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ACTION PAINTING
»Von Zeit zu Zeit muss es einen Maler geben, der die Malerei zerstört. Cézanne tat dies. Picasso tat es mit dem Kubismus. Und schließlich tat es Pollock. Er hat unsere Vorstellung vom Bild radikal über den Haufen geworfen. Danach konnte es wieder neue Bilder geben.« ⸺ Willem de Kooning
Vor allem mit einem Namen ist die Malerei der Abstrakten Expressionisten verbunden: Jackson Pollock. Mit gewagten Techniken wie dem »Action Painting« beeinflusst der Amerikaner bis heute die Kunstszene.
»Jack the Dripper« spottete das Time Magazine über einen der bedeutendsten amerikanischen Maler des 20. Jahrhunderts. Es tat dies wohl, weil er etwas Neues ausprobierte: Jackson Pollock tauchte seinen Holzstock in einen Farbeimer und legte exzessiv los, tanzte über die auf dem Boden ausgebreiteten Leinwände und verbrauchte dabei literweise Farbe. Er arbeitete Glasscherben, Holz, Sand und Kunstharz in seine Bilder ein. Action Painting nannten das die einen begeistert, für konservative Zeitgenossen war Pollocks Abstrakter Expressionismus hingegen ein Missgebilde ohne jeden künstlerischen Wert und die dahinter stehende Person ein Aufrührer.
»Malen ist ein Seelenzustand. Malerei ist Selbsterfahrung. Jeder gute Künstler malt, was er ist.« ⸺ Jackson Pollock
Anfang der 1950er-Jahre war der in Wyoming geborene Pollock der Shootingstar der Kunstszene. Immer wieder pflegte er sein Rebellenimage, das irgendwo zwischen Genie und Verzweiflung angesiedelt war: Seine Ehe mit der Kollegin Lee Krasner war ein Balanceakt zwischen Alkoholexzessen, Selbstzweifeln, Depressionen und künstlerischen Triumphen. 1956 kam Pollock bei einem Autounfall ums Leben. Mit seinen Arbeiten ebnete er den Weg für viele Kollegen und trug maßgeblich dazu bei, dass New York Paris als internationales Kunstzentrum ablöste.
Noch in den 1930er-Jahren gab es in den USA infolge der Wirtschaftskrise keinen Markt für Kunst. Viele amerikanische Künstler lebten von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Regierung. Die vorherrschenden Kunstströmungen reichten von den Regionalisten der »American Scene«, zu denen auch Pollocks Lehrer Thomas Hart Benton gehörte, bis hin zu einem Formalismus, der von Piet Mondrian und Wassily Kandinsky beeinflusst war. Die großen Museen zeigten jedoch nicht sie, sondern die europäischen Meister der Moderne wie Pablo Picasso und Henri Matisse. Die Abstrakten im eigenen Land galten als provinziell und uneigenständig.
Die junge amerikanische Avantgarde erhielt neue Anstöße, als mit Beginn des Zweiten Weltkrieges viele europäische Künstler wie Marcel Duchamp, Fernand Léger, Joan Miró und Piet Mondrian nach New York flohen. Fast die ganze Gruppe der Surrealisten – Salvador Dalí, Yves Tanguy, Man Ray, André Breton, Max Ernst und André Masson – ließ sich dort nieder. Mit ihren Theorien über spontane Kreativität und das Entstehen der Kunst aus Träumen und Unbewusstem hatten sie einen gewaltigen Einfluss auf Künstler wie Jackson Pollock, Robert Motherwell und Mark Rothko.
Die Galeristin Peggy Gugggenheim, Solomon R. Guggenheims Nichte, stellte ebenfalls eine entscheidende Verbindung zwischen der amerikanischen und der europäischen Kunstwelt her. Sie hatte in Europa die Künstler der Avantgarde unterstützt und deren Werke gekauft. Nach ihrer Rückkehr nach New York zeigte sie in ihrer Aufsehen erregenden Galerie Art of This Century als Ergänzung zu diesen etablierten abstrakten und surrealistischen Arbeiten aus der Alten Welt vergleichbare Amerikaner. Mit diesen Gegenüberstellungen erreichte sie die Anerkennung zahlreicher Künstler, die bald den Kern der New Yorker Schule der Abstrakten Expressionisten bildeten: Jackson Pollock, Robert Motherwell, Mark Rothko, Clyfford Still und William Baziotes hatten hier ihre erste Einzelausstellung.
