IMPRESSIONISMUS

»Das Motiv ist für mich eine unwesentliche Sache; was ich wiedergeben möchte, ist das, was es zwischen dem Motiv und mir gibt.« ⸺ Claude Monet
Mit einer Ausstellung im Jahre 1874 in Paris wird die wohl spannendste und bis dahin neueste Stilrichtung in der Kunst des 19. Jahrhunderts geboren: der Impressionismus.

 

Ein Heuhaufen am frühen Morgen, in der hellen Mittagssonne, bei grauem Wetter, im Abendlicht. Eine ähnliche Serie von der Fassade der Kathedrale von Rouen, unscharf flirrend. Was bewegte Maler wie Claude Monet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, solche Bildfolgen herzustellen? Und solche Sujets zu wählen? Die Antwort ist kurz: die Stimmung, der Moment, das Licht. Das Licht war der eigentliche Gegenstand der Gemälde einer Kunstbewegung, die Impressionismus genannt wird.

Wie kein zweiter steht Claude Monet (1840-1926) für die impressionistische Malerei. Seine Serien und seine poetischen Seerosenbilder gehören zu den populärsten und beliebtesten Gemälden weltweit. Das war nicht immer so. Als der Impressionismus in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts geboren wurde, kam dies einer Revolution gleich und ein Aufschrei des Entsetzens ging durch die Kunstwelt. Eine Gruppe junger Pariser Maler warf damals so ziemlich alles über den Haufen, was in der akademischen Malerei bis dahin Gültigkeit hatte. Sie stellten ihre Staffeleien in freier Natur auf und malten einen Gegenstand oder eine Szene in ihrer augenblicklichen Erscheinungsform. Für diese so genannte Pleinair-Malerei ignorierten sie den sorgfältig komponierten Bildaufbau zugunsten eines zufälligen Bildausschnitts ebenso wie die Zentralperspektive, um alle Materie in einem Licht- und Farbenspiel aufzulösen. Deshalb galt das Interesse der Impressionisten nicht in erster Linie dem Motiv. Das Motiv war nur als Träger von Licht, Farbe und Atmosphäre von Bedeutung, deren Impression, also ihr ganz persönliches Empfinden, sie auf die Leinwand brachten: Pappeln am Wegesrand, eine menschenleere Dorfstraße im Winter oder eben Heuhaufen.

Der Versuch, die Flüchtigkeit des Augenblicks dauerhaft im Bild zu bannen, hatte auch Konsequenzen für die Malweise der Impressionisten: Die Pinselstriche sind bewegt und hastig und verleihen den Gemälden den Charakter einer flüchtig hingeworfenen Skizze. Die Farbe Schwarz haben die Maler aus ihrer Palette verbannt. Alles ist Farbe, alles ist Licht. Bei der Betrachtung eines impressionistischen Bildes empfiehlt es sich daher immer, einige Schritte zurückzutreten, damit aus der Ungegenständlichkeit der Farbkleckse eine Figur, ein Gegenstand oder eine Landschaft hervortritt. Die Autonomie der Farbe gegenüber dem Bildgegenstand bezeichnet den Bruch zwischen der klassischen und der modernen Malerei.

Zu den direkten Vorläufern des Impressionismus zählen die englischen Landschaftsmaler John Constable (1776-1837) und William Turner (1775-1851) sowie ihre französischen Kollegen Jean-Baptiste Corot (1796-1875) und Gustave Courbet (1819-1877), deren Wiedergabe von Atmosphäre und Darstellung der zerstreuenden Wirkung des Lichtes insbesondere Monet und Camille Pissarro (1830-1903) beeindruckten. Zum Verständnis der Geschichte des Impressionismus gehört aber auch ein Phänomen, das in der Pariser Kunstszene von überragender, tatsächlich existenzieller Bedeutung war: der Salon. Der jährliche Salon de Paris war Ausstellungsort, Kontaktbörse und Karrieresprungbrett – staatlich subventioniert und reglementiert von einer Jury. Wer im Salon ausstellen durfte, hatte einige Sorgen los. Wer scheiterte, versuchte sein Glück möglicherweise in einem Gegensalon.

