Ein kleines Büchlein flog mir vor ein paar Tagen zu…und ich kann mich seitdem nicht satt sehen daran. Allein das Eingangsbild! Im Land der Elfen: man sieht zwei anmutige Wesen, eines schwebt mit unsichtbaren Flügeln durch die Luft, das andere wird sich im nächsten Moment in die Höhe erheben. An anderer Stelle sehen wir merkwürdige rote Gestalten von hinten, die vor einer riesigen speienden Wasserquelle verharren. Einsame Häuser an verwunschenen Orten werden vorgeführt. Der unerschüttliche Gesichtsausdruck eines Pferdes, dessen Fell strahlend weiß glänzt, rührt mich besonders.
Die von diesen merkwürdigem Geschehen berichtet, ist die Text- und Fotojournalistin Tina Bauer und der geheimnisvolle Titel ihres Buches ist einem Gedicht von Hulda, einer literarischen Vertreterin des Symbolismus, entlehnt. Tina Bauer teilt uns in ihrem Bildzyklus ihre Kenntnisse eines ihr vertrauten Landes mit, das für viele einen Sehnsuchtsort darstellt: Island.
Da gibt es vor allem zwei Reaktionen beim Erwähnen des Landes: die einen, die es bedauern, noch nicht da gewesen zu sein. Die anderen, die fanatisch vorschwärmen: die uns sofort von der facettenreichen Landschaft erzählen, von Geysiren, Vulkanen und heißen Quellen, von Menschen und Abenteuern, von den vielen Erlebnissen, die sie mit diesem Land verbinden.
Tina Bauer war viele Male auf Island. Und sie kehrt immer wieder dorthin zurück. Ihre Fotos, in den Farben extrem runtergefahren, erzählen von einem sehr subjektiven Erleben dieses Ortes, der sie nachhaltig beeindruckt und verändert hat und ihr so viel bietet, dass sie immer wieder süchtig zurückkehrt. Die Fotografin benötigt gar nicht viele Bilder, um jene spezielle Atmosphäre zu erzeugen, die auch für mich das Erleben dieser Insel ausdrückt (ich gebe zu, ich gehöre zu der zweiten Gruppe).
Es sind bei ihr kleine Details und gar nicht sonderlich spektakuläre Ereignisse, die sie einfängt mit ihrer Kamera. Mehrere Male bin ich durch Island gereist und hab die Insel immer völlig anders gesehen, als es mir die pathetische Fotografie der meisten Natur- und Landschaftsfotografen weismachen will. Island ist fotografisch total erfasst, doch im Gegensatz zu einer gelackten Islandromantik wird in dieser Arbeit ein radikal-subjektiver Blick angeboten: einmal sieht man Füße, die aus dem Wasser tauchen (Diese gehören wohl der Fotografin). Einmal sehen wir aus dem Inneren eines Zeltes. Und einmal fällt der Blick aus dem Frontfenster eines Autos auf eine langgezogene Kurve, die sich durch eine Seenlandschaft schlängelt. Tina Bauer erzählt vom Unterwegs – und Alleinsein in einer rauen Landschaft. Und natürlich ist auch bei ihr Überwältigung zu spüren, aber gleichzeitig wird in ihren Ansichten immer auch ein Stück Demut mitgeliefert. Ihre Fotos sind auf ihre Weise bescheiden und daher so stark: Wir kriegen Orte präsentiert, fernab der touristischen Hotspots, leicht zu übersehen, die der Fotografin für ihre eigene Geschichte viel bedeuten. Sie sucht nicht ständig die Totale, zu der die Landschaft uns automatisch verführt, sondern zeigt immer wieder kleine, unbedeutend erscheinende Detailansichten. Einmal sieht man die Zapfsäule einer Tankstelle, an der sie wahrscheinlich kurz angehalten hat. Alles es fügt sich wie selbstverständlich zusammen und wird zu einer, auch wenn es abgedroschen klingen mag, dichten Road-Story.
Tatsächlich war Tina Bauer sechs Wochen für diese Serie unterwegs. Sie wird die einzige große Hauptstraße, die Ringstraße Nr. 1, entlang gefahren sein. Dort hält sie immer wieder, entfernt sich von der Straße und führt uns zu Plätzen, die Bedeutung für sie haben. Auch ich selbst hab während meinen Reisen über die Insel bedeutsame Plätze für mich entdeckt: Seltsamerweise waren es nicht die riesigen Wasserfälle oder die Geysire. Ich hab eine wunderbare Bibliothek an einem versteckten Ort entdeckt, eine Countrybar, in der der Wirt als Sänger auftrat und einen Plattenladen, in dem mich der Besitzer mit ungewöhnlichster Musik verzaubert hat. „Niemand kehrt von einer Reise so zurück, wie er aufgebrochen ist“, so leitet Tina Bauer ihre fotografische Serie ein. Das geht mir ebenso, und das geht mir besonders so, wenn ich beglückt aus Island zurückkehre. Ein klein wenig dieser Beglückung (man muss nicht dort gewesen sein) verschenkt dieses Buch.
Das Buch zur Fotoserie „Verleih´ mir Flügel“ ist erhältlich in einer ersten Special-Edition von 35 Exemplaren, nummeriert und signiert, gedruckt auf Munken Lynx Designpapier, fadengeheftet und in Schweizer Broschur-Bindung. Es ist für 28,- Euro zu bestellen in der Buchhandlung im Haus der Photographie, Hamburg oder direkt bei Tina Bauer: tibauna@gmail.com
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