Pollock war der erste abstrakte Maler Amerikas, der auch in Europa ernst genommen wurde. Seine Leistung bestand in der Erzeugung von eigenständigen Bildwelten, die kein Aufguss europäischer Vorläufer waren. Zunächst verarbeitete er jedoch, wie viele seiner Zeitgenossen, Einflüsse aus der mexikanischen Wandmalerei. Diego Rivera und vor allem Gabriel Orozco beeinflussten Pollocks Frühwerk. Hinzu kamen indianische Bildzeichen und universelle Archetypen, die der Psychologe Carl Gustav Jung entdeckt hatte. Auch Picasso lag wie ein Schatten auf Pollocks frühen Arbeiten.
In den 1940er-Jahren eroberte Pollock schließlich mit den ersten Drip-Paintings neues Terrain: Der Maler David Alfaro Siqueiros hatte ihn wohl auf diese Technik aufmerksam gemacht, die von Max Ernst entdeckt worden war. Auf Peggy Guggenheims Pollock-Einzelaustellung im Herbst 1943 waren die ersten beiden Bilder in dieser Arbeitsweise, Composition with Pouring II und Water Birds, zu sehen. Hier hatte er allerdings noch Farben auf traditionell gemalte Flächenpartien getröpfelt und gegossen. 1945 gelang es ihm schließlich, die symbolhafte Kunst ganz hinter sich zu lassen.
Die Drip-Technik war die maßgebliche Voraussetzung für die Erfindung des Action Painting. Hier wurde die Handschriftlichkeit des Malakts bewusst übersteigert, indem die Körperbewegung einbezogen und zum Ausdrucksmedium innerpsychischer Prozesse erhoben wurde. Die körperliche Motorik, Geschwindigkeit und Dynamik des Malprozesses dienten dazu, unerwünschte Einflüsse des Intellekts auszuschalten.
Als Peggy Guggenheim 1947 nach Europa zurückkehrte, hatte Pollock seinen internationalen Durchbruch. Gleichzeitig löste New York Paris als Mekka der modernen Kunst ab. Die ökonomische Überlegenheit Amerikas spielte bei diesem Übergang sicher eine große Rolle, aber ohne künstlerische Innovationen hätten sich die USA wohl nicht an der Spitze der internationalen Moderne platzieren können.
Seine europäische Ausprägung fand der Abstrakte Expressionismus im Informel oder Tachismus, die sich seit Mitte der 1940er-Jahre hauptsächlich in Deutschland und Frankreich etablierten. Als Wegbereiter gilt der Maler Wols (eigentlich Alfred Otto Wolfgang Schulze) mit seinen träumerischen abstrakten Fantasien, die den Charakter spontaner Aufzeichnungen haben. Weitere bekannte Vertreter sind etwa Georges Mathieu, Roger Bissière, Pierre Tal-Coat, Jean René Bazaine und Arnulf Rainer.
Pollocks schöpferische Hochphase währte nicht lange. Anfang der 1950er-Jahre begann er nach einigen Jahren der Abstinenz wieder zu trinken. Seine Palette reduzierte er im folgenden Jahr auf schwarz-weiße Lackfarben. 1953 kehrte er in seinen großformatigen Bildern teilweise zum Pinselauftrag und zur Spachtelarbeit mit dem Palettmesser zurück. In den letzten beiden Jahren seines Lebens malte er fast nichts mehr. 1956 raste der 44-jährige volltrunken mit seinem Wagen gegen einen Baum. Er ist bis heute ein Mythos der neuen amerikanischen Malerei geblieben.