GREGORY CREWDSON

Gregory Crewdson © Marc Volk
Gregory Crewdson (*1962, New York) studierte bis 1985 in Yale. Seit 1993 unterrichtet er dort Fotografie. Bilder in wichtigen internationalen Sammlungen u.a. dem Museum of Modern Art und dem Metropolitan Museum of Art. Einige Fotoserien liegen als Bücher vor. Zahlreiche Auszeichnungen; Ausstellungen u.a. im Whitney Museum of American Art und im New Yorker Guggenheim Museum, 2005–2008 Retrospektive in Europa. Lebt in New York.

 

Vom Grauen in den Vorstädten

»Eigentlich halte ich mich für einen Realisten.« ⸺ Gregory Crewdson
»Was mir letztlich wahrscheinlich am meisten Angst macht, ist die Realität.« ⸺ Gregory Crewdson

Gregory Crewdson entwickelt seit Mitte der 1980er-Jahre Fotoserien von betörender Schönheit und fundamentaler Irritation und Verstörung. Er zeigt in seinen komplexen und detailreich ausgestalteten Bildwelten Idyllen, unter deren Oberfläche unerklärliche Geheimnisse lauern. 

Unter dem Titel Early Works (1986–1988) fasste er eine Reihe kleinformatiger Aufnahmen von einfachen, merkwürdig verschlossenen Menschen in ihren Privathäusern ohne größere Arrangements und Inszenierungen zusammen. Bereits für seine zweite Serie Natural Wonder (1992–1997) erstellte Crewdson jedoch konsequent durchkomponierte Studiosets, etwa mit präparierten Vögeln und Kleintieren, die eigenen Ritualen und Gesetzen folgen und sich damit dem menschlichen Verständnis entziehen. Er platzierte abgetrennte Gliedmaßen in eine Natur, die den menschlichen Lebensraum überwuchert und ein unkontrollierbares Eigenleben entwickelt. Die Bildsprache liegt zwischen märchenhafter Romantik und klassischer Horrorästhetik und ist vor allem von David Lynch und Steven Spielberg beeinflusst. Von der Faszination von der Natur als mythische Zone handelt auch die Serie Fireflies (1996), in der Crewdson Schwärme von Glühwürmchen fotografierte.

In der kleinformatigen Schwarz-Weiß-Serie Hover (1996–1997) blickt Crewdson von oben auf seltsam teilnahmslos dreinblickende Menschen, deren Weltordnung sich langsam auflöst. Er formuliert hier erstmals sein zentrales Thema: Die verborgenen Abgründe der amerikanischen Vorstadtseele. Er visualisiert die unbewussten Schattenseiten der menschlichen Psyche in rätselhaften Szenen, in denen das Vorher und Nachher unklar und geheimnisvoll bleiben.

Mit den Serien Twilight (1998–2002), Dream House (2002) und Beneath the Roses (2003–2008) sind die verborgenen Kräfte und dunklen Energien endgültig in den Wohnstuben und neuenglischen Kleinstädten angekommen. Mit dem gezielten Einsatz von Licht gelingt es ihm, Szenen aus dem Alltagsleben in geheimnisvolle, rätselhafte Schauplätze zu verwandeln. Die großformatigen, farbigen Szenen häuslicher Einsamkeit und Sprachlosigkeit erinnern mit ihrer Melancholie an Edward Hopper. 

Mit immer größer werdender Unterstützung durch Assistenten, einem eigenen Team und Aufwand wie für eine Filmproduktion, schafft Crewdson oft in wochenlanger Arbeit vor Ort und im Studio seine single frame movies. Ein einziges Bild scheint die narrative Breite eines ganzen Spielfilms zu repräsentieren, freilich ohne Anfang oder Ende. Damit entwickelt er die Traditionslinie der inszenierten Fotografie weiter, die seit Cindy Sherman und Jeff Wall eine der wichtigsten Ausdrucksformen gegenwärtiger Fotokunst darstellt. Auch seine Arbeitsweise der digitalen Komposition ähnelt der Jeff Walls.

Überraschend wirkt die Serie Sanctuary (2009-2010). Nur mit natürlichem Licht und in Schwarz-Weiß lichtete Crewdson die Säulen, Tore und Mauerreste in den einstigen Filmsets von Cinecittà bei Rom ab. Er vermeidet es, einzugreifen und nähert sich dem Prinzip der Dokumentation an. Thematisch bleibt er sich aber treu. Denn auch diese Bilder handeln von Schönheit und Traurigkeit, Realität und Fiktion, Natur und Künstlichkeit, Fotografie und Film.

veröffentlicht am 20.1.2012 – Monika Wolz

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