PAUL GAUGUIN

Paul Gauguin mit bretonischer Weste, Februar 1891; Foto Louis Maurice Boutet de Monvel; AKG-Images, Berlin
Eugène Henri Paul Gauguin (Paris 1848–Hiva Oa 1903): 1849 Auswanderung nach Peru, 1855 Rückkehr nach Frankreich. Ab 1865 Schiffsjunge, später zweiter Leutnant bei der Handelsmarine. 1868–1870 Militärdienst in der Kriegsmarine. 1871 Anstellung als Anlagenberater im Bankhaus Bertin, Paris. 1872 Besuch der privaten Académie Colarossi, Paris. 1873 Heirat mit der Dänin Mette-Sophie Gad, mit der er fünf Kinder bekam. 1876 wurde Gauguin beim Pariser Salon zugelassen und mietete ein eigenes Atelier am Montparnasse. 1879 Beteiligung an der vierten Impressionistenausstellung. 1883 Gauguin gab seine Tätigkeit als Versicherungsmakler auf. 1884 Umzug nach Rouen, dann nach Kopenhagen, schließlich 1885 zurück nach Paris, Arbeit als Plakatkleber. 1886 zog Gauguin in die Bretagne, wo er in der Künstlerkolonie von Pont-Aven lebte. 1887 Reise nach Panama und Martinique. 1889 präsentierte Gauguin seine Werke auf der Pariser Weltausstellung. 1891 schiffte sich Gauguin nach Tahiti ein, 1893 Rückkehr nach Frankreich. 1895 zweite Tahiti-Reise; dort lebte er mit Pau’ura zusammen, die 1899 einen gemeinsamen Sohn zur Welt brachte. 1901 Übersiedlung auf die Marquesasinsel Hiva Oa.

Das verlorene Paradies

»Dort auf Tahiti könnte ich in der Stille der schönen tropischen Nächte den sanft rauschenden Klängen in meinem Inneren lauschen, den Regungen meines Herzens folgen, die sich in inniger Harmonie mit den geheimnisvollen Wesen meiner Umgebung befinden. Endlich frei […], würde ich alsdann lieben, singen und sterben können.«  Paul Gauguin vor seiner ersten Tahitireise im Jahr 1891

Durch seinen Erfindungsgeist war Gauguin für die bedeutendsten Maler eine künstlerische Instanz: Die Künstler von Pont-Aven wie die Nabis sahen in ihm den Propheten einer neuen Kunst. Pablo Picasso bezog sich immer wieder auf das Schaffen Gauguins, seine Zeichnung Stehender weiblicher Akt von 1902 etwa, eine Hommage an Gauguin, signierte er gar mit Paul Picasso. Paula Modersohn-Becker rezipierte als eine der ersten in Deutschland Gauguins Œuvre, auch die Künstlergruppe Brücke nahm sich den Visionär Gauguin zum Vorbild. Künstler wie Max Ernst oder Henri Matisse würdigten in ihrem Schaffen Gauguin als Vaterfigur der modernen Kunst. Gauguins Popularität setzte kurz nach dem Tod des Künstlers im Jahr 1903 ein und hält bis heute ungebrochen an – selbst Gegenwartskünstler bis hin zu Peter Doig beziehen sich auf die schillernde Künstlerpersönlichkeit und dessen Werk.

Im Laufe seines Lebens als Künstler kämpfte Gauguin jedoch lange vergebens um die kommerzielle Anerkennung als Maler. Zunächst hatte er sich als Seemann, später als Anlagenberater eines Bankhauses, dann als Versicherungsmakler verdingt. Erst 1883 beschloss er, nachdem er Ende der 1870er-Jahre an Camille Pissarros Seite das Malerhandwerk erlernt hatte, sich gänzlich der Kunst zu widmen. Der soziale Abstieg begann. Eine kurze, finanziell glückliche Phase wurde erst 1900 durch einen Vertrag mit dem Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard eingeläutet, der es ihm erstmals ermöglichte, von seiner Kunst zu leben. Gebeutelt von privaten Tragödien wie dem Tod seiner Tochter Alice, starb Gauguin jedoch, dem Alkohol verfallen, nur drei Jahre später einsam in seiner Hütte in Atuona auf der Marquesasinsel Hiva Oa.

Während Gauguin im Leben sein ersehntes Paradies nicht finden konnte, gelang es ihm, seine Idealvorstellung einer unversehrten Welt mit leuchtenden Farben und elementaren Formen, die die Kunst revolutionierten, auf die Leinwand zu bringen. Er strebte nach einer ursprünglichen, von der modernen Zivilisation unberührten Kunst und suchte hierfür Anregungen in ländlichen Landschaften, bei Menschen, die vom modernen Leben zurückgezogen leben, in den Überlieferungen alter Kulturen. Er entwickelte dabei durch die Annäherung an symbolistische Künstler eine innovative, kühne Bildsprache, mit der er zu einer neuen Freiheit der Farbe fand und sich in der Formensprache der Abstraktion annäherte – zu Recht gilt Gauguin daher gemeinsam mit seinen Künstlerkollegen Paul Cézanne und Vincent van Gogh als Vaterfigur der modernen Kunst.

