhundert gab es in Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark, abgesehen von der Volkskunst, keine nennenswerte eigenständige Kunstentwicklung. Hof und Adel importierten mit Vorliebe Gemälde und Skulpturen aus Mitteleuropa.

Doch im 19. Jahrhundert entsteht ein neues nationales Selbstbewusstsein. Und die Künstler haben daran entscheidenden Anteil. Die Landschaftsmalerei bleibt in Skandinavien zunächst das bestimmende Thema. Der norwegische Maler Johan Christian Dahl (1788-1857), der sich in Dresden niedergelassen hatte und ein enger Freund von Caspar David Friedrich war, gab mit seinen romantischen Landschaften den Weg vor. Doch in den 1880er-Jahren führt, angeregt vom Impressionismus und Naturalismus, den sie auf Studienreisen nach Frankreich kennengelernt hatten, eine neue Generation norwegischer Maler um Christian Krohg (1852-1925) und Frits Thaulow (1847-1906) neue Malweisen ein. Es herrscht eine geradezu euphorische Aufbruchstimmung. Michael Ancher (1849-1927) gründet zusammen mit seiner Frau, der Malerin Anna Ancher (1859-1935), die impressionistische Schule der Skagenmaler. Eines ihrer bekanntesten Mitglieder ist der norwegisch-dänische Maler Peder Severin Krøyer (1851-1909). Kroh, Thaulow und Erik Werenskiold kämpfen für einen Kunstbegriff jenseits der bürgerlichen Ideale. Noch radikaler und innovativer zeigt sich ein junger Künstler, der schon bald große Aufmerksamkeit erregen wird: Edvard Munch, ein Schüler von Krohg.

1886 stellt Munch sein Gemälde Krankes Kind erstmals aus. Eine Provokation. In der norwegischen Kunst war man an historische Darstellungen, heroische Landschaften und anheimelnde Szenen aus dem norwegischen Volksleben gewohnt. Das »wirkliche Leben« zu malen galt als verpönt. Munchs kühnes Bild erntet Gelächter und Gespött. »Kein Gemälde«, kommentiert Munch im Rückblick, »hat in Norwegen so viel Ärgernis erzeugt«.

1892 stellt der sensible Künstler in Berlin 55 Gemälde aus. Obwohl die Ausstellung auf Druck konservativer Künstlerkreise bereits nach einer Woche geschlossen wird, macht sie Munch schlagartig bekannt und tourt erfolgreich durch mehrere deutsche Städte. Psychologisch eindringliche Schlüsselwerke wie Der Schrei oder Madonna entstehen. In der Heimat stößt Munch dagegen weiterhin auf Unverständnis. Seine Bilder seien »Bilder eines kranken Geistes« und stellen »ebenso krankhafte und abstoßende Albträume« dar, bemängelt ein Kritiker 1895. Erst spät findet Munch auch in Norwegen Anerkennung. »Solange ich in diesem Land malte, habe ich jeden Fußbreit für meine Kunst mit geballter Faust erkämpft«, klagt der Künstler, der zu den Begründern des Expressionismus gehört.

Anders Zorn (1860-1920) war kein künstlerischer Neuerer wie der tiefgründige Norweger Munch. Dennoch wurde der schwedische Maler, der als Wunderkind galt und bereits mit 15 Jahren ein Kunststudium an der Königlichen Akademie der Künste in Stockholm begann, von seinen Zeitgenossen als Jahrhundertgenie gepriesen. Seine impressionistischen Gemälde bestechen mit dem Spiel des flirrenden Lichts. Der nackte Frauenkörper in der freien Natur wird zu seinem Lieblingsthema. Die deutschen Secessionisten sehen in Zorn ein leuchtendes Vorbild im Kampf gegen die überkommene akademische Malerei, die als gekünstelt und »unnatürlich« empfunden wurde. Von besonderer künstlerischer Qualität sind die einfühlsamen Bildnisradierungen, die Zorn mit großem Erfolg weltweit vertreibt.