Paris war zu der Zeit der Nabel der Kunstwelt. Dort traf in den 1860-Jahren eine Schar gleichgesinnter Künstler und Künstlerinnen aufeinander, deren Werke zum Teil mehrfach von der Salon-Jury abgelehnt worden waren, darunter Monet und Pissarro, Auguste Renoir (1841-1919) und Alfred Sisley (1839-1899), Edgar Degas (1834-1917) und Berthe Morisot (1841-1895). Aus Verärgerung darüber stellten sie 1874 unter dem Namen »Société anonyme des artistes-peintres« gemeinsam aus. Die erste Impressionistenausstellung brachte den Künstlern mehr Spott als Erfolg ein. Nach dem Titel eines von Monet ausgestellten Bildes, »Impression, soleil levant« (Impression, Sonnenaufgang, 1873), nannte der Kritiker Louis Joseph Leroy die Maler spöttisch »peintres impressionistes« und prägte damit den Stilbegriff einer neuen Kunstrichtung. Obwohl der Impressionismus von Frankreich ausging und heute überwiegend so rezipiert wird, war er kein rein französisches Phänomen. Zu den deutschen Impressionisten gehören Max Liebermann, Lovis Corinth, Wilhelm Leibl, Max Slevogt und Carl Schuch.

Monet, Pissarro und Sisley waren wohl die typischsten und konsequentesten Vertreter der impressionistischen Bewegung, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg. Andere Maler, die dem Impressionismus zugerechnet werden, hatten mit dieser Malerei zwar experimentiert, dann aber eigene Ausdrucksformen entwickelt. Edouard Manet (1832-1883) etwa, dessen skandalträchtiges Déjeuner sur l'herbe (1863) und seine Olympia (1863) die jungen Impressionisten mächtig beeindruckte, war und blieb durch und durch Ateliermaler. Das klassische Motiv, die Figur war stets essenzieller Bestandteil seiner Werke. Paul Cézanne (1839-1906) zerlegte seine Bildlandschaften in Kugel, Kegel und Zylinder und modellierte sie mittels feinster Farbschattierungen, die selbst Licht und Schatten ausschlossen. Er gilt als Vorläufer des Kubismus. Renoir hatte eine starke impressionistische Phase, später jedoch besann er sich auf die Tugenden der klassischen Malerei. In seinen Frauenbildnissen verbindet er die Liebe zur Malerei mit der Verehrung des weiblichen Geschlechts. Und Degas war nur insofern impressionistisch, als er mit seinen berühmten Ballerinen, fest konturierten Figuren, die flüchtige Bewegungen als verewigten Moment im Bild fixieren wollte.

»Manet ist nichts als Auge, aber was für ein Auge.« ⸺ Paul Cézanne

Dass Monet seine Bilder in frühen Jahren wie viele andere teilweise zu Spottpreisen verscherbelte, weil keiner sie haben wollte, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Der Impressionismus hat in der Kunstgeschichte seinen Platz als Wiege der Moderne – mit ähnlich weitreichenden Veränderungen wie die Kunst der Renaissance. Ihm folgen eine ganze Anzahl von »Ismen« wie der Expressionismus, der Kubismus, der Fauvismus oder der Surrealismus. Monet, der seinen eigenen Erfolg noch miterleben durfte, gilt, gemeinsam mit Cézanne, als Vater der modernen Malerei. Von Monets späten Seerosenbildern, diesem flirrenden Farbspiel um seiner selbst willen, zum abstrakten Action Painting eines Jackson Pollock in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist es kein großer Schritt mehr.

veröffentlicht am 19.11.2002 – Dorothee Fauth

 

Bild: Paul Cézanne, »Badende«, ca. 1895/96, Detail Langmatt Museum