INTERVIEW MIT ARMIN MUELLER-STAHL

»Ost und West sind sich immer noch fremd.« ⸺ Der Schauspieler, Künstler und Ost-West-Wanderer Armin Mueller-Stahl spricht über den Mauerfall vor 30 Jahren, den Zustand der Republik, Augenblicke völliger Freiheit und sein politisches Gedicht Der wien Vogel fliegen kann, das er mit seinen expressiven Malereien zu einem ganz persönlichen Kommentar zur aktuellen Weltlage verdichtet.

Herr Mueller-Stahl, 2019 jährt sich zum 30. Mal die Maueröffnung und damit das Ende der deutsch-deutschen Teilung. Wie weit ist die Einheit wirklich gediehen?

Diese Einheit ist ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Vielleicht wird er nie beendet sein. Da geht es auch um Gefühle, die man immer wieder neu diskutieren muss.

Hätten Sie erwartet, dass sich Ost- und Westdeutsche 30 Jahre nach dem Mauerfall in vielem immer noch so fremd sind? Oder stimmt das vielleicht gar nicht?

Leider teile ich Ihre Beobachtung. Ost und West sind sich immer noch fremd. Um die vorhandenen Differenzen zu sehen, ist es ganz gut, bisweilen die Perspektive zu verändern, wie ich das tue.

Sie leben hier an der Ostsee, aber auch in Los Angeles und haben diese Suche nach einer gewissen Distanz auch zum Thema Ihres jüngsten Buchs gemacht: Der wien Vogel fliegen kann.

Die Vögel sehen nun mal vieles besser als wir. Und so sehe ich manchmal auch Deutschland und Europa aus der Distanz genauer. All die Egomanen und Autokraten, die wir derzeit überall beobachten können, schrumpfen auf ihre wahre Größe, wenn man sie von oben betrachtet. Auch die Hitzköpfe hier in Deutschland, das nun wirklich ein kompliziertes Land ist.

Spüren Sie in sich selbst diese Ost-West-Zerrissenheit?

Ein echter Ossi war ich ja nie, denn ich habe einst in West-Berlin Musik studiert und wechselte dann in den Osten der Stadt, weil dort schlicht das Theater besser war. Ich muss ganz ehrlich sagen: In keinem Deutschland habe ich mich bislang wirklich wohlgefühlt, im aktuellen Gesamtdeutschland immerhin noch am ehesten.

Worin wurzelt die Fremdheit zwischen Ost und West?

Die Westdeutschen waren lange in einer privilegierten Situation und haben die Menschen im Osten eher als minderwertig wahrgenommen, wenn man es mal ganz brutal sagen will. Das mag heute anders sein. Und es wächst ja auch einiges zusammen. Aber dieser Geburtsfehler wirkt bis heute fort.

[…]

Was ist Heimat für Sie?

Ich bin Deutscher von Geburt und Weltbürger aus Überzeugung. Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl. Heimat, das ist Familie, auch Sprache. Und obwohl ich kaum Englisch konnte, habe ich es nach meiner Zeit in Ost- und West-Deutschland ja sogar noch in Hollywood geschafft.

Als 1989 die Mauer fiel, drehten Sie in den USA gerade unter Barry Levinson Avalon

… verrückterweise als wahrscheinlich erster Deutscher in der Rolle eines Juden, ja. Ich kam spätabends von den Dreharbeiten. Weil ich niemanden wecken wollte, drehte ich den Ton am Fernseher ab und sah berühmte US-Journalisten an der Berliner Mauer. Da dachte ich noch: Verrückt, Hollywood gehen wirklich die Stoffe aus, wenn sie jetzt schon auf die deutsch-deutsche Teilung als Fiction ausweichen. Am nächsten Tag beglückwünschten mich am Set alle. Erst da verstand ich. Und nicht nur ich hatte Tränen in den Augen, sondern auch die jüdischen Kollegen. All jene, die wirklich Schlimmstes mitgemacht hatten wegen Deutschland. Und auf einmal war eingetreten, wovon ich selbst einst hinter dem Eisernen Vorhang ja immer geträumt hatte.

[…]

Sie arbeiten nicht mehr als Schauspieler, malen aber weiterhin. Das sei der einzige Job, bei dem Sie fliegen könnten, sagten Sie mal. Wie haben wir uns das vorzustellen?

Diese Flugmomente bedeuten Augenblicke völliger Freiheit – auch wenn es in der Garage, in der mein Atelier ist, recht wenig Platz zum Fliegen gibt. Niemand macht mir dort irgendwelche Vorschriften. Ich bin dann ganz auf mich allein gestellt.

Ein Interview von Christian Rickens und Thomas Tuma. Das komplette Interview können Sie im Handelsblatt nachlesen.

 

veröffentlicht am 23.3.2019
Veröffentlicht am: 21.05.2023