“Man sieht, was man am besten aus sich sehen kann” C. G. Jung
Der Anfang war das Ende. Als der französische Physiker Francois Arago am 19. August 1839 der Weltöffentlichkeit die Fotografie vorstellte, da war das in gewisser Weise ein Endpunkt. Natürlich, die Technik wurde noch verfeinert. Auf die Daguerreotypie folgte das Negativverfahren, auf Glasplatten folgten Rollfilme. Doch eigentlich war an diesem Sommertag vor 175 Jahren die Sache im wahrsten Sinne des Wortes im Kasten. Das Ziel war erreicht. Das Bild innerhalb einer Kamera lies sich auf chemischen Weg fixieren. Alles andere waren nur “fine tunings”. Selbst als Steven Sasson 1975 ein Bild erstmals nicht mehr chemisch sondern auf elektronischem Wege einschrieb, war das im Grunde genommen nur ein Remake der alten Idee. Mit der Daguerreotypomanie, die die europäische Öffentlichkeit 1839 erfasst haben soll, schien aller Welt klar zu sein, was Fotografie ist.

Marco Breuer. Ausstellungsansicht in der Yossi Milo Gallery
Vielleicht ist es bei so viel Gewissheit kein Wunder, dass der deutsch-amerikanische Fotokünstler Marco Breuer in der hiesigen Foto-Szene nahezu ein Unbekannter geblieben ist. In einem Land, in dem man alles weiß und in dem man in fotokünstlerischen Dingen zudem noch recht erfolgreich ist, muss man nichts mehr hinterfragen. Die großen Debatten sind geführt. Das Bild ist im Kasten. Ganz anders ist das in Breuers-Wahlheimat New York. Hier lebt der 1966 in Landshut geborene Künstler seit mehr als zwanzig Jahren. In den USA zählt Breuer zu den wichtigsten Fotokünstlern seiner Generation. Seine Werke sind dort längst in allen großen Ausstellungshäusern vertreten - vom Getty Museum über das MoMA bis zum ICP.

Untitled (C-1379), 2013
Chromogenic Paper, burned/scraped
20″ × 16″ (50.8 × 40.6 cm)
Unique
Wieso also hat es der Prophet im eigenen Land so schwer? Vielleicht liegt die Breuer-Ignoranz in Deutschland ja tatsächlich an der festen Gewissheiten darüber, was eine Fotografie zu sein habe. In dem Land, in dem Christian Schad einst seine Schadographien entwickelt , in dem Lázló Moholy-Nagy merkwürdige Gegenstände auf unbelichtetes Fotopapier gelegt und Gottfried Jäger sogenannte Lochblendenstrukturen entwickelt hat, hat man den Fotografie-Begriff in den letzten Jahrzehnten etwas ausgedünnt. Eine Fotografie ist heute irgendwas mit Hochöfen, mit Plattenbauten oder Mittelschichtsmief . Keineswegs aber ist sie das, was Marco Breuer darunter versteht: lichtempfindliches Papier.

Untitled (C-1469), 2014
Chromogenic Paper, exposed/embossed/folded/burned/scraped
20 1/8″ × 14 1/8″ (51.1 × 35.9 cm)
Unique
Man kann vieles mit diesem Papier anstellen: Im Stile der Avantgarden kann man Krawatten, Tapeten und Kaffeefilter darauf legen und es anschließend belichten. Man kann es ritzen, wässern, sogar anzünden. All das hat Marco Breuer in den zurückliegenden Jahren getan. Das Ergebnis sind Spuren des Experimentellen. EInschreibungen des Zufälligen. Materialuntersuchungen. Fotobefragungen. Bilder, die ohne Umwege vom Künstler auf das Material gegangen sind. Sie stellen die Frage nach dem, was Fotografie ist, auf radikale Weise neu. Ist Fotografie ein festgeschriebener Prozess? Ein Weg vom Objekt über die Kamera auf das Papier? Ist sie ein Bildträger? Ein Bedeutungsfeld? Was meinen wir eigentlich genau, wenn wir von Fotografie reden? Vielleicht ist sie vor allem dieses: ein großes Geheimnis. Dann wären Breuers Arbeiten Fotografie im bis dato besten Sinne des Wortes. Dann wäre 1839 nicht das Ende sondern ein immerwährender Anfang. Der Kasten jedenfalls wäre wieder offen.

Untitled (C-1478), 2014
Chromogenic Paper, burned/scraped
20 3/8″ × 16 1/4″ (51.8 × 41.3 cm)
Unique