Ein erster Rückzugsort Gauguins auf der Suche nach einem natürlichen und unentfremdeten Leben war die fernab von Paris gelegene Bretagne: Im Sommer 1886 traf der Künstler in Pont-Aven, einem Dorf im Département Finistère, ein und schloss sich dem dortigen Kreis internationaler Künstler an. Rasch freundete sich Gauguin mit den einfachen Lebensbedingungen an und empfand die rückständige Region an der Atlantikküste mit ihrem Reichtum an Traditionen und Kulturdenkmälern als Ort der Inspiration: »Ich liebe die Bretagne«, schrieb er Anfang 1888. »Hier finde ich das Wilde, Ursprüngliche. Wenn meine Holzschuhe auf dem Granitboden klappern, höre ich den dumpfen, harten, kräftigen Ton, den ich auch in der Malerei suche …« Diese »Rückkehr zum Ursprung« (Paul Gauguin) führte den Künstler zu Bildern, die dem Impressionismus den Rücken kehrten und in der Kunstmetropole Paris rasch für Aufmerksamkeit sorgten. La vision du sermon (1988) wurde als Meisterwerk des Symbolismus in der Malerei gefeiert: Das Gemälde von Jakobs Kampf mit dem Engel leitete von einer realistischen Darstellung der äußeren Wirklichkeit hin zum mehrdeutigen Bild einer inneren Vision. Um den Eindruck des Fantastischen zu verstärken, verwendete Gauguin der Wirklichkeit gegenüber gesteigerte, nahezu reine, leuchtende Farben. Zudem betonte er, inspiriert von japanischen Farbholzschnitten, die Umrisslinien, verzichtete auf modellierende Schatten und auf Gesetze der Perspektive – ein innovativer, neu entwickelter Malstil, den Gauguin Synthetismus nannte. Mit ihm überwand der Künstler die Grenzen der akademischen, naturalistischen und impressionistischen Malerei, deren Künstler ein Gemälde als Abbild der sichtbaren Welt auffassten.

Im Frühjahr 1891 schiffte sich Gauguin nach Tahiti ein. Ebenso wie seine bretonischen Werke zeigen auch seine Südseebilder mit den in kräftigen Farben gemalten, anmutigen Tahitierinnen und Tahitiern, die inmitten tropischer Landschaft ein einfaches Leben führen, Kraftorte, die Gauguin als zivilisationskritische Gegenbilder zu der als dekadent empfundenen Moderne verstand. Trotz Kolonisation und Christianisierung hoffte Gauguin zunächst, Spuren der einheimischen Volksgläubigkeit, der Mythen, Legenden und Kultur zu finden. Die anfängliche Euphorie wich bald einem nüchternen, ja desillusionierten Blick auf die tahitische Gesellschaft, denn die indigene Bevölkerung war bereits weitgehend ihrer religiösen und kulturellen Identität beraubt. Für seine Bilder nahm der Künstler daher Publikationen, Fotos und andere Vorlagen zur Hilfe, die einen vorkolonialen, ja paradiesischen Urzustand der Maohizivilisation zeigen: So entstanden Gemälde, darunter das monumentale Hauptwerk D’où venons-nous? Qui sommes nous? Où allons nous? (1897), bei deren Darstellung Gauguin keine archäologische Genauigkeit walten ließ, sondern Elemente der Maohikultur mit Motiven aus anderen – christlichen wie nichteuropäischen – Kulturkreisen und der Kunst vergangener Epochen verband. Der Synkretismus seines Schaffens wurde bereits von Zeitgenossen erkannt: »In diesem Werk ist eine beunruhigende und köstliche Mischung aus barbarischer Pracht, katholischer Liturgie, Hinduträumerei, gotischer Bilderwerkstatt, dunklem und subtilem Symbolismus; es sind herbe Wirklichkeiten und glühender Flug der Poesie, woraus Monsieur Gauguin eine absolut persönliche und ganz neue Kunst schafft …« (Octave Mirbeau).
1901 übersiedelte Gauguin auf die 1400 Kilometer von Tahiti entfernte Marquesasinsel Hiva Oa – erneut in der Hoffnung, dort ein ursprünglicheres Leben vorfinden und selbst führen zu können: »Leben in dieser Wildnis, dieser völligen Einsamkeit, soll noch einmal, ehe ich sterbe, das Feuer meiner Schaffensfreude anfachen, meine Einbildungskraft verjüngen, und so meine Kunst zur letzten Vollendung bringen.«

So sehr Gauguin mit seinem Vorstoß in eine Terra incognita eine Erneuerung der Kunst und eine Inspiration für sich selbst anstrebte, früh verfolgte er darüber hinaus auch kommerzielle Ziele: »… die Zukunft gehört den Malern der Tropen […], und man muß dem stupiden Käuferpublikum, motivisch gesprochen, etwas Neues bieten«, äußerte Gauguin bereits ein halbes Jahr vor der Pariser Weltausstellung im Jahr 1889. Neben der Gründung eines »Ateliers der Tropen« betrieb Gauguin eine erfolgreiche Selbst-PR: In einem Zeitraum von 25 Jahren schuf er rund 40 Selbstbildnisse, fest überzeugt, dass seine Inszenierung als Leidender und als Wilder, als Empfindsamer und als Indianer das anhaltende Interesse des Publikums garantieren würde. Auch seine selbst illustrierte Autobiografie Noa Noa (1897), in der Gauguin sein Leben auf Tahiti beschrieb, nährte den »Mythos Gauguin«. Daniel de Monfreid schrieb 1902 in einem Brief an den auf Hiva Oa weilenden Künstler: »Derzeit sind Sie dieser unerhörte, legendäre Künstler, der aus dem fernen Ozeanien seine verstörenden, unnachahmlichen Werke sendet […]. Sie dürfen nicht zurückkommen! […] Kurz, Sie genießen die Unantastbarkeit der großen Toten, Sie sind in die Kunstgeschichte eingegangen.«

veröffentlicht am 7.9.2015 – Stefanie Gommel