Während Zorn und Munch die Stille wie auch die Dramatik der nordischen Landschaft mit den menschlichen Themen von Liebe und Tod aufladen, schöpft Carl Larsson (1853-1919) aus seiner unmittelbaren Umgebung. In seinen Bilderalben, die keineswegs nur an Kinder gerichtet sind, erzählt der schwedische Künstler von seinem Familienleben und zeichnet eine idealisierte, heile Welt. Larsson wird damit zu einem der populärsten skandinavischen Malern. Bruno Andreas Liljefors (1860-1939) wurde dagegen hauptsächlich für seine realistischen Tierdarstellungen geschätzt. Sven Richard Bergh, Alfred Wahlberg und Olle Bærtling gehören zu einer ganzen Reihe schwedischer Künstler, die in Paris Karriere machen.

Die Blütezeit der schwedischen Malerei beginnt erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit einer der Nationalromantik nahestehenden Künstlergeneration.1885 wurde der unabhängige Künstlerverband der Opponenterna, die in Opposition zu dem akademischen Kunstunterricht steht, gegründet. Als Inspirationsquelle dienen den Künstlern die Natur und das einfache Leben auf dem Land. Zu den Mitgliedern zählen neben Larsson u.a. der Schriftsteller August Strindberg und Ernst Josephson (1851-1906).

In die Bilder des später an Schizophrenie erkrankten Künstlers mischen sich symbolistische und expressionistische Elemente. Die Arbeiten, die nach seiner Erkrankung entstehen, gehören mit zum Bemerkenswertesten, was die skandinavische Kunst hervorbrachte. Eine starke Melancholie geht von den Bildern Vilhelm Hammershøis (1864-1916) aus. Die Interieur- und Landschaftsgemälde des dänischen Symbolisten wirken kahl und puristisch. Der Dichter Rainer Maria Rilke und der Maler Emil Nolde gehören zu seinen Bewunderern.

Wie kaum ein anderer Künstler steht Akseli Gallen-Kallela für den Umbruch Finnlands, das damals zu Russland gehört. Gallen-Kallela verbindet eine Art Hassliebe mit seinem Heimatland, dessen Unabhängigkeit er erträumt, während er zugleich unter dem Unverständnis, auf das seine Kunst stößt, leidet. In Deutschland werden seine Bilder dagegen mit Begeisterung aufgenommen. Er stellt zusammen mit Munch aus. Der Kontrast zwischen den Bildern Munchs und Gallens Darstellungen der unbändigen Natur Finnlands und seiner ländlichen Bevölkerung könnte größer nicht sein. Wahrend Munchs Arbeiten ein Spiegel seines Gemütszustands und der Ereignisse in seinem Leben sind, malt Gallen-Kallela vor allem Bilder, die von der Mythologie, der Geschichte und Zukunft seines Volks handeln. Bis zu seinem Tod widmet er sich bevorzugt Motiven aus der finnischen Mythologie. Vergleichbar zu Gerhard Munthe oder Erik Theodor Werenskiold, die norwegische Märchen und Sagen illustrieren, schöpft er aus dem finnischen Nationalepos Kalevala. In stilisierter Manier schafft er Bilder, in denen sich Jugendstil und Symbolismus miteinander vermischen.

Ab März 1907 ist Gallen-Kallela kurzzeitig Mitglied der deutschen Künstlervereinigung Brücke, die er wegen unvereinbarer Auffassungen jedoch bald wieder verlässt. 1923 siedelt er in die USA über und lässt sich 1924 in der Künstlerkolonie Taos in New Mexico nieder. Doch selbst in der amerikanischen Wüste arbeitet er vor allem an Bildern zur finnischen Mythologie. Erst 1926 kehrt er nach Finnland zurück.

Gallen-Kallela bleibt sein Leben lang ein Nomade, der zwischen Fernweh und Heimweh schwankt. Aber nicht nur er, sondern auch viele seiner skandinavischen Künstlerkollegen, die in Frankreich oder Deutschland erfolgreich waren, kehren schließlich wieder in ihre Heimat zurück. Auffallend viele von ihnen ziehen sich wie Gallen-Kallela bewusst in die Abgeschiedenheit des einfachen Landlebens zurück. Die selbst gewählte geografische Distanz zu dem internationalen Kunstgeschehen scheint für ihn und andere nordeuopäische Künstler überaus inspirierend gewesen zu sein.

veröffentlicht am 20.2.2012 – Florian Weiland-Pollerberg

Unsere Empfehlung