INTERVIEW MIT OLA KOLEHMAINEN

»Das Projekt hat meine künstlerische Identität radikal verändert.« ⸺  Die Arbeiten des finnischen Fotografen Ola Kolehmainen sind eine visuelle Reise durch Raum, Zeit und Licht. In seiner neuen Serie setzt er Orte in Szene, an denen Glaube praktiziert wird. Inspiriert von seinen Erkundungen islamischer Architektur und Moscheen in Istanbul porträtierte er anschließend Synagogen, Moscheen, Kirchen und Kathedralen quer durch Europa. 

Herr Kolehmainen, sonst fotografieren Sie nur Fassaden. Nun zeigen Sie Synagogen, Moscheen, Kirchen von innen. Wie kam's?

Es war nicht einmal meine Idee. Ein Istanbuler Sammler beauftragte mich, Moscheen des ottomanischen Architekten Mimar Sinan zu porträtieren. Er hat die Bauweise von Moscheen grundlegend verändert: Bei ihm gibt es keine Säulen, er richtete sich damit nach den religiösen Bedürfnissen. Der Blick der Gläubigen ist unverstellt, egal ob auf den Imam oder nach Mekka. Und er entpuppte sich als idealer Ausgangspunkt für mein Projekt: Er war armenischer Christ, beeinflusst von römischer, byzantinischer und persischer Architektur.

Heute schwer vorstellbar. Erst in den vergangenen Wochen wuchsen die Spannungen zwischen Juden und Muslimen wieder, dazu das wachsende Misstrauen zwischen Muslimen und Christen im sogenannten Westen. Ist Ihre Werkreihe It's All One History, Almost ein politischer Kommentar?

Über den politischen Teil dachte ich gar nicht nach, als ich 2014 begann. Ich hatte nur festgestellt, dass Sinan Zeitgenosse der anderen großen Kirchenbauer Michelangelo und Andrea Palladio war, sie sich aber nie getroffen hatten. Also beschloss ich, meinen Fokus zu erweitern. Derweil wurden die Beziehungen zwischen den Religionen angespannter, erst recht nach den Terroranschlägen in Paris. Die Welt wandelte sich um mein Werk herum. Das Projekt hat meine künstlerische Identität radikal verändert.

Inwiefern?

Mein Blick hat sich geweitet. Einer der Wendepunkte war mein Besuch in der Capella Scrovegni in Padua. Ich habe mich in den Raum verliebt. Denn auch wenn die Menschen dort nur Teil von Fresken sind: Figürliches vermied ich bislang strikt. Aber vor allem musste ich eine neue fotografische Sprache finden.

Wieso?

Um das schiere Volumen zu erfassen. Der Trick: Ich lichtete einen Raum in Sektionen ab und fügte sie hinterher leicht versetzt zusammen. Ein Werkzeug, das mir lange gefehlt hatte. Ich hatte es schon mal versucht, um 2000 in Paris. Ich wusste, dass es allein im 18. Arrondissement 100 Kirchen gibt. Nach Nummer 78 merkte ich: Es klappt nicht.

Aber weshalb denn?

Es sah nach nichts aus. Ich schaffe es nicht, diese unglaublichen Räume zweidimensional festzuhalten. Man kann sagen: All die Jahre Arbeit mit Architektur seither waren mein Training für das aktuelle Projekt.

Mit dieser Art der kubistischen Fotografie arbeitet der britische Künstler David Hockney schon lange, etwa in den Polaroid-Collagen. Hat er Sie inspiriert?

Ich finde, seine neuen Videoarbeiten wirken besonders stark. Ich hoffe, mich einmal mit ihm darüber unterhalten zu können. Mich fasziniert das, denn wir sehen ja genauso: in Fragmenten. Erst unser Hirn setzt die Bilder zusammen. Dieses Raumempfinden will ich hervorrufen, keine überdimensionierte Postkarte abliefern.

Dank dieser Collagen zeigen sie auch Details, die wir sonst nicht sehen können. Wollen Sie die Gebäude demokratisieren?

Ich will sie zugänglich machen. Meine erste Aufnahme der Hagia Sophia etwa zeigt dank langer Belichtungszeit, wie die Decke wirklich aussieht. Es ist sonst einfach zu dunkel. Das Bild ist übrigens nicht im Buch - ich fand, ich habe es schon so oft gezeigt. Dafür andere, ich habe Tausende Studienfotos dort gemacht. Ich arbeitete sieben Monate lang in Istanbul und war dauernd in der Hagia Sophia.

Wie erwischten Sie einen Moment, in dem sie leer war? Dort drängen sich doch die Menschenmassen.

Ich durfte jeden Montag rein, wenn sie offiziell geschlossen war. Ich hatte einen Sonderausweis. Übrigens: Jetzt ist die Hagia Sophia meist leer. Wegen der politischen Situation in der Türkei, wegen Erdogan, wegen der Terrorattacken bleiben die Touristen weg. Sonst waren es 20 000 bis 30 000 Leute pro Woche. Ich bin dem Gebäude verfallen. Auch als ich fertig war, bin ich jeden Montag hin, ich konnte nicht anders.

Sie müssen die Wärter alle beim Vornamen gekannt haben.

Die haben alle gedacht, dieser Typ ist crazy. Sieben Monate – und er kommt immer noch! Danach waren die Sicherheitsleute und ich wie Geschwister. Alle lachten, grüßten, wenn ich kam. Ich verbrachte ja viel Zeit dort. Stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Langzeitbelichtung machen und dann schaltet irgendwer irgendwo ein Licht an. Das Gebäude ist riesig, es dauert, bis Sie den finden, der es wieder ausknipst.

(...)

Ein Interview von Anne Haeming. Das komplette Interview können Sie auf Spiegel Online nachlesen.

Die Ausstellung It's All One History, Almost ist noch bis 4. März 2018 Helsinki Art Museum zu sehen.

veröffentlicht am 14.1.2